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Kultur: Bagger der Geschichte

Der letzte öffentliche Auftritt Einar Schleefs war ein Bekenntnis. Auf der Bühne des Deutschen Theaters rezitierte er als Prolog seiner Inszenierung "Verratenes Volk" bebend und brüllend eine Montage aus Nietzsche-Texten: "Hört mich!

Der letzte öffentliche Auftritt Einar Schleefs war ein Bekenntnis. Auf der Bühne des Deutschen Theaters rezitierte er als Prolog seiner Inszenierung "Verratenes Volk" bebend und brüllend eine Montage aus Nietzsche-Texten: "Hört mich! Denn ich bin der und der. Verwechselt mich vor allem nicht!" Es war eine hoch identifikatorische Nietzsche-Aneignung, ein durch die Erregung des eigenen Körpers beglaubigtes Verschmelzen mit dem Philosophen der Grenzüberschreitung. Der Bühnenmonolog wurde zum Gewaltakt, in dem die Zuschauer zwanzig Minuten lang einer tobenden Manifestation beiwohnten, eine wütende Selbstbehauptung um den Preis der Selbstzerstörung. Einar Schleefs letztes Regie-Vorhaben wirkte wie eine Fortsetzung dieses erschreckenden Monologs. Der Regisseur wollte am Wiener Burgtheater einen eigenen Text zur Uraufführung bringen, drei Szenen aus dem Leben des kranken, dämmernden, fiebernden Nietzsche: "Gewöhnlicher Abend. Messer und Gabel. Ettersberg."

Die Inszenierung kam nicht mehr zustande, der frühe Tod des Ausnahmekünstlers hat die Arbeit daran abrupt unterbrochen. Jetzt kam Schleefs Nietzsche-Stück an der Volksbühne in der Regie des spröden Formalisten Thomas Bischoff zur Uraufführung, ein schroffer Brocken aus dem Nachlass Einar Schleefs. Es ist nicht nur die gespenstische Koinzidenz zwischen dem Stoff des Stücks, Nietzsches Verfall im Todesjahr und dem Tod Einar Schleefs, die den Text zwischen Nietzsche und Schleef, zwischen Porträt und Selbstporträt, also zwischen Fiktion und Autobiografie oszillieren lässt.

Wie in seinem Monolog im Deutschen Theater betreibt Schleef auch hier eine systematische Überblendung seiner eigenen Lebensthemen und Lebenswelten mit denen des Philosophen. Der Küchenmief, der Schmutz, die Verrohungen der Thüringer Provinz, die Schleef in seinen autobiografischen Texten, besessen von Details und grotesk vergrößerten Momentaufnahmen beschrieben hat, prägt auch diese drei Szenen aus dem Alltag des zum Pflegefall gewordenen Friedrich Nietzsche. Die familiäre Konstellation, das Genie als Opfer und libidinös besetztes Objekt einer harschen Mutter, wirkt wie ein Echo auf Schleefs monströsen Roman "Gertrud", einen 900-Seiten-Monolog, in dem Schleef seine eigene Mutter grübeln, schimpfen, manisch ihr Leben durchpflügen lässt. Die drei Szenen, montiert aus großen monologischen Blöcken, handeln von den Schwierigkeiten, ein Bad zu nehmen ("Gewöhnlicher Abend"), von einer am Abendtisch fehlenden Gabel ("Messer und Gabel") oder vom Anbruch eines neuen Jahrhunderts ("Ettersberg"). Die Skizzen aus dem Alltags des kranken Philosophen, die kleinen und kleinkarierten Probleme und Sorgen, die rastlos im Kreis gehenden Gedanken von Mutter und Schwester, das ist ein grobes, kaum geformtes Material, unbehauener Rohstoff. Thomas Bischoff, sonst ein Regisseur, der expressive Überhitzung mit kalten Formalisierungen kurzschließt, findet dafür keine zwingende Form.

Uta Kala hat ihm auf einer Drehbühne lauter identische Räume gebaut, kleine, niedrige, gekachelte Verliese. Dort dämmert Nietzsche (Herbert Fritsch), während Mutter (verdoppelt: Jennifer Minetti und Karin Neuhäuser) und Schwester (Silvia Rieger) auf ihn einreden. Sie tun das so energisch wie ermüdend, die Kraft läuft leer, das Pathos dreht hohl, der Terror des Denkens wird wiedergekäut bis er in einem monotonen Gemurmel verendet. Jennifer Minetti, eine Schauspielerin von großer Prägnanz und Ausdruckskraft, kommt über routinierte Intensitäts-Simulationen nicht hinaus. Wenn Silvia Rieger, die man sonst immer gerne sieht, energisch werden will, wird sie nur laut. Herbert Fritsch kann schön dämmern und noch schöner irr-reden, aber auch ihm fehlt ein formales Gerüst, ein Halt, der ihm ein Ziel, eine Reibung, eine innere Spannung verleihen könnte. Nicht die hochkarätige Besetzung wird zum Zentrum der Aufführung, sondern die knarrende, ächzende Drehbühne, die jede sprachliche Verdichtung unmöglich macht und alles mit ihrer Geräuschkulisse untermalt. Sie klingt, als würde ein sehr altersschwacher Bagger aus den Tiefen der Vergangenheit Gesteinsbrocken und Erinnerungsreste ausgraben.

Der historische Schrecken des letzten Teils ("Ettersberg") geht im Leerlauf der Drehbühne unter. Dass mit Ettersberg der Ort bei Weimar benannt ist, an dem sich das Konzentrationslager Buchenwald befand, wird zum Anlass für einen schlechten, schlichten Kalauer: "Buchen musst du suchen". Gelegentlich stellt sich so etwas wie Komik ein, etwa wenn Silvia Rieger pathetisch schreit "rote Wurstscheiben, ich will euch essen" oder wenn Herbert Fritsch, das unbewegt bleibende Zentrum, kurz aufwacht und einen Schwall Wörter und Sätze erbricht. Man spürt den Respekt Bischoffs vor Schleefs Text und seine Scheu, ihn theatralisch zu illustrieren. In der Verweigerung oberflächlicher Theatereffekte hat die Inszenierung eine gewisse Radikalität. Leider führt diese Theaterverweigerung nicht zu einer formalen Kraft, sondern zu einer endlose drei Stunden währenden zähen Einöde.

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