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Daniel Barenboim im Pierre Boulez Saal.

© Peter Adamik

Barenboim führt Schubert auf: Später Sieg der Galanterie

Daniel Barenboim und die Staatskapelle führen den zweiten Teil ihres Schubert-Zyklus auf. Leider geißelt der Maestro diese wunderbare Wiener Sinfonik mit einem Gewicht, das sie nicht tragen will.

Es ist sein Saal, es ist sein Orchester, und es ist einer seiner Lieblingskomponisten: Wenn Daniel Barenboim im Pierre Boulez Saal gerührte und rührende Ehrenrunden dreht, um sich seines Applauses zu versichern, liegt darin mehr als der Dank für den zweiten Abend beim Schubertzyklus der Staatskapelle. Das Publikum feiert den Maestro, den besten Dirigenten Berlins, wohl auch den schillerndsten. Der erscheint leutselig, setzt seine Operntruppe nach der Pause in die andere Richtung, damit im Saaloval alle etwas vom Orchester und ihm haben.

Für die Musik nützt diese Familiarität allerdings wenig. Im unbedingten Willen, die Werthaltigkeit der stets unterschätzten frühen Sinfonien zu unterstreichen, bürdet der Generalmusikdirektor dieser wunderbaren Wiener Sinfonik Gewichte auf, die sie nicht tragen will. In den Nummern 5 und 4 macht Barenboim aus jedem melodischen Reflex eine Extradurchführung, aus jeder motivischen Schattenmücke einen musikalischen Elefanten, bereichert gar das Schlagwerk energisch mit seinem aufs Dirigentenpult stampfenden Konzertschuh. Für alles wird Bedeutung behauptet, auch für Umspielungen und Floskeln; leider will es in vielen zarten Passagen – und dafür eignet sich der intime Saal eigentlich sehr – nie richtig leise und empfindsam werden. Legato scheint verboten, dafür geht es sempre forte marcato zu: immer laut und immer betont. Gepriesen sei die Kraft der Staatskapelle, die in den oberen Streicherregistern zuweilen durchaus Luft nach oben hat, was Intonation und Zusammenspiel angeht. Kraft hat auch ein Fleischhacker.

Nun muss man sicherlich nicht wie seinerzeit Nikolaus Harnoncourt mit bedingungslosem Originalklangfetischismus die weitverästelte, mäandernde Schubert’sche Motivarbeit generalstabsmäßig nach artikulatorischen und dynamischen Zusammenhängen durchplanen. Aber was der Österreicher schon in den 80er Jahren mit seinem Landsmann gemacht hat, muss in Berlin wie ein erhebliches Missverständnis wirken. Erst nach der Pause lässt Barenboim in der Sechsten die Musiker eigenverantwortlich erblühen, wunderbare Holzsoli erheben sich über dem nun nuancierten Klang, die spröde Zackigkeit hat einer musikantischen Galanterie Platz gemacht. Aber warum erst so spät?

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