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Kultur: Bann und Meile

Eberhard Spreng erklärt die Herkunft des Worts Banlieue

Wenn man in Paris nicht dazu gehört, ist man banlieusard. Ein abschätziges Wort, mit dem die Stadträte erstmals 1889 die politischen Vertreter der armen Vorstädte diffamierten. Banlieusard ist die jüngste Ableitung eines Worts, dem die dreibändige ethymologische Ausgabe des Wörterbuchs „Robert“ eine ganzseitige Grafik widmet. Das indoeuropäische Wort Bha hat bis zur banlieue eine große semantische Karriere hinter sich: vom Althochdeutschen über das Lateinische bis zur Eingemeindung ins Französische. Wobei die banlieue in der deutschen Bannmeile eine nahe Verwandte hat.

Dabei meint das althochdeutsche Ban einen vom Feudalherrn ausgesprochenen Befehl, der mit Strafandrohung verbunden war, mit einem Verbot. Das Französische übernahm den Begriff für eine Strafe, mit der man einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung ahndete. Später bezeichnete er auch jenen geografischen Raum, in dem das Herrscherwort galt. Während man in Deutschland ein Banner aufstellte oder jemanden verbannte, sagten die Franzosen battre le ban, auch der Welschschweizer verwehrte mit à ban den Zutritt zu bestimmten Arealen. Kurioserweise galt seit dem 13. Jahrhundert in Frankreich alles als banal, was der Feudalherr seinen Leibeigenen zur Verfügung stellte: Backofen, Mühle, Weidefläche.

Man wird den französischen Jugendprotest in der banlieue kaum verstehen, wenn man übersieht, dass da auch ein Territorialkrieg geführt wird. Denn die in Jahrzehnten eroberten rechtsfreien Räume – etwa für ungestörten Drogenhandel – werden den Jugendbanden von Innenminister Sarkozy nun wieder streitig gemacht. Sie haben die Botschaft des Polit-Machos verstanden: als Herausforderung, die sich für eine ganze Generation zum identitätsstiftenden Guerillakampf ausgeweitet hat.

Die französische Regierung hat in den letzten Tagen immer wieder beiläufig daran erinnert, dass französisches Recht auf dem gesamten Staatsgebiet zu gelten habe, auch in der banlieue difficile, der heißen Vorstadt. Sie weiß um die Jahrhunderte der Mühe, in denen Frankreichs Könige das Land lokalen Fürsten, Warlords und kirchlichen Herrschern abtrotzte. Schon damals galten die Kriege auch den Kultur-, Sprach- und Glaubens-Abweichlern. Einen ihrer Kreuzzüge haben französische Katholiken übrigens ins eigene Land unternommen: zu den Katharern ins Languedoc.

Ein Vorläufer der banlieue difficile ist die bidonville, die Blechstadt, die Algerien-Einwanderer in Nanterre errichteten – mit Hütten von kaum mehr als 10 Quadratmetern. Sie wurden von provisorischen Betonstädten abgelöst, die in einer mehr als 30-jährigen Nachbesserungspolitik zu den jetzigen urbanen Gebilden wurden. Ihr Ursprung als Flüchtlingslager fördert bis heute eine spezielle Mentalität der Bewohner. Viele empfinden starkes Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Cité, obwohl diese mit der traditionellen europäischen Stadt und ihrer Funktionsmischung nichts gemein hat. Das Wort bidonville übernahmen die Franzosen übrigens aus der Sahara: So hießen seit 1953 die marokkanischen Elendsunterkünfte, irgendwo im Nirgendwo der maghrebinischen Stadtränder.

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