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© dpa

Bauministerium: Hier baut der Chef

Von Schlössern und Städten: Der Bauminister ordnet seinen Nachlass. Eine Bilanz der Ära Wolfgang Tiefensee.

In Deutschland herrscht derzeit eine Hektik, dass dem Bürger die Ohren glühen. Die Dynamik der Krise hat sich seit den Wahlen beschleunigt, überall bringen sich Repräsentanten von Parteien, Wirtschaft und Verwaltung in Stellung. Schwarz-Gelb verplant die Zukunft, die Regierung in spe kalkuliert den Weg über (oder durch) den Schuldenberg. In diesem großen Durcheinander lässt sich Geschäftigkeit schwer von Panik unterscheiden. Beteiligt sind dabei auch jene Protagonisten, deren Amtszeit in wenigen Tagen endet. Hier noch eine Pressekonferenz, dort noch eine Personalie oder die schnelle Ratifizierung eines unkündbaren Vertrages. Die scheidenden SPD-Minister ordnen ihren Nachlass. Es lohnt, genauer hinzusehen, wer da gerade welchen Winkelzug macht.

Nachdem sich Peer Steinbrück gleich nach der Wahl öffentlichkeitswirksam verabschiedet hat, sorgt vor allem ein hoher Beamter für Aufmerksamkeit: der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee. Der Mann aus Leipzig, der mit blitzender Glatze und gekonntem Lächeln manch öde Veranstaltung aufhellt, kämpft bis zum Schluss – um die Bilanz seiner Erfolge und die Korrektur seiner Niederlagen. Tiefensees Zeit wird wohl nicht reichen, um die zuletzt geballt auftretenden Fehlschläge zu korrigieren. Er versucht es dennoch und setzt an, wo es ihn am härtesten getroffen hat, beim Berliner Schloss.

2007 hatte Tiefensee die wichtigste Baustelle der Kulturnation, die den Steuerzahler über eine halbe Milliarde Euro kosten soll, zur Chefsache erklärt und sich mit der Sinnstiftung abgemüht. Unter dem Notnamen Humboldt-Forum bereitete er den Architekturwettbewerb vor – allerdings beteiligten sich an dem Projekt von royaler Größenordnung enttäuschend wenig Planer. Die Jury kürte schließlich einen Nobody zum Sieger. Den wiederum verließ die Courage: Franco Stella gab den Auftrag zur Ausführung seines Entwurfs an Profis weiter – woraufhin ein anderer Wettbewerbsteilnehmer, der Architekt Hans Kollhoff, das Kartellamt anrief und das Verfahren kippte. Die juristische Intervention offenbarte schwere organisatorische Fehler des Ministeriums selbst.

Um das Humboldt-Forum auch nach dem Regierungswechsel durchzusetzen – und voreilige Hoffnungen der Schlossgegner auszubremsen – hievte Tiefensee letzte Woche den Logistikexperten Manfred Rettig in den Vorstand der als Bauherr fungierenden „Stiftung Berliner Schloss/Humboldt-Forum“. Der ehemalige Geschäftsführer der Bundesbaugesellschaft Berlin, die als bundeseigenes Unternehmen die Großbauten des Regierungsumzugs realisierte, soll als Baumanager die havarierte Idee vom kulturellen Zentrum der Republik retten. Anders als beim Einheitsdenkmal auf der Berliner Schloßfreiheit, dessen Wettbewerb im April im künstlerischen Desaster endete und der nun neu aufgerollt wird, will Tiefensee auf das Schicksal seines Lieblingsprojekts bis zur letzten Minute Einfluss nehmen.

