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Bad in der Menge. Andreas Schager als Parsifal mit den Blumenmädchen.

©  Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Bayreuther Festspiele: In Winnies Welt

Reinigungsrituale: Auf dem Grünen Hügel setzt man sich weiter mit der braunen Vergangenheit auseinander. Und nimmt die Premieren der beiden vergangenen Jahre wieder auf: „Tristan und Isolde“ und „Parsifal“.

Bayreuth bleibt eine Welt für sich. Da erkundigt sich ein Freund aus Berlin, wie es diesmal denn sei in Adolf-Town. Als bemühte sich die sonst so verschlafene fränkische Markgrafenstadt inzwischen nicht hellwach um die Auseinandersetzung mit dem Wagner-Hitler-Erbe. Etwa bei den erstmals anberaumten „Wagner-Diskursen“, in deren Rahmen auch das lange zurückgehaltene Home Movie von Hitlers Wahnfried-Besuch gezeigt wird, mit „Onkel Wolf“ im Garten bei Winifred Wagner.

Oder, anderes Beispiel, man landet nach der sechsstündigen Wiederaufführung von Katharina Wagners düster-abstraktem „Tristan“ im einzigen Wirtshaus am Fuß des Hügels, das zu später Stunde noch Bier ausschenkt, und stellt fest, es heißt „Mohren-Bräu“. Als sei das im Jahr 2017 nicht politisch doch ein wenig unkorrekt. Zumal es von hier nur ein paar Gehminuten sind zu Arno Brekers Wagner-Büste im Festspielhaus-Park.

Aber man freut sich über das Marthaler-Flair des wie aus der Zeit gefallenen Schankraums, schließlich führte Christoph Marthaler hier beim vorletzten „Tristan“ Regie. Der freundliche Wirt erklärt einem gerne das „Mohrenwäscher“-Kupferrelief an der Wand. Es geht auf die Legende zurück, dass ein adeliger „Mohr“, Gast im alten Schloss, beim Spaziergang im Städtchen von den Bayreuthern kurzerhand zwecks Säuberung in den Mühlbach gesteckt wurde – sie hatten noch nie einen Schwarzen gesehen. Seitdem schimpfen die Bayreuther sich selbst gerne mal „Mohrenwäscher“, ein Faschingsverein heißt bis heute so. Seltsamer Spott in eigener Sache.

Blumenmädchen im Tropenregen

Dass der „Mohr“ dabei buchstäblich mit dem Bade ausgeschüttet wird, kommt einem spätestens am nächsten Tag bei der Wiederaufführung von Uwe Eric Laufenbergs „Parsifal“ in den Sinn. Der Titelheld – Andreas Schager, mit unruhigerem, stockenderem Tenor als Klaus Florian Vogt 2016 – badet im Hamam, beim Karfreitagszauber duschen die Blumenmädchen im Tropenregen, die Gralszeremonie: ein Trink-, Bade-, Waschritual.

Laufenbergs Religionskriegs-Moritat will sich auch im zweiten Jahr nicht erschließen. Syrien, Irak, Aleppo, Mossul, was denn nun? Der Schauplatz: mal Moschee, mal byzantinische Kirche, mal Kloster, immer zerbombt. Erst tritt Parsifal als Zivilist auf, dann als US-Soldat, schließlich als IS-Krieger, immer in voller Montur, der er sich zwecks Waschung entledigt. Zu beliebig bleiben die Assoziationsräume, zu äußerlich die Zuschreibungen.

Laufenberg füllt die Bühne mit einer multireligiösen Menschheitsschar, Christen, Juden, Moslems. Ein paar Afrikaner (!) sind auch dabei – und wir, die Zuschauer, im Saallicht. Alle Menschen werden Brüder, aber eben doch im Zeichen des Kreuzes, wenn Parsifal Klingsors Speer zerbricht und ihn zwecks Erlösung zum Kruzifix bindet. An dem dürfen dann Accessoires der anderen Religionen baumeln, soweit sich das aus Reihe 25 erkennen lässt. Versöhnung ja, aber das Christentum gibt den Ton an?

Musikalisch erweist sich der Abend als klüger, raffinierter. Hartmut Haenchen und das Festspielorchester hypnotisieren mit irisierenden Verwandlungsmusiken und setzen das Glockenmotiv als schockhaftes Verfremdungsmoment ein. Schade, dass Haenchens Vertrag endet, 2018 dirigiert Semyon Bychkov. Georg Zeppenfelds Gurnemanz strahlt erneut die natürliche Autorität eines aufrichtig um Verständigung bedachten Philanthropen aus. Elena Pankratovas Kundry erfasst vom Schrei bis zur natürlichen Schönheit ihres Gesangs die ganze Wahrheit über Glaube, Schuld und Sühne. Wagner lässt Kundry im Schlussakt verstummen, Laufenberg fällt dazu nicht mehr ein, als sie neben Parsifals Füßen auch noch den Kühlschrank waschen zu lassen.

Bayreuth, das sind immer auch Gerüchte, Klatsch, News. Wann ist das Festspielhaus endlich zu Ende saniert? 2026. Was bitte folgt auf die letzte Castorf- „Ring“-Runde? Dass 2018 im eigentlich „Ring“-losen Jahr mit der „Walküre“ ein einzelner Abend ausgeklinkt wird, erstmals in der Festspielgeschichte. Also doch noch ein bisschen Castorf. Placido Domingo dirigiert, Matthias Goerne gibt den Wotan. Passen die zusammen? Und wer übernimmt die nächste „Ring“-Regie? Die Rede ist von vier Regisseurinnen. Sollte es tatsächlich so kommen: Traut Katharina Wagner einer einzelnen Frau den ganzen „Ring“ in Bayreuth nicht zu?

Katharina Wagner zeigt nur die Nacht, nicht das Gleißen

Für ihren „Tristan“ erntet die Festspielleiterin auch im dritten Jahr Buhs. An der allzeit verdunkelten Bühne hat sich ebenso wenig geändert wie an der pseudophilosophischen Statuarik. Eine gleißende Liebe in finsterster Nacht: Katharina Wagner setzt nur die Nacht in Szene, nicht das Gleißen. Dass das hohe Paar jetzt noch deutlicher sichtbar den Liebestrank nach einigem Gerangel ausschüttet, weil es die Droge nun mal nicht braucht, macht die Abwesenheit von Personenregie nur noch offenkundiger.

Wenigstens überzeugt René Pape als respektgebietender Marke. Und Petra Lang wartet als neue Isolde neben dem verlässlichen, aber wenig beseelenden Tristan von Stephen Gould zwar mit ungewöhnlichem Alt-Timbre auf. Aber sie strengt sich doch sehr an, um zuletzt bei Isoldes Liebestod mit einem wunderbaren Piano kurz für Spannung zu sorgen, die sie jedoch selber nicht halten kann. Das brutale Buh mitten in eine der schönsten, wahnsinnigsten Stellen der Opernliteratur hinein hat Lang trotzdem nicht verdient. Es gehört zu den Ritualen in Bayreuth, dass das feine internationale Publikum zum Applaus trampelt und johlt. Aber dass es sich schon in die ersterbenden Wagner-Schlüsse hinein lautstark meldet, dass Handyklingeln und Hustkonzerte zum Begleitsound im Festspielhaus werden, ist neu. Wie wäre es mit etwas Höflichkeit?

Zumal Christian Thielemann wieder den „Tristan“ dirigiert. Er stellt sie alle in den Schatten, Haenchens „Parsifal“ wie Philippe Jordans „Meistersinger“-Dirigat, das einem bei aller Transparenz im Vergleich plötzlich monochrom erscheint. Thielemanns Kunst, tausend Farb-, Klang- und Lautstärkenuancen zu entfalten, bei immer klarer Linienführung, sucht ihresgleichen. Vor allem ist er ein Meister der Binnendifferenzierung. Mal tritt die Oboe kurz hervor, dann eine Cello-Kantilene, die Hörner, die Harfe, ein unentwegt fliegender, schwereloser dynamischer Wechsel.

Das bleibt vom Bayreuth-Auftakt 2017. Thielemanns „Tristan“ und Barrie Koskys „Meistersinger“-Schluss, wenn Sachs/Wagner alias Michael Volle seine Ansprache „Verachtet mir die Meister nicht!“ ganz allein im leeren Gerichtssaal hält, ohne das Volk. Wir im Saal sind das Volk, müssen selber entscheiden, ob diese Wahnsinnsmusik alles aufwiegt, Wagners Kunstreligion, Winnie und Wolf und die Mohrenwäscher.

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