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Sehen und nicht gesehen werden. Die Bärin Schnute in ihrem Zwinger im Köllnischen Park. Vor zwei Jahren wurde sie eingeschläfert.

© imago/PEMAX

Bärenzwinger in Mitte wird zum Kunstort: Stadtbärin Schnute: Eingesperrt, beobachtet und doch nicht gesehen

Berlins letztes Wappentier Schnute verstarb 2015. Über 100.000 Menschen besuchten jährlich ihren Zwinger in Mitte. Eine Künstlergruppe hat ihn nun zum Ausstellungsort gemacht.

Das Licht ist schummrig. Man hört das Geräusch von Schaufeln auf Beton und knarrenden Gittertüren. Es riecht etwas unangenehm, nach den ehemaligen Bewohnern. Als wären sie gerade ausgezogen. Dabei starb die letzte Stadtbärin Schnute schon vor zwei Jahren.

Die Geräusche und der Geruch flirren durch das verlassene Gebäude wie Geister einer vergangenen Zeit. So muss es früher gewesen sein. Heute sind diese Wahrnehmungen Teil der Ausstellung „Fur Agency“ der Künstlergruppe Neozoon im Bärenzwinger.

Seit Schnutes Tod stand der Zwinger leer, bis der Bezirk Mitte sich entschloss, ihn zum Kunstort zu machen – zumindest für zwei Jahre. Acht Ausstellungen soll es geben. Wie es danach weitergeht, ist ungewiss. In der ersten Ausstellung ging es um die Spuren, die die Bären an dem Ort hinterlassen haben. „Fur Agency“ will den Besucher in die Situation der Bären hineinversetzen, anregen, die Perspektive zu wechseln. „Da kommt der Bär!“, ruft eine Kinderstimme, wenn die Besucher den Außenbereich des Geheges betreten und über ein Halbrund Richtung Zuschauerbereich blicken.

Der Ausruf kommt wie die Geräusche werkelnder Arbeiter im Inneren des Gebäudes vom Band. Durch die Stimmaufnahmen von Zoobesuchern im Hintergrund wird der Betrachter zum beobachteten Objekt. Dort, wo früher Infotafeln am Wegrand im Köllnischen Park standen, sind nun gewölbte Spiegel angebracht. Sie vermitteln den Eindruck, man würde sich selbst im Gehege befinden.

Verwaist. Statt Bären residieren jetzt Kunstwerke in Schnutes Gehege.
Verwaist. Statt Bären residieren jetzt Kunstwerke in Schnutes Gehege.

©  Robert Eckstein

„Wir wollten so wenig wie möglich in das Gebäude eingreifen“, sagt Friederike Kersten von Neozoon, die vor allem mit Sound arbeiteten. Ein Geräusch kommt aus den Innengehegen. Im Halbdunkel, hinter den Gitterstäben, sieht man einen Fellhaufen. Schläuche ragen daraus hervor. Teile des Knäuels heben und senken sich. Die Installation besteht aus Pelzmänteln und Luftpumpen, die Geräusche wie ein Beatmungsgerät machen. Die Arbeit mit Fell ist ein Markenzeichen von Neozoon. Die alten Mäntel stammen aus Altkleidersammlungen.

Früher seien rund 100.000 Besucher im Jahr gekommen, um die Bären zu sehen, erzählt Ausstellungskurator Sebastian Häger. Nun sind auch die Räumlichkeiten des Bärenzwingers zugänglich. Für die kulturelle Identität der Berliner hat der Ort eine besondere Bedeutung, alleine schon, weil der Bär das Wappentier der Stadt ist. Nun, da die Bären weg sind, wollen die Betreiber des neuen Kunstortes einen Diskurs über das Verhältnis zwischen Menschen und Tier starten.

Die Künstlergruppe Neozoon beschäftigt sich schon seit langem mit dieser „schizophrenen“ Beziehung, wie Friederike Kersten sie nennt: „Wir sperren Tiere ein, um sie anzusehen. Das macht es uns unmöglich, sie so zu sehen, wie sie eigentlich sind.“

Viele der Ideen der Ausstellung „Fur Agency“ basieren auf Überlegungen, wie sie auch der Schriftsteller John Berger in seinem Text „Warum wir Tiere ansehen“ von 1980 äußert. Berger schreibt darin: „Im Prinzip ist jeder Käfig ein Rahmen um das Tier im Inneren. Besucher gehen in den Zoo, um sich Tiere anzusehen. Sie gehen von Käfig zu Käfig, nicht unähnlich Besuchern einer Galerie, die vor einem Bild stehen bleiben, und dann zum nächsten und übernächsten gehen.“

Dabei schauen sie auf etwas, das „absolut marginalisiert“ wurde. Denn die Tiere sind hier abhängig vom Menschen und haben ihr natürliches Verhalten abgelegt. Für Berger sind Zoos die ultimative Äußerung der Entfremdung des Menschen vom Tier, ein Prozess, der mit der industriellen Revolution angefangen hat. Maschinen verdrängten die Tiere aus dem Alltag der Menschen, durch die Urbanisierung rückte die Natur in den Hintergrund.

Daran will Neozoon erinnern. Die Künstler zeigen die Perspektive der Bären: eingesperrt, beobachtet und doch nicht gesehen.

Bärenzwinger, Im Köllnischen Park, bis 5. 1.; Mo bis So 10 – 18 Uhr

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