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Kultur: Bauen, Wohnen, Denken

Von einem Ort zum andern: Liam Gillicks Parallelaktion in zwei Berliner Galerien

Manchmal kommt es vor, dass eine Lücke markanter ist als eine Präsenz. Dem war beispielsweise so vor einem halben Jahr, als Berliner Galerien und Institutionen flächendeckend vom Architektursommer überzogen wurden. Zwar konnte der Zusammenhang zwischen Häuslebauen und Bildermalen deutlich gemacht werden; immerhin gehört die Klammer art & architecture schon seit einigen Jahren zu den Megatrends der globalen Kulturentwicklung. Doch zu einer Leistungsschau taugte die konzertierte Anstrengung schon deshalb nicht, weil einige der wichtigsten Namen fehlten. Zum Beispiel der des Engländers Liam Gillick.

Dessen Beschäftigung mit Architektur geht weit über das beliebige Bretterzusammennageln hinaus. Eher könnte man sein Arbeitsfeld mit dem „Bauen, Wohnen, Denken“ umreißen, das Martin Heidegger in den Fünfzigerjahren als Motto eines Vortrags diente. Gillick thematisiert weniger die Zusammenhänge zwischen bestehenden Architekturen und bekannten Kunstformen. Vielmehr geht es um die utopische Herbeiführung von gesellschaftlichen Handlungsebenen, von „Strategien, Kompromissen, Verhandlungen und Modellspielen“. Diese utopische Komponente seiner Arbeit findet sich jedoch nicht zwischen Buchdeckel gepresst, sondern im Galerieraum verwirklicht: Die platforms, jene horizontalen Ebenen, die seit vielen Jahren immer wieder in Ausstellungen auftauchen, bilden die architektonische Bedingung von Handlung.

Gillick sucht und findet diese leeren Bühnen, die mittlerweile sein Markenzeichen geworden sind, jedoch nicht nur in der Kunst. Der Goldsmith-Goldjunge gleicht vielen seiner Kollegen aus dem Kreis der young British artists darin, dass er sich von Anfang an auf diversen gesellschaftlichen Parketts bewegte. Anders als seine Kollegen betätigt er sich nicht als Partygast oder Clubbetreiber, sondern beschäftigte sich mit Design und Dekoration, mit Journalismus und Information und nicht zuletzt mit Architektur. Er schrieb Filmdrehbücher und Musicalentwürfe, arbeitete als Kritiker und Kurator, schrieb Bücher und entwickelte immer wieder Projekte mit politischem Anspruch. Und spricht in seinen Statements über Neoliberalismus und Diskursanalyse mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der andere Künstler seiner Generation über Warhol reden.

Gillicks Ernsthaftigkeit ist es auch, die ihn bei Kritikern und Kuratoren schnell durchgesetzt hat: Er war 1997 auf der documenta X dabei und wurde im letzten Jahr für den Turner-Preis nominiert. Auch in Berlin ist Gillick durchaus kein Unbekannter. 1998 erhielt er den Paul-Cassirer-Preis, und in der kommenden Woche sind seine Arbeiten sogar bei einer Präsentation von Berliner Kunst der hiesigen Kunst-Werke auf der Arte Fiera in Bologna zu sehen.

Dabei erhob Gillicks Beitrag zur zweiten Berlin Biennale 2000 die Übersehbarkeit gewissermaßen zum Programm. Dort hatte er sich für seine Intervention nicht nur zwei der abgelegensten Orte ausgesucht, den Dachboden der Kunst-Werke in der Auguststraße sowie das Foyer der dezentralen Treptowers. Die Diskretion seiner Arbeit war kaum zu überbieten: Die Textarbeit, die in den Kunst-Werken begann und zum Foyer des Versicherungsgebäudes weiterlief, war dort auf einer glänzenden Metallplatte mitten in die Belegungsbeschreibung des Gebäudes gleich neben dem Fahrstuhl eingeschleust. Gillicks Arbeit war so diskret, dass sie fast verschwand.

Ebenso wie bei Gillicks Biennalebeitrag handelt es sich bei der aktuellen Kooperation der Galerien Schipper & Krome und Max Hetzler um eine Ausstellung an zwei Orten. Darauf weist schon die Tatsache hin, dass Text und platforms, Diagramme und Grafiken die gemeinsamen Bestandteile ausmachen. Und umso besser, wenn einer der ersten farbig eloxierten Aluminiumrahmen als Beitrag in einer Gruppenausstellung auch noch in der Galerie Atle Gerhardsen hängt.

Dabei ist das Wandern von einem Ort zum andern, die Errichtung „paralleler Strukturen“, Konzept. Die Ortlosigkeit, von der auch Gillicks Text „Literally no place“ handelt, betrifft auch die Ausstellung selbst: eine unmittelbare soziale Intervention, die der Künstler schon in den Neunzigerjahren als einer der Ersten in die Kunst einführte.

Ortlos fühlt sich der Besucher jedoch weder im einen noch im anderen Teil der Ausstellung. Das Verweissystem, das aus einem Text und zwei Orten besteht, lässt den Besucher zwar zum Nomaden zwischen Wort, Skulptur und Ort werden. Doch ist dieser Versuchsaufbau in Berlin so solide und nachvollziehbar, das man sich wundert, dass dieser Künstler generell als schwer verständlich gilt. Bei Schipper & Krome hängen drei Plattformen aus Alu und Plexiglas von der Decke (je 40 000 Euro). Die Wände zieren eine schmucke Blumengrafik sowie ein Satz aus „Literally no place“, dessen formale Ortlosigkeit schon darin besteht, dass die Worte ineinander übergehen.

In der komplementär angelegten Ausstellung an der Jannowitzbrücke muss sich der Besucher nicht einmal mehr mit textuellen Verschiebungstaktiken beschäftigen. Stattdessen kann er hier mental die Plattformen in drei im Ausstellungsraum verteilte Gestelle montieren. Die Blumengrafik findet sich in Form von großen bunten Kreisen an der Wand wieder, die in diesem Kontext ebenso gut an die Bögen des Raumes oder die Wellen der Spree denken lassen. Dennoch glaubt man es Gillick aufs Wort, wenn er meint, seine Arbeit sei nur dann gelungen, wenn sie auch draußen auf der Straße funktioniert. Denn in der leicht entrückten Situation der Galerie rückt der soziale Anspruch automatisch in den Hintergrund.

Schipper & Krome, Linienstraße 85, bis 15. März; Dienstag bis Sonnabend 11-18 Uhr.

Galerie Max Hetzler, Holzmarktstraße 15-18, bis 8. März; Dienstag bis Sonnabend 11-18 Uhr.

Knut Ebeling

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