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Irene Theorin als Brünnhilde in Valentin Schwarz´ Wagner-Ring-Inszenierung "Götterdämmerung" in Bayreuth

© dpa

Bayreuther Festspiele: Die Zukunft ist noch einmal ausgefallen

Finale in Bayreuth: Mit seinem „Ring“ hat Regisseur Valentin Schwarz einige Mythen zertrümmert. Trotzdem ist er der Tradition arg treu geblieben.

Wer je glaubte, kulturbeflissene Menschen seien zivilisierter als solche, die Opernhäuser meiden, wird alljährlich in Bayreuth eines Besseren belehrt.

Diesmal war es besonders schlimm. Als „Ring“-Regisseur Valentin Schwarz und sein Team nach der „Götterdämmerung“ vor den Vorhang treten, darunter Ausstatter Andrea Cozzi und Kostümbildner Andy Besuch, bricht ein derart unflätiger Proteststurm los, dass einem angst und bange wird.

Gut, wenn Kunst die Gemüter erregt, aber ein dicht gedrängter, grölender, wütender, bald 2000-köpfiger Mob? Fast 20 Minuten geht das so, die wenigen Applaudierenden haben keine Chance. Auch einzelne Sänger werden ausgebuht: Schon wahr, Iréne Theorin als Brünnhilde sang textunverständlich und mit derart flackerndem Vibrato, dass oft kaum auszumachen war, was sie auf welcher Tonhöhe gerade zum Besten gibt.

Aber sie hatte im letzten Aufzug, als die Wotans-Tochter das Weltende ausruft, auch intime, intensive Momente.

Eigentlich hält Valentin Schwarz in seiner „Ring des Nibelungen“-Erzählung den Betuchten ja den Spiegel vor. Ob in Wotans Sippe oder bei den Unterweltlern, die sämtlich nach dem Ring gieren, nach Reichtum und Macht, überall geht es brutal zu.

Mehrere Wotans sprangen vorher ab

Die Parvenus und die Underdogs, eine einzige dekadente, mafiöse Mischpoke: Inzest, Brudermord, Frauenaustauschprogramm, Intrigen, Lüge, Verrat, Gewalt – selbst das einzige freundliche Wesen, Brünnhildes Hausfreund-Gefährte Grane, wird zuletzt malträtiert und geköpft.

Man kennt das aus jenen Serien und Thrillern, auf die Schwarz häufiger verwiesen hatte. Ah, der Pferdekopf aus „Der Pate“ – oder ist’s der abgeschlagene Kopf aus David Finchers „Seven“? Sieht Siegfried nicht aus, als sei er der Serien-Familie der „Geissens“ entsprungen, und fangen nicht auch „Die Sopranos“ an einem Pool an, mit Enten statt Rheintöchtern?

Womöglich erlebt der österreichische Regisseur nun die Rache des Establishments für seine Spiegelbilder. Valentin Schwarz ist 33. Patrice Chéreau war 31 und in Deutschland kaum bekannt, als er die Opernwelt 1976 mit dem Bayreuther „Jahrhundertring“ aufmischte. Die Buh- Gewitter müssen noch heftiger ausgefallen sein, es gab Schlägereien.

Es spricht also nichts dagegen, dass Festspielchefin Katharina Wagner nach etlichen Big-Name- Absagen jungen Talenten eine Chance gibt. Die Pandemie bremste ihn aus, das Virus hat auch die um zwei Jahre verschobene Premiere heimgesucht. Erst musste der eigentlich als „Tristan“-Dirigent vorgesehene Stuttgarter Generalmusikdirektor Cornelius Meister kurzfristig für den Corona-erkrankten Pietari Inkinen übernehmen.

Mehrere Wotans sprangen im Vorfeld ab, Tomasz Konwiecny konnte den Wotan in der „Walküre“ wegen eines Bühnenunfalls nicht zu Ende singen. Zuletzt fiel auch noch der als Konditionswunder gefeierte Stephen Gould (der in Bayreuth auch den Tristan und den Tannhäuser singt) in der „Götterdämmerung“ aus.

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Weshalb der amerikanische Tenor Clay Hilley aus dem Bari-Urlaub eingeflogen wurde. Mit notgedrungen knapper szenischer Einweisung und deutlich zu kleiner Stimme konnte sein Siegfried jedoch nicht überzeugen konnte. Bis zum Schluss stand dieser „Ring“ unter einem unglücklichen Stern.

Das sollte man bei aller Kritik an Meisters allzu sportlich-aktionistischem, kapellmeisterlichem Dirigat bedenken, das dem mit Erinnerungs- und Ahnungsmotiven durchwebten Wagnerschein Erzählfluss nicht beikommt.

Sängerisch enttäuschten die Protagonisten im „Ring“-Finale. Lediglich die Nebenfiguren – Christa Mayer als Wahrheitskünderin Waltraute, Albert Dohmen als verschlagener Hagen, Elisabeth Teige als irrlichternde Gutrune, Michael Kupfer-Radecky als Gunther auf Koks – konnten sich gegenüber dem energischen Sound des Festspielorchesters behaupten.

