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Seit 30 Jahren Avantgarde. Beim Berliner „Ultraschall“-Festival ist das Ensemble Modern ab 21. Januar zu erleben.

©  Michael Löwa

Avantgarde: Wer hören will, muss fühlen

Anregend, nicht anstrengend soll das Zuhören sein. Raus aus der Nische: Von der kniffligen und faszinierenden Aufgabe, Neue Musik zu vermitteln.

Das waren noch Zeiten, als kampfeslustig um die Avantgarde gerungen wurde. Als Eduard Hanslick befand, Tschaikowskys Musik stinke, als die Wiener Philharmoniker Bruckners Sinfonien für unspielbar erklärten, als bei den Aufführungen der ballets russes in Paris veritable Saalschlachten entbrannten. Wann hat man zuletzt erlebt, dass Abonnenten türenknallend die Flucht ergreifen, wenn eine Uraufführung auf dem Spielplan steht?

Ob Musik oder Bildende Kunst: Heute nähert sich der Bildungsbürger dem Neuen eher mit respektvollem Schweigen. Faszinierend zu beobachten, wie derzeit die Besucher des Hamburger Bahnhofs Carsten Höllers „Soma“-Tiergehege umstreichen, die dösenden Rentiere betrachten und die Behältnisse mit vermeintlich magischem Rentier-Urin mustern. Wer mit Höllers sekretgestützter Paarhufer-Performance nichts anzufangen weiß, kann einfach weiterwandern, zu anderen Werken, mit denen er lieber Kontakt aufnehmen möchte. Im Konzertsaal dagegen ist der Hörer an seinen Platz gefesselt, muss bis zum Ende ausharren, auch wenn ihm das Stück missfällt.

Liegt es daran, dass heutige E-Musik vor allem in der Special-Interest-Nische blüht? Dass das Feld meist denen überlassen bleibt, die sich schon auskennen? Wenn in Berlin am 21. Januar das „Ultraschall-Festival für Neue Musik“ von RBB und Deutschlandradio startet, werden die Säle zwar wieder gut gefüllt sein – nur eben nicht mit dem üblichen hauptstädtischen Publikum, sondern mit Kennern, die oft von weit her anreisen, um hochspezialisierte Ensembles mit druckfrischer Klangware zu erleben. Und wer die gebatikte Metaphysik der Vorankündigungen liest, der ahnt: Die Eingeweihten sind ganz zufrieden, wenn sie unter sich bleiben.

Aber es gibt auch ein paar Unerschrockene, die sich mit der Gettoisierung der aktuellen E-Musik nicht abfinden, ihre Begeisterung für Kompositionen von heute unbedingt unters Volk bringen wollen: die Musikvermittler. Leute wie Ingo Metzmacher, das Artemis Quartett oder Stefan Litwin.

Oder Gerd Albrecht. Am 20. Januar startet der Dirigent mit dem Rundfunk- Sinfonieorchester Berlin die Konzertreihe „Ganz neu – ganz nah“. Erster Gast wird der komponierende Klarinettist Jörg Widmann sein. Albrecht ist ein Pionier der Musikpädagogik, bereits vor vier Jahrzehnten, als das Wort „education“ in Deutschland noch niemandem etwas sagte, hat er sich zum Propagandisten des Unpopulären erklärt. Seit dieser Zeit schwört er auf die entkrampfende Wirkung des Künstler-Gesprächs. „Nur so“, findet Albrecht, „kann man die Leute davon überzeugen, dass Komponisten keine Spinner aus dem Elfenbeinturm sind.“

In den siebziger Jahren wurde er fast eine Art deutscher Lennie Bernstein, als er begann, Klassik im Fernsehen zu erklären, erst beim SFB, später beim NDR. Wenn es ihn auch sehr gekränkt hat, dass die TV-Sendungen mit Blick auf die Einschaltquote wieder eingestellt wurden, hat er doch nie lockergelassen in Sachen Musikvermittlung. 1989 gründete er mit eigenem Geld in Hamburg das „Klingende Museum“, in dem jedes ausgestellte Instrument angefasst werden darf. Seit 2002 gibt es auch eine Filiale in der Hauptstadt, in der Zingster Straße im Wedding.

