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Kultur: Baguettegeflüster

Woody Allens Komödie „Midnight in Paris“ eröffnet das Filmfestival von Cannes

Alles eigentlich bestens. Das Wetter freundlich, die Touristen in Schlabberklamotten weichen allmählich den Tausenden von akkreditierten Filmleuten in – nun ja, etwas eleganteren – Schlabberklamotten, bevor das Mittelmeerstädtchen sich am Eröffnungsabend richtig in Schale wirft. Da schockiert den Passanten auf der Promenade diese Zeile: „Das letzte Festival von Cannes?“

Es ist die Tageszeitung „Libération“, die da, kaum gebändigt vom bohrenden Recherchefragezeichen, dem Festival in seinem 64. Jahr das Totenglöcklein läutet. Dazu auf der Titelseite ein Kleinejungsgesicht mit 3-D-Pappbrille von dunnemals und „Boah ey“-offenem Mund. Auf den Innenseiten kommt der totgesagte Patient allerdings schnell wieder zu sich. Mehr Öffnung fürs digitale Kino wird dem Festival von Cannes, dieser „sympathischen, aber uralten Dame auf ihrem Sterbebett“, im Leitartikel empfohlen – und mehr Öffnung fürs lokale Publikum der 60 000-Einwohner-Gemeinde, als gelte es, sich in dieser Hinsicht an Toronto oder Berlin zu orientieren. Wenn’s weiter nichts ist: Takashi Miike hat einen 3-D-Film im Wettbewerb, und er heißt, das sollte „Libération“ gefallen, „Harakiri“.

Ob das Blatt mit jenem Miesepeter-Menetekel vielleicht nur ablenken will von eigenen Nöten und jenen der Branche überhaupt? In Cannes selber sind sie offensichtlich: Wer hier noch auf Papier gedruckte Nachrichten aus der sogenannten Holzwelt erhaschen will, muss weite Wege gehen. Alljährlich macht sich neuer Schwund bemerkbar. Zeitungskioske im Städtchen weichen dekorativen Springbrunnen, unmittelbar neben dem Festivalpalast ist ein traditionsreicher Papierwarenhandel einem weiteren Souvenirshop gewichen, und die „Tabacs“, jene legendär französische Mischung aus Kneipe und Zigaretten- sowie Zeitungsladen, sind ohnehin auf dem Rückzug. Soll der moderne Mensch sich vielleicht neben dem Rauchen und dem Trinken auch das Lesen abgewöhnen, Hauptsache, er macht sich schick und schön? Im Alltag führt solch Exorzismus überständiger Laster allerdings geradewegs in die ganzheitliche Vergammelung.

Nichts wie raus also aus dem unwiderstehlich schönen 3-D-Elend sterbender Festivalstädte – und rein in einen guten, mit seinem eigenen Uraltsein kokettierenden 2-D-Film. Woody Allens „Midnight in Paris“, der das Festival eröffnet, intoniert zu aller Gegenwartsmüdigkeit den perfekten Kommentar. Und nach 100 glückshormonausschüttungstauglichen Verzauberungsminuten steht fest: So sanft war Woody Allen noch nie – und noch nie so heiter-melancholisch im Blick auf unser aller unentrinnbare Zeitgenossenschaft. Wobei er seine kaum mehr ironisch gebrochene Mahnung, jeder möge sein eigenes Leben aktiv und selbstbewusst gestalten, geschickt in eine rührend eskapistische Parabel kleidet.

Gil (Owen Wilson) lebt als durchaus erfolgreicher Drehbuchautor in Beverly Hills und fühlt sich doch, verglichen zumindest mit seinem ehrgeizigen Selbstbegriff als Romancier, bloß als „hired hand“ der gefräßigen Traumbedürfnisbefriedigungsmaschine Hollywood. Auf einer Reise nach Paris mit seiner Verlobten Inez (Rachel McAdams), bei der unseligerweise auch Inez’ reiche, so konservative wie laute wie strunzdumme Eltern zugegen sind, schwärmt er heftig von jenem Paris der zwanziger Jahre, das Ernest Hemingway später in seinem Erinnerungsbuch „Paris – ein Fest fürs Leben“ verewigte – einem Paris voller amerikanischer Künstler und Buchläden und mittendrin die unsterbliche Salonlöwin und Ersatzmutter Gertrude Stein (Kathy Bates). Bald kommt es zu allerlei Gezänk zwischen Gil und der unerschütterlich bodenständigen Inez, man geht sich auch abends aus dem Weg, und auf einmal ist Gil für die Gegenwart verloren. Oder nur für diese konkrete Gegenwart?

