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Kultur: Bayern unter Druck: Aus der Balance

Wieder einmal wollte er alles besser machen. Besser vor allem als sein Lieblingsgegner, der Kanzler.

Wieder einmal wollte er alles besser machen. Besser vor allem als sein Lieblingsgegner, der Kanzler. "München ist nicht Berlin" verkündete Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), als der Rinderwahn sein Land erreicht hatte. Im Gegensatz zu Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) verzichtete der starke Mann im Freistaat nicht auf seine Gesundheitsministerin und seinen Landwirtschaftsminister, die es versäumt hatten, der sich abzeichnenden verheerenden Entwicklung rechtzeitig entgegenzutreten; möglicherweise sogar deshalb, weil der Chef selbst die Agrarlobby im Hinblick auf die Fütterung der Nutztiere mit zermahlenen Artgenossen und anderen Säugetieren mit wuchtigen Worten bedient hat.

Stoiber entzog zwei Ministerien wichtige Zuständigkeiten - dem Sozialministerium die Verantwortung für die Gesundheit und dem Landwirtschaftsministerium die für die Ernährung - und bastelte daraus ein drittes. Das kostet zwar den Steuerzahler viel Geld, soll ihm aber in seiner Eigenschaft als Verbraucher auch viel nützen. Das neue Ressort für Verbraucherschutz wollte er mit dem Rektor der Technischen Universität München, Wolfgang Herrmann, besetzen.

Den Chemieprofessor, ein langjähriges Mitglied der CSU, und die Erschaffung eines neuen Ministeriums pries der Regierungschef als epochale Tat, ähnlich der Gründung des ersten Umweltressorts in der Bundesrepublik durch einen seiner Vorgänger, Alfons Goppel, im Jahr 1970. Wieder einmal trat sich der oberste Bayer als Musterknabe der Republik aus dem Spiegel entgegen; ein Mann, der stets sagt, er bekleide das schönste Amt der Welt, und der doch ein offenbar noch schöneres nicht aus den Augen verliert. Bestreitet er auch immer wieder alle Gelüste, ganz Deutschland zu regieren, so sorgt der CSU-Vorreiter im Bundestag, Michael Glos, prompt dafür, dass die große Schwester CDU stets an Stoiber denkt. Auch die Mandatsträger der CSU wissen, dass die Anzahl ihrer Sitze im Parlament eng mit dem Ruf verbunden ist, den Edmund Stoiber in der Bevölkerung hat. Mit Stoiber an der Spitze der Unionsliste, hoffen sie, gibt es für sie im nächsten Jahr etwas zu gewinnen, auch wenn er gegen Schröder verlieren sollte. Dann kam der Schweineskandal, und Barbara Stamm ging. Der reichlich renitente Landwirtschaftsminister Josef Miller aber blieb. Bayerns Sozialministerin musste die Konsequenz aus der Tatsache ziehen, dass alle Warnungen dazu, was in den Schweineställen des Landes an unerlaubten Medikamenten den Ferkeln einverleibt wird, sich in ihrem Haus in Luft auflösten. Jetzt wurde es eng für Stoiber. Das Patentrezept, aus zwei drei zu machen, schien schlau, erwies sich aber nicht als krisenfest. Der Regierungschef reagierte sofort und ernannte die Staatssekretärin im Umweltministerium, Christa Stewens, zur Stamm-Nachfolgerin. Die sechsfache Mutter und ihre politischen Fähigkeiten lobte er dermaßen, dass sich die Frage aufdrängte, weshalb er eine solch vorgebliche Idealbesetzung nicht gleich vorgenommen hatte. Die Antwort war dieselbe wie zuvor. Das Musterland Bayern marschiert eben immer "an der Spitze der Kolonne". Die CSU-Regierung möchte Gegnern und Freunden zeigen, wie man mit Krisen umgeht, auch wenn sie die reine Unschuld für sich nicht in Anspruch nehmen kann.

Warum sollte Stoibers Ruf beschädigt sein, fragte die CSU. Alles feindliche Gerede von Krise, von einer Stoiber-Krise gar, wurde als rot-grünes Geschwätz abgetan. Beim BSE-Desaster hätten alle nicht gleich erkannt, welcher Teufel im Tiermehl steckt, und Bayern sei ihm entschlossen begegnet, als er sich im schwarzen Freistaat zeigte. Doch das traditionelle Versprühen von Weihwasser wirkte nicht.

Im Gegenteil, es schien, als verfolge das Unglück den Oberbayern. Am Montag musste er bekannt geben, dass seinem in höchsten Tönen gefeierten Professor ein Steuerverfahren am Hals hängt, das Herrmann selbst für erledigt gehalten hat.

Steuerverfahren? Um Gottes Willen, bloß das nicht auch noch. Einen Tag vor seiner geplanten Vereidigung war der Wissenschaftler untragbar geworden. Wenn er angeschlagen scheint, reagiert Edmund Stoiber mit schnellen Reflexen. Wollte er seinen Ruf, nicht zuletzt auch mit Blick auf die Unionsfreunde zu Berlin, nicht weiter schmälern, musste er umgehend den Angriffen seiner politischen Gegner und des Schicksals begegnen. Zurückweichen und die Geburt des neuen Ministeriums abbrechen konnte er nicht mehr.

Rolf Linkenheil

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