Nicht dass Valentin Schwarz keine tolle Ideen hätte zu Richard Wagners Tetralogie. Sein roter Faden ist die Familie als Trauma, als heillos sich selbst fortpflanzende, zunehmend degenerierte Dynastie (Spoiler: Es war wohl doch Wotan, der Brünnhilde schwängerte).

Deshalb sind ständig Kinder im Spiel, mehr noch, das begehrte Rheingold, der Ring ist – ein Kind. Eines mit changierender Identität: Im „Rheingold“ verschleppt Alberich Klein-Hagen, womöglich auch Klein-Siegfried: Später treten die beiden als Kumpels auf. In der „Götterdämmerung“ ist’s dann das Kind von Brünnhilde und Siegfried.

Aktualitäten verbannte Schwarz in die Kulisse

Das hohe Paar macht jetzt in Kleinfamilie, er trägt grünen Wams, sie rosa Hausmantel, man hat sich entfremdet. Da geht er lieber mal auf Dienstreise, der Sprössling wird einmal mehr geraubt und verschachert, diesmal an die Gibichungen. Dort entledigt sich die so schrecklich – ganz ohne Vergessenstrank – von Siegfried betrogene, jetzt alleinerziehende Brünnhilde auch ihrer Mutterliebe.

Nachdem Siegfried mit dem Kind in einer Pfütze am Grunde des leeren Rhein- Pool-Bassins geangelt hat, fällt es nach Daddys Tod seinerseits einfach tot um.

Keine Zukunft also, keine Hoffnung, keine neue Generation, die es noch richten könnte. Der Weltenbrand fällt szenisch ebenso aus wie zuvor Feuerzauber und Waldweben. Anstelle von Sternen hängt der Himmel voller Neonröhren, zum musikalisch so strahlenden, leider etwas verrutschten Liebeserlösungsmotiv. Die sich boxenden Zwillings-Föten auf dem Video zum „Rheingold“-Vorspiel zeigen sich auf einmal innig umschlungen – ein frommer, vergeblicher Wunsch.

Seltsam nur, dass Schwarz das Augenmerk zwar über vier Abende auf die verratenen Nächstgeborenen lenkt, dabei jedoch das, was die heutige Gesellschaft ihren Kindern ja tatsächlich aufbürdet, in die Kulisse verbannt. Ressourcen- Ausbeutung, Klimakrise, Naturkatastrophen – ein Thema schon für Wagner, man denke an die gefällte Weltesche. In diesem „Ring“ sind’s bloß überbaute Felslandschaften, verdorrte, in Vitrinen verkümmernde Flora.

Schwarzgewandeter Geheimbund mit blutroten Wotan-Masken

Auch das Wotan-Clan-Tableau im Neureichen-Anwesen verliert sich zunehmend, von den mal albernen, mal mysteriösen Requisiten zu schweigen. Pistolen, Zauberwürfel, Brünnhilde-Cowboyhut, Hagen-Basecap, die Walhall symbolisierende Glaswürfel-Lampe mit leuchtender Pyramide darin – der Einsatz der aus dem hinteren Parkett nur schwer zu erkennenden Accessoires bleibt im Ungefähren.

Warum legt Schwarz Fährten wie die der Komplizenschaft von Hagen und Siegfried oder der Outsider-Verschwörung von Siegfried und Brünnhilde, nur um sie wieder zu verwischen?

Valentin Schwarz will zu viel und zu wenig zugleich, gibt den anarchischen Mythenzertrümmerer, um sich dann wieder respektvoll zurückzuhalten. Deshalb mangelt es auch an das Geschehen verdichtenden Bildern. Mit Ausnahme des abtretenden Wotan in der „Walküre“, der Beautyfarm-Walküren (warum treten die Frauen immer nur nuttig, wehrlos oder madonnenhaft auf?) und der Gibichungen-Armee in der „Götterdämmerung“.

Ein schwarzgewandeter Geheimbund mit blutroten Wotan-Masken, das Kind steht alleine vor dem Heer, ohnmächtig vor einer Übermacht, ein starker Moment.

Als es tot umfällt, wird ihm gerade eine dieser Masken gereicht, jene flügelhelm- bewehrte Götter- oder Tarnmaske, die schon die entführten Kinder im „Rheingold“ malten, die das Programm-Cover ziert und aus der Uraufführungszeit stammen soll. Eine Anspielung auf die Bayreuth-Tradition: Wer sich in diese Tradition hineinbegibt, kommt darin um? „Zurück vom Ring“, Hagens letzter Ruf, ein Menetekel auch für Valentin Schwarz?

Fluch hin oder her, der nächste Versuch steht schon vor der Tür, in Berlin. Daniel Barenboims dritte „Ring“-Arbeit an der Staatsoper startet am 2. Oktober, unter Regie von Dmitri Tcherniakov.

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