Mitternacht schlägt’s, ein eleganter Very-Oldtimer rollt auf verregnetem Kopfsteinpflaster heran, und schon reist Gil in einer Zeitmaschine – zu Scott und Zelda Fitzgerald, zu Hemingway und Bunuel und Jean Cocteau, zu Picasso und Dali und Man Ray, und Cole Porter ertönt nicht auf alten Schellack-Platten, sondern live. Dass sich Gil zudem prompt in Adriana (Marion Cotillard) verliebt, Picassos und Modiglianis und Braques flatterhafte Muse: Wäre das zu viel verraten? Im Gegenteil, im steten Wechsel zwischen den Zeitebenen und im Wege gelöstester Vorhersehbarkeit kommt alles so, wie es kommen muss – und der durchaus hingerissene Zuschauer darf hinzufügen: wie es bitteschön auch kommen soll. Denn wer Glück hat, findet auf dem Trödel nicht nur allerhand Tand mit unsterblichem Haltbarkeitsdatum, sondern auch die Liebe fürs Leben.

Mit seiner romantischen Komödie „Midnight in Paris“ hat sich Woody Allen, nach einem ersten Paris-Ausflug in „Alle sagen: I love you“ (1996), für die Dauer eines ganzen Films einen Jugendtraum erfüllt – und ihm vielleicht schon deshalb jeden Bitterstoff entzogen, ohne dass er stattdessen süßlich würde. Wer scharfen Allen’schen Wortwitz sucht, muss sich mit ein paar binnenamerikanischen Politrempeleien zwischen Gil und seinem von Kurt Fuller verkörperten Schwiegervater in spe begnügen. Die liebenswerte, aber letztlich lächerlich nostalgische Menschensehnsucht, in einer anderen Zeit zu leben: Woody Allen hätte damit seinen Gil zum tumben Einzelgänger machen können, vergesellschaftet ihn aber lieber in ein paar köstlich beiläufigen Regieeinfällen. Alles Übersüße wiederum steckt im Schwelgen für das Dekor – und bleibt doch, als Helden- und Zuschauertraum gleichermaßen, so stets als inszeniert gekennzeichnet. Und wer die zarte Brechung partout nicht wahrnehmen will, nun ja, auch er oder sie sei in „Midnight in Paris“ auf das Herzlichste willkommen geheißen.

Ein Weiteres passt zu diesem rundum harmonischen Spätwerk. Mit Owen Wilson hat Woody Allen, nach zuletzt mancherlei angestrengten Versuchen, ein kongeniales Alter Ego für die Rolle des ewig jugendlichen Liebhabers gewonnen – oder sollte man sagen: einen Klon? Wilson spielt den zappeligen, mit seinem angepassten Leben so unfertigen Gil mit perfekter Woody-Allen-Stimme, mit großartig weit aufgerissenen Woody-Allen-Augen, mit umwerfend linkischer Woody-Allen-Körpersprache. Nur alles irgendwie einen Tick langsamer als Woody Allen selbst. Wobei auch das lächelnd restselbstironische Absicht sein könnte: als Blick des 75-Jährigen auf sich selbst.

Jemand vergessen? Richtig, Carla Bruni-Sarkozy. Seit Monaten die People-Magazin-Hauptdarstellerin dieses Films, spielt sie drei kleine, für sich genommen nicht wirklich erwähnenswerte Szenen als Führerin im Musée Rodin. Genauso viele übrigens – oder so wenige – wie die zauberhafte Léa Seydoux. Nur dass Léa Seydoux noch sehr zu Recht zu einem Rollennamen kommt, am Ende des klitzekleinsten, allersüßesten Dialogs in „Midnight in Paris“, ein paar Augenblicke nach Mitternacht ist es schon, und im Regen.

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