Ein passionierter Musikvermittler ist auch Markus Fein. Vor wenigen Tagen konnte er die neu geschaffene Stelle als „Leiter Programmplanung/Dramaturgie“ bei den Berliner Philharmonikern antreten. Zudem moderiert er seit dieser Saison im Konzerthaus am Gendarmenmarkt die Veranstaltungsreihe „2 x Hören“. Bei den Abenden erklingt ein Werk zunächst unkommentiert, dann versucht Fein, gemeinsam mit dem Publikum „den Geburtskanal des Komponisten zurückzugehen“. Anschließend wird das Stück noch einmal gespielt.

Markus Fein, 1971 geboren, gehört zu denen, die sich aus eigenem Antrieb für zeitgenössische Musik begeistern konnten. Autodidaktisch hat er sich als Kind Klavier und Gitarre beigebracht, mit 16 besuchte er aus purer Neugier ein Symposium über Luigi Nono – und rannte danach sofort in den Plattenladen, um sich alle verfügbaren CDs des italienischen Komponisten zu besorgen. Seitdem arbeitet er mit wahrhaft missionarischem Eifer daran, die Flamme weiter zu tragen. Im Städtchen Hitzacker hat er ein Festival aufgezogen, bei dem die Musikvermittlung im Zentrum steht, von der Hörerakademie bis zum gemeinsamen Singen. Als Intendant der Niedersächsischen Musiktage verbreitet er Musik übers Land, von Ostfriesland bis in den Harz. Mit Gerd Albrecht ist sich Markus Fein darin einig, dass es in erster Linie darum geht, den Hörern ein Gefühl für die Musik zu vermitteln. „Anregend, nicht anstrengend“ sollen die Begegnungen sein.

Um einen sinnlichen Zugang zu Pierre Boulez’ „Dialogue de l’ombre double“ zu eröffnen, ließ Markus Fein die Musik beim ersten Berliner „2 x Hören“-Abend zu verschiedenen Filmsequenzen ablaufen. Auch auf Gérard Griseys „Périodes“, die er am 17. Januar vorstellen wird, hat er sich ebenso akribisch wie multimedial vorbereitet – weil er der Musikvermittlung selbst einen künstlerischen Aspekt geben will. Dafür, findet Fein, lohnt sich jeder nur erdenkliche Aufwand.

Ralf Hoyer kann es sich eigentlich gar nicht leisten, über Neue Musik zu reden. Als freiberuflicher Komponist braucht er seine Zeit, um neue Aufträge an Land zu ziehen. Dennoch hat er jetzt ehrenamtlich den Vorsitz der Berliner Gesellschaft für Neue Musik (BGNM) übernommen. Der Verein versteht sich als Diskurs-Plattform für Kreative, Musikwissenschaftler und Hörer. Hoyer findet es besonders wichtig, dass auch Laien an den jours fixes teilnehmen: „Konkrete Fragen zu beantworten, ist für mich die beste Form der Vermittlung.“ Spezialistentum dagegen kann in seinen Augen auch kontraproduktiv sein – wer zu viel weiß, lässt sich ungern überraschen. Beim nächsten Treffen der BGNM am 17. Februar in der Galerie Mario Mazzoli in der Potsdamer Straße 132 geht es übrigens um Holger Noltzes Buch „Die Leichtigkeitslüge“, in dem der Autor die vor allem bei staatlichen Radiosendern grassierende Mode anprangert, die Komplexität von Musik herunterzuspielen.

Eine Kommunikationsebene zwischen Künstlern und Hörern herzustellen, bleibt eben eine verteufelt schwere Aufgabe. Wenn der Komponist John McGuire in der Ankündigung seines „Ultraschall“-Konzerts vom 22. Januar schreibt: „Mich interessiert in erster Linie die Verschmelzung elementarer tonaler Funktionen mit chromatischen Zeitstrukturen“, sehnt sich der ratlose Leser nach einem Übersetzer. Da wartet noch viel Arbeit auf die Musikvermittler.

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