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Kultur: Bajan als Kunst

Man kommt nicht umhin, ihn zu mögen.Diesen älteren Herrn mit den leuchtenden Augen, der da so begeistert von seiner Musik erzählt.

Man kommt nicht umhin, ihn zu mögen.Diesen älteren Herrn mit den leuchtenden Augen, der da so begeistert von seiner Musik erzählt.Als ob es das Natürlichste von der Welt wäre, daß man den ganzen Tag Akkordeonmusik hören möchte.Efim Jourist lebt für dieses und mit diesem Instrument, seitdem er acht Jahre alt ist - etwas anderes als Musik machen hat er nie gelernt."Und Musik ist nicht wie ein schwerer Koffer, den man einfach irgendwo stehenläßt," sagt er mit verlegenem Achselzucken.Eine andere Profession hat er sich auch in der schlimmsten Zeit nicht vorstellen können.Die schlimmste Zeit, das war vor sechs Jahren, als er mit seiner Familie in Hamburg ankam und feststellen mußte, daß hier niemand auf ihn wartete.Schließlich hatte er doch vorher in Deutschland begeistert aufgenommene Gastspiele gegeben, und daheim in Rußland war er sowieso ein Star.Verdienter Künstler des Volkes - Exportartikel und Devisenbeschaffer für die staatliche Künstleragentur Goskonzert.In Rußland, sagt er, habe das Akkordeon, oder Bajan, wie es dort heißt, freilich auch eine ganz andere Stellung, da studiere man Bajan an der Universität, mache große Wettbewerbe mit wie bei Klavier und Geige.Dementsprechend hoch sei das Niveau, immer seien auch die russischen Komponisten bestrebt gewesen, die Klangmöglichkeiten des Instruments auszubeuten und zu erweitern.Eine regelrechte Virtuosentradition hatte sich auf dem Bajan herangebildet, die sich mit Transkriptionen und Arrangements populärer Klassik-Melodien auf dem schmalen Grat zwischen U- und E-Musik bewegte.Dennoch entschloß sich Jourist auszuwandern, auch auf Drängen seines Sohnes, der sich hier eine Existenz als Verleger deutsch-russischer Wörterbücher aufgebaut hat."Erst als ich hier war, merkte ich, daß ich wieder bei null anfangen mußte.Das Bajan nannten sie in Hamburg einfach Schifferklavier oder Quetschkommode, das hat mich anfangs sogar gekränkt.Und wie ich an Konzerte kommen sollte, wußte ich auch nicht, denn in Rußland brauchte ich mich um all das nicht zu kümmern." Denn auch auf den Tourneen in alle Welt hatte er nie selber Kontakt zu den Managern vor Ort aufnehmen können - die Aufpasser der staatlichen Agentur taten alles, um ihre Künstler abzuschirmen.Nicht einmal den großen Astor Piazolla hatte er auf seiner Lateinamerika-Tournee treffen dürfen, weil der russische Tourbetreuer vom argentinischen Tango-Gott noch nie etwas gehört hatte.

In den ersten zwei Jahren nach seiner Auswanderung schlug sich der gestrandete Virtuose mit Konzerten in kleinen Kirchen durch, beständig unter seinen Möglichkeiten spielend und mit säuerlichem Lächeln die Prophezeiungen einer großen Karriere entgegennehmend.Eine Zeit, die für Jourist trotzdem einen Wendepunkt in seiner Laufbahn markiert: "Ich habe da oft zuhaus gesessen und mich gefragt, was ich nur tun könnte.Ich konnte natürlich Seite um Seite mit Noten vollkritzeln, aber wen interessierte das schon? Da wurde mir auch klar, daß ich mit meinem Bajan allein nichts werden konnte und mein künstlerisches Spektrum verbreitern mußte." Inzwischen ist der Einundfünfzigjährige als Musiker auf vielen verschiedenen Gebieten tätig, hat mit Ulrich Tukur in Hamburg ein erfolgreiches Brecht-Programm erarbeitet und konzertiert regelmäßig mit einem eigenen Tango-Quartett.Seine Carmen-Fantasie spielt er mit Orchestern in ganz Europa, für dieses Jahr stehen noch Auftritte mit dem Gewandhaus-Orchester Leipzig und Tourneen durch die USA, Italien und Frankreich auf dem Programm.Zur Zeit spielt er mit dem Jaques-Brel-Programm von Dominique Horwitz in der Bar jeder Vernunft.Da zwar "nur" als Begleitmusiker, aber soweit sei er inzwischen Pragmatiker geworden, meint Efim Jourist mit verschmitztem Lächeln: "Die wollten mich, ich hatte Zeit, es gibt gutes Geld - wo also ist das Problem?"

JÖRG KÖNIGSDORF

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