Die Schlossschlappe zeigt ein Leitmotiv von Tiefensees Karriere: der jähe Absturz. „Flieg’ nicht zu hoch, mein kleiner Freund“ – Nicoles Evergreen wäre der passende Soundtrack. In den 90er Jahren handelte die SPD den Ingenieur und Quereinsteiger aus dem Osten als Hoffnungsträger. Tiefensees Dynamik, seine Macherqualitäten entsprachen dem Fernziel der „blühenden Landschaften“. Die Stadt Leipzig, der er seit 1998 als Oberbürgermeister vorstand, stieg zum Muster des „Aufschwung Ost“ auf, sie wagte sogar die Bewerbung als Austragungsort der Olympiade. Doch Tiefensee bekam eine satte Rechnung präsentiert. Der Bevölkerungsschwund wurde nur mit Mühe aufgehalten, die Olympiapläne scheiterten, die Stadtverwaltung war in einen Bauskandal verstrickt.

Als Tiefensee Ende 2005 in die Bundesregierung wechselte, hinterließ er viele Baustellen. Für den Bund in Berlin tut er wieder das, was er am besten kann: Er generiert Hoffnungen, schmiedet große Pläne und erhält zusätzlich das Amt des „Beauftragten für die neuen Bundesländer“. Wieder fliegt er hoch, sehr hoch. Mit den rund 1600 Mitarbeitern des „BM Bau“ verwaltet er den drittgrößten Etat des Bundeshaushalts, etwa 24 Milliarden Euro jährlich. Er tut es mit Freude an der Repräsentation. Regelmäßig steht der Minister mit Helm und Kelle im Modder, um Grundsteine zu legen oder mit strahlender Miene rotweiße Bändchen entzweizuschneiden. Die Geste zählt – der Bürger zahlt: Im Idealfall entsteht nach solch pittoresken Momenten aus Steuergeldern gestalteter Raum. Wofür freilich weniger Tiefensee selbst als seine Mannschaft verantwortlich zeichnet.

Böse Zungen behaupten, Tiefensee verstehe nichts von den Inhalten seines Ministeriums, dafür habe er den Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrup aus Leipzig nach Berlin mitgebracht. Tatsächlich ist Lütke Daldrup ein ausgewiesener Fachmann für Bau, Stadtplanung, Verkehr und Infrastruktur, ein talentierter Verwaltungsbeamter mit hohem Durchsetzungsvermögen. Schon als Oberbürgermeister und Beigeordneter in Leipzig bildeten die beiden ein enges Team. Während der Minister als konfliktscheu gilt, versprüht Lütke Daldrup den Charme des knallharten Aufräumers. Mit roter Mähne und verkniffenem Gesicht sah man ihn oft hinter Tiefensee stehen. In seiner ruppigen Art wirkte er wie ein Kampfhund, immer auf der Suche nach einer Wade, in die er beißen kann.

Wer also Tiefensee sagt, meint immer auch Lütke Daldrup. Unter seiner Regie wächst an den Standorten Bonn und Berlin zusammen, was zusammengehört: Stadtentwicklung, Infrastruktur und Bau, die drei Teilbereiche des Ministeriums. Diese sinnvolle Fusion und wichtigste Entwicklung der Ära Tiefensee könnte gefährdet sein, wenn Schwarz-Gelb die Ressorts neu verteilt und das jetzige „BM Bau“ wieder auseinanderreißt.

Ansonsten setzen Tiefensee und Lütke Daldrup wie in Leipzig auf Leuchtturmprojekte – das Schloss, die Museumsinsel und die Topographie des Terrors in Berlin oder auch das weißglänzende futuristische Ozeanum in Stralsund – und forcieren den sogenannten Stadtumbau. Die saloppe Bezeichnung verbirgt ein komplexes Programm, das in die Struktur der gesamten Republik eingreift und langfristig zu einer Art „Masterplan Deutschland“ führen soll. Dabei geht es um Energieeffizienz, Umweltschutz oder Verkehrsplanung – vor allem aber um die Stärkung der Städte. Mit geballter Kraft sollen die Zentrifugalkräfte des „urban sprawl“ eingedämmt werden.

Die Devise lautet: Zentralisierung der Ressourcen, Stärkung der Siedlungsräume, Neubelebung der vorhandenen Kerne mit einer Mischung aus Arbeit, Wohnen und Freizeit. So könnten auch die Fehler von Tiefensees Vorgängern eingedämmt und die planerischen Leitbilder an wirtschaftliche und demografische Realitäten angepasst werden.

Gleichwohl werden weiter Felder für den Bau von Factory-Outlets geopfert, Einfamilienhauskorridore geplant, Flächen versiegelt. Während der Bund Programme erfindet, erfolgt die Umsetzung in den Ländern und Kommunen. Wenn dann Bundesmittel benutzt werden, um denkmalgeschützte Gründerzeitbauten zu zerlegen wie in Halle geschehen, kann das Ministerium daran wenig ändern. Auch dass „Geschenke“ abgelehnt werden, muss Tiefensee hinnehmen. Während München beim Ausbau des Mittleren Rings die immensen Kosten der Untertunnelung mithilfe des Bundes stemmt, wehrt sich Berlin gegen den Autobahnring, dessen Ausbau der Bund vorantreibt. Die infrastrukturelle Zwangsbeglückung bringt die Betroffenen in Rage: So lange es geht, wird der Gehorsam verweigert, um Abriss, Lärm und Schmutz zu verhindern. Manches Förderprogramm verwandelt sich so in eine Anleitung zur Selbstdemontage. An den Schnittstellen des Föderalismus entstehen die Kollateralschäden der verwalteten Welt.

Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sind Geschäfte, die mehr Zeit und Hirnschmalz brauchen, als in einer Legislaturperiode zur Verfügung stehen. Vielleicht hätte Tiefensee mehr Luft benötigt, um seine Projekte zum Erfolg zu führen. Vielleicht lautet die Rechnung auch: Weniger Glamour, Chefsachen und Höhenflüge – weniger Pech. Wo der Minister richtig lag, werden nun andere den Ruhm ernten. Wo er Stückwerk hinterlässt, werden andere ordnend eingreifen. Das gilt für das Humboldt-Forum wie für das Großprojekt „Stuttgart 21“, bei dem der alte Sackbahnhof als Durchgangsstation unter die Erde verlegt werden soll, um den jetzigen Gleisbereich in innerstädtisches Bauland verwandeln zu können. Nach zehn Jahren vergeblicher Diskussion schob Tiefensee das Vorhaben Mitte 2007 mit großem Engagement neu an. Seine Durchsetzung sorgte in Baden-Württemberg für einen kommunalpolitischen Erdrutsch – nun geht in Stuttgart die Angst vor einem Milliardengrab um, vor Kosten in Höhe von fünf bis sechs Berliner Schlössern.

Gut in Erinnerung ist auch Tiefensees glückloser Umgang mit der Bahn AG. Man bekam zeitweilig den Eindruck, der damalige Bahn-Chef Hartmut Mehdorn hätte seinen Spaß am Katz-und Maus-Spiel mit dem Minister gehabt. Er drohte mit der Verlegung der Konzernzentrale nach Hamburg, dann stutzte Mehdorn die gläsernen Flügel des Berliner Hauptbahnhofs zurecht. Jahr um Jahr erhöhte er die Fahrpreise – obwohl Tiefensee die Schiene gegenüber der Straße stärken wollte. Schließlich fiel Mehdorn über die Spitzelaffäre – und Tiefensee überlebte seinen Lieblingsfeind um wenige Wochen im Amt. Genützt hat es nichts: Auch die Bahnprivatisierung werden nun andere vorantreiben.

In wenigen Tagen schlägt die Stunde des Nachfolgers. Das Schloss und das Einheitsdenkmal, der Stadtumbau in Ost und West, der Wettbewerb für ein Gebäude des Innenministeriums und die Privatisierung der Bahn stehen ganz oben auf der Agenda. Nach Tiefensees zwiespältiger Bilanz dürfte seinem Erben die Profilierung nicht allzu schwer fallen – wenn er statt heikler Höhenflüge politisches Geschick, Fachkompetenz und Verantwortungsgefühl mitbringt und das Amt der neuen Bescheidenheit eines krisengeschüttelten Gemeinwesens anpasst.

Christian Welzbacher

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