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Heusers Darstellung macht deutlich, dass die einheimische Bevölkerungen zwischen den Terror und die Straftaten der Aufstandsbekämpfer und die Repressalien durch die Aufständischen gerieten

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Beatrice Heuser: "Rebelle, Partisanen, Guerilleros": Gefangen zwischen den Fronten

Zum Abzug aus Afghanistan: Historikerin und Politologin Beatrice Heuser beschreibt in "Rebelle, Partisanen, Guerilleros" die Geschichte der asymmetrischen Kriege.

Geschichte wiederholt sich nicht, bestimmte Muster tauchen in ähnlicher Form aber immer wieder auf. Das gilt auch für den asymmetrischen Krieg zwischen Aufständischen und regulären Streitkräften – von der Antike bis ins heutige Afghanistan.

Beatrice Heusers luzide Darstellung der Geschichte des asymmetrischen Krieges macht deutlich, dass es in der Geschichte eher Regelfall als Ausnahme war, dass einheimische Bevölkerungen zwischen den Terror und die Straftaten der Aufstandsbekämpfer einerseits und die Repressalien durch die Aufständischen gerieten, die sich verraten oder nicht ausreichend unterstützt fühlten. Besondere Bekanntheit haben zum Beispiel die verheerenden Ausschreitungen von regulären wie irregulären Einheiten gegen die Bevölkerung im Dreißigjährigen Krieg erlangt.

Die an der Universität Reading lehrende Historikerin und Politologin nennt das Beispiel der russischen Kosaken im Zeitalter Napoleons, denen es in erster Linie darum ging, die Versorgung des Gegners zu vernichten und nicht, sich mit der lokalen Bevölkerung gut zu stellen – entsprechend seien sie auf dem ganzen Kontinent gefürchtet gewesen. Der russische General Davydow zählte zu den Aufgaben seiner Kosaken auch das Abbrennen von Dörfern – gezielt oder als Kollateralschaden beim Angriff auf gegnerische Magazine, Lager, Hospitäler und Verschanzungen.

Auch die Praxis nachfolgender Jahrzehnte kannte nach Heusers Untersuchungen viele Beispiele der lokalen Gewaltherrschaft von Aufständischen zulasten der eigenen Bevölkerung. So schrieb in den 1830er Jahren der italienische Freiheitskämpfer Carlo Bianco vor, dass man besser die eigenen Felder, Gehöfte und Dörfer abbrennen sollte als sie dem Gegner zu überlassen. Und in Mexiko setzten während der Intervention von Frankreich und Österreich 1863–1867 republikanische Truppen und Banden auch Gewalt ein, um die Unterstützung der Dörfer gegen die kaiserlichen Einheiten und die Streitkräfte der europäischen Interventionsmächte zu erzwingen, die wiederum nicht in der Lage waren, die Bevölkerung ausreichend zu schützen.

Heuser beschreibt, wie Terror gegen die Teile der Bevölkerung, die neutral waren oder auf Seiten der Obrigkeit standen, auch dazu dienen konnte, Repressalien zu provozieren, die dann ihrerseits neutrale Bevölkerungsgruppen auf die eigene Seite ziehen sollten. So habe die IRA im irischen Freiheitskrieg 1919- 1921 die loyalistische Bevölkerung provoziert, um Vergeltungsaktionen der britischen Krone hervorzurufen. Von „beeindruckender“ Grausamkeit seien zum Teil auch sowjetische Strafmaßnahmen gegen Kollaborateure mit der deutschen Besatzungsmacht im Zweiten Weltkrieg und gegen alle gewesen, die solcher Aktivitäten – zu Recht oder Unrecht – verdächtigt wurden.

Als einen der zur Eskalation der Lage beitragenden Faktoren des Algerienkrieges 1954–1964 zählt Heuser den Terror der algerischen Nationalen Befreiungsfront FLN, die Massaker in arabischen Dörfern verübte, die im Verdacht standen, mit der Kolonialverwaltung oder mit einer rivalisierenden Gruppe von Aufständischen zu sympathisieren. In der Folge waren schätzungsweise fünf Sechstel der Opfer des FLN-Terrors Muslime und nur ein Sechstel europäischer Abstammung. Dabei lassen die politische Entwicklung Algeriens seit der Unabhängigkeit, die Polarisierung der Gesellschaft und die zahlreichen Gräueltaten in den 1980er und 1990er Jahren bei Heuser zu Recht starke Zweifel an der strategischen Effektivität der Praktiken der FLN im Algerienkrieg aufkommen.

Über die manipulative Brutalisierungsmethoden.

Bestätigt sieht sich Heuser hierbei auch von den Geschehnissen in Kambodscha, wo die Roten Khmer als die siegreichen ehemaligen Aufständischen gegen die Monarchie unter Pol Pot die gesamte Bevölkerung 1975–1979 mit Terror und Demozid letztlich vergeblich zu beherrschen versuchten. Und bereits im Vietnamkrieg hatte der Vietcong gezielte Entführungen und Ermordungen genutzt, um die Bevölkerung einzuschüchtern, mögliche Opponenten zu eliminieren, ehe sie sich voll organisieren konnten, und Repressalien der amerikanischen Gegenseite zu provozieren.

Besonders manipulative Brutalisierungsmethoden erkennt Heuser bei der Rekrutierung von Kindersoldaten, wie es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Kambodscha, Mosambik und Sierra Leone geschah: Erwachsene Bandenmitglieder waren in Dörfer gegangen und hatten alle Erwachsenen getötet, während sie Kinder mitnahmen. Diese wurden dann nach Berichten von Human Rights Watch unter Drogeneinfluss in späteren Einsätzen zu besonders grausamen Handlungen angeleitet, um ihnen jegliches Schuldgefühl zu nehmen. Kinder seien dazu gebracht worden, auf Zivilisten zu schießen, einschließlich anderer Kinder. Dabei hatten sie den Rebellenanführern bedingungslos zu gehorchen.

Die Wirkung solcher Initiierungs- und Brutalisierungsprozesse hat Heuser auch bei Erwachsenen beobