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Szene aus dem "Fliegenden Holländer" mit John Lundgren (links), Marina Prudenskaya, George Zeppenfeld und Asmik Grigorian.

© Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa

Bayreuther Festspiele 2021: Liebe unter Landeiern

Die Dirigentin Oksana Lyniv und der Regisseur Dmitri Tcherniakov eröffnen mit dem "Fliegenden Holländer" die diesjährigen Bayreuther Festspiele.

Am Ende sinken sich die Frauen in die Arme. Sie haben es geschafft. Blattschuss. Der Holländer darf sterben, ohne dass ein weibliches Wesen sich für ihn und sein Seelenheil hat opfern müssen. Frau Mary erlegt ihn kurzerhand mit der Flinte, von hinten.

Damit wird erstmals in der Inszenierungsgeschichte dieser Oper eingelöst, was Heinrich Heine als Moral der Geschicht' einst zusammenfasste – und was, angewendet auf die Version Richard Wagners, nie so richtig einen Sinn ergeben hatte: „Wir Männer ersehen aus diesem Stücke, wie wir durch die Weiber, im günstigsten Falle, zugrunde gehen.“

Bei Wagner ist es in aller Regel umgekehrt: Da gehen die Frauen zugrunde an den Männernphantasien. So ergeht es der dienenden Kundry, ebenso Brünnhild oder der heiligen Elisabeth. Auch Seefahrertochter Senta, vom eignen Vater schnöde an einen Handelspartner verschachert, springt gehorsam ins nasse Grab, den beiden Herren zulieb.

Da dieses Frauenbild nicht mehr zeitgemäß ist, haben es Opernregisseure schwer. Sie erfinden allerhand psychoanalytischen Klimbim rund um die Mädchen herum, Traumwelten oder sich emanzipierende Doppelgängerinnen. Dmitri Tcherniakov hat jetzt für die Bayreuther Neuinszenierung des „Fliegenden Holländer“ sogar eine völlig neue Geschichte erfunden.

Oksana Lyniv ist die erste Frau, die im Bayreuther Orchestergraben eine Aufführung leiten darf.
Oksana Lyniv ist die erste Frau, die im Bayreuther Orchestergraben eine Aufführung leiten darf.

© Oleh Paviluchenkov/Bayreuther Festspiele/dpa

Weder Meer noch Wellen sind zu sehen, weder Schiff noch Segel, da mögen Sturm und Brandung im Orchestergraben noch so tonmalerisch wüten. Stattdessen: ein pastellfarbenes Puppenstubendorf aus verklinkerten Flachbauten. Wenn in der Musik unüberhörbar mit gewaltigem Krachen das Gespensterschiff im Hafen anlandet, fällt in der Dorfkneipe nur ein Klapptisch zusammen. Das ist, zumindest anfangs, noch lustig.

Auf der Bühne wird heftig geraucht

Im Wiederholungsfall aber und auf Dauer wirkt dieses cleane Setting etwas lahm. Es verortet die Handlung zeitlich in den sechziger Jahren, als es noch Mode war unter den jungen Leuten, aus Protest gegen all die verspießerten Landeier ringsum pausenlos Zigaretten zu rauchen. Was sowohl der glatzköpfige Fremde, der in dem Dorf auftaucht, beherzigt, als auch die Tochter des Kolonialwarenhändlers, die selbigen irgendwie interessant findet, schließlich besitzt sie schon ein Foto von ihm, das man – durchaus abweichend von sonstigen filmdetailgetreuen Requisiten wie Biergläsern, Korkenziehern, Tellern, Pistolen oder Kerzenständern – auch ganz ohne Opernglas bis in die 28.Reihe des im Schachbrettmuster nur halb besetzten Bayreuther Festspielhauses gut erkennen kann.

Die fünf Klinkerhäuschen samt Kirchlein werden, während der Verwandlungsmusiken, wie von Geisterhand bewegt. Mal sieht man in einen Laden, mal in eine Veranda hinein. Meist kreist das lautlos herum, mitunter aber auch krachend, und geht am Ende in Rauch und Flammen auf. Denn dieser Fremdling ist in Wahrheit gar nicht fremd, sondern selbst auch nur ein Landei, Teil der Dorfgemeinschaft, die er vor Jahren frustiert verlassen hat. Jetzt ist er zurückgekehrt, um sich an allen, insbesondere an dem skrupellosen Oberspießer Daland, zu rächen. 

Lyniv hat die heikle Akustik gut im Griff

Wofür, weshalb – das wird in einer Pantomime während der Ouvertüre erzählt. Aber diese Vorgeschichte ist egal. Man braucht sie nicht, um zu begreifen, dass hier, in kleinteilig verhäkelter Personenführung, ein Psychodrama eskaliert, wie man es aus ungezählten Fernseh-Krimis kennt. Die Worte, die gesungen werden, haben mit der Story so wenig zu tun, wie die Begleitmusik, die aus dem unsichtbaren Orchestergraben heraufschwappt: wuchtig und schnell, scharfkantig und kontrastreich dirigiert von Oksana Lyniv.

Sie hat die heikle Akustik des Hauses bewundernswürdig gut im Griff. Nur wenige Wackler sind zu verzeichnen, was dem Umstand geschuldet sein mag, dass der Chor als einer der Hauptakteure des Stückes aus hygienetechnischen Gründen von einer Probebühne aus zugespielt werden muss – während parallel auf der Bühne andere, stumme Choristen agieren. 

Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem Mann Joachim Sauer sowie dem Ehepaar Söder (rechts) bei der Premiere.
Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem Mann Joachim Sauer sowie dem Ehepaar Söder (rechts) bei der Premiere.

© Daniel Karmann/dpa

Lyniv, vormals Chefdirigentin in Graz, hat den „Fliegenden Holländer“ bereits mehrfach dirigiert. Sie hat als Assistentin von Kirill Petrenko beim Castorf-„Ring“ längst ihre Erfahrungen gesammelt mit den Tücken der Zeitverzögerung im Bayreuther Abgrund. Sie ist, kurzum, eine brillante Kapellmeisterin, von der Pike auf, wie es so schön quasimilitärisch heißt.

145 Jahre Männerherrschaft im Graben gehen zuende

Dies und die Tatsache, dass sie als erste Dirigentin in Bayreuth so erfolgreich eine Premiere wuppt, nach 145 Jahren reiner Männerherrschaft, muss nur deshalb eigens erwähnt werden, weil hier schon sehr viele Kollegen mit wesentlich weniger Fortune debütiert haben, zuletzt, um nur einen großen Namen zu nennen:  Valery Gergiev, mit dem „Tannhäuser“, vor zwei Jahren. Allerdings dirigiert Oksana Lyniv, zumindest an diesem Premierenabend, auch auf Sicherheit, mit noch allzu fester Hand die effektvollen Höhepunkte ansteuernd: Der Klang entfaltet sich nicht, er atmet nicht mit den Sängern.    

Bühne und Graben gehen also getrennte Wege, das Gesamtkunstwerk rundet sich nicht, trotz der grandiosen Sängerbesetzung, die ihr eigenes Ding macht, frei nach dem Motto: Auf Wiedersehen bei der Fermate. Der junge Steuermann-Tenor (Attilio Glaser) singt sein Strophenlied mit bildschöner Stimme, aber ohne den hingebungsvollen Sehnsuchts-Ziep zu erzielen, der diese Kantilene so unwiderstehlich macht.

Holländer-Bariton John Lundgren tritt zwar nuancenreicher an, auch mit Durchschlagskraft, doch dafür singt er kehlig-knödelig in den eignen Hals hinein. Seine bange Frage „Wird sie mein Engel sein?“ tönt, als wär’s ein Stück von Loriot, nach „WuahWuah-WamWam“. Vielleicht ist das, weil er anders handelt, als es der Text behauptet, besser so. 

Senta und Erik sorgen für Glanzlichter

Auch der sonst so wunderbar ausdrucksintensive Daland-Bass Georg Zeppenfeld kommt im Kennenlernduett mit dem Holländer nicht recht über die Rampe. Selbst die ansonsten unschlagbare Marina Prudenskaya, als resolute Mary die Frauen des Dorfes anführend, die, auf der Straße zwischen den Puppenhäusern, eine pittoreske Chorprobe abhalten, wirkt seltsam unfrei. Einzig das verhinderte Liebespaar sorgt für ungetrübte vokale Glanzlichter. Es hat zwei fabelhafte, geschlossene Duett-Nummern, und man begreift einmal mehr, warum Tenor und Sopran zwingend zusammengehören. 

Eric Cutler singt seine Erik-Partie mit süßem Schmelz und streitbarer Stärke, grandios fordernd und so leidenschaftlich, dass sich Senta alias Asmik Grigorian seiner nur erwehren kann, indem sie handgreiflich wird. Die Grigorian ist, mit ihrem unverwechselbaren, stählern-schimmernden Timbre, eine ganz außerordentliche Senta, ihre Ballade atemraubend.

Diese junge Revoluzzerin bewegt sich wie ein Kerl, selbstbewusst, breitbeinig, eckig, widerborstig. Allein ihre Haltung signalisiert: Nicht mit mir! Und wenn sie, in der Auseinandersetzung mit Erik, kokett behauptet: „Ich bin ein Kind, ich weiß nicht, was ich singe“, dann sieht man ihrer Körpersprache  an, dass das Gegenteil der Fall ist.

Am Ende werden zwei Frauen frenetisch gefeiert, mit nicht endenwollenden Bravo- und Trampelkanonaden: Asmik Grigorian, Oksana Lyniv. Nicht ausgeschlossen, dass das Bayreuther Publikum damit auch den Tag bejubelt, an dem auf dem Hügel endlich wieder gespielt werden darf.

Eleonore Büning

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