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Bassposaunist Stefan Schulz: Der Linksaußen

Stefan Schulz spielt das „Instrument des Jahres“. Eine Begegnung mit dem Bassposaunisten der Philharmoniker

In diesem Fall ist Länge in der Tat entscheidend. Stolze 370 Zentimeter misst das Rohr von Stefan Schulz: Blinkendes Messing, zweifach gebogen, an einem Ende zum tellergroßen Schalltrichter getrieben, am anderen sitzt ein kapitales Mundstück. Schulz spielt die Bassposaune bei den Berliner Philharmonikern – und ist in dieser Funktion hauptstädtischer Schirmherr für das „Instrument des Jahrs 2011“.

Der „rote Gitterling“ ist der „Pilz des Jahres 2011“, bei den Bäumen ist es die „Elsbeere“, bei den Balkonblumen die „Sonnenfee“, bei den Kartoffeln die Sorte „Ora“. Unter den Fischen hat diesmal die „Äsche“ das Rennen gemacht, bei den Höhlentieren das „Große Mausohr“. Und Tuff ist das „Gestein 2011“. Wenn es für alles und jeden ein Jubeljahr gibt, warum dann nicht auch für ein Instrument? Zumal für eines, das im sinfonischen Musizieralltag im Schatten steht. Keine Jazzband kommt ohne Posaunen aus, die Kirchenmusik auch nicht, geschweige denn die Spielmannszüge landauf, landab. Schon im alttestamentarischen Jericho haben die Posaunen ihre Meriten erworben. Nur im klassischen Kontext schaut man gerne auf die tiefen Blechbläser herab, auf die Außenseiter, die nur dann eingesetzt werden, wenn es richtig laut werden soll. Oder besonders feierlich.

Nils Landgren, der berühmte Jazzer (und Schleswig-Holsteins Schirmherr des Posaunen-Jahres), bekam das Instrument von seiner Mutter verordnet: Sie war es einfach leid, dass ihr Filius auf dem heimischen Bauernhof das Schlagzeug derart feurig traktierte, dass die Kühe entsetzt durch die Zäune brachen. Stefan Schulz würde auch gerne so eine schöne Anekdote erzählen, wenn es um die Frage geht, wie er zur Posaune kam. Doch der 1971 geborene Berliner stammt einfach nur aus einer musikbegeisterten Familie. Der Vater arbeitete als Bassgitarrist bei der Bigband des DDR- Rundfunks, er selber sang als Schüler des Händel-Gymnasiums im Schulchor. Als den Pubertierenden der Stimmbruch ereilt, ist er sich bereits sicher, Profimusiker werden zu wollen – und zwar auf dem Horn. Doch nach nur anderthalb Jahren Unterricht legt ihm sein Lehrer einen Wechsel nahe: Seine Lippen seien einfach besser für das Mundstück der Posaune geeignet.

Stefan Schulz fügt sich in sein Schicksal, studiert in Berlin und Chicago, bekommt seine erste Stelle 1993 bei Barenboims Staatskapelle, wechselt neun Jahre später zu den Berliner Philharmonikern. 2004 wird er zudem als Professor an die Universität der Künste berufen.

Besser kann es ein Bassposaunist nicht treffen – und doch werden für Stefan Schulz die Arbeitseinsätze in der Philharmonie regelmäßig zu Geduldsproben. Denn die meisten Komponisten haben verinnerlicht, was Hector Berlioz in seinem „Grand Traité d’orchestration“ von 1844 empfiehlt: „Man möge dem Bassposaunisten genügend lange Pausen zugestehen und sein Instrument mit extremer Zurückhaltung und gut durchdachter Intention einsetzen.“

„Nicht zu spielen kann ganz schön anstrengend sein“, seufzt der Musiker. Da gilt es, eine halbe Stunde lang zu warten, die Gedanken nicht abschweifen zu lassen, passiv im Strom der Klänge mitzuschwimmen, um dann auf den fahrenden Zug aufspringen zu können. Da kann man sich vorher noch so gut einspielen – im Konzert ist jeder Ton ein Kaltstart.

Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass der Spieler einerseits extrem exakte, „eckige“ Bewegungen mit der Hand ausführen muss, um den Posaunenzug millimetergenau an die richtige Position zu bringen, andererseits aber seine Atemluft mit größtmöglicher Lockerheit ins Rohr strömen lassen soll. „Und wenn wir dann endlich Luft holen, geht sofort die linke Hand des Dirigenten hoch, die uns anzeigt: Bitte nicht so laut!“

Darum sind Stefan Schulz seine Kammermusikprojekte so wichtig. Weil er da endlich auch mal melodische Linien formen darf, ja sich sogar in einen Sänger verwandeln kann, wie auf seiner Solo-CD, auf der er Brahms’ „Vier ernste Gesänge“ zu berührenden Liedern ohne Worte macht. Schulz’ Ehrgeiz ist es, die sensiblen Seiten der Bassposaune zu entdecken. Darum hat er auch für seinen Lunchkonzert-Auftritt am heutigen Dienstag im Philharmonie-Foyer neben Originalkompositionen von Daniel Schnyder und Alexej Lebedjew einige Nummern aus Schumanns „Dichterliebe“ ausgewählt. Begleitet vom Pianisten Holger Groschopp will er die Leute dann Heinrich Heines Verse spüren lassen: „Das Lied soll schauern und beben/Wie der Kuss von ihrem Mund,/Den sie mir einst gegeben/In wunderbar süßer Stund’“.

Philharmonie, 13 Uhr, Eintritt frei. Weitere Informationen zum „Instrument des Jahres 2011“ unter unter www.posaune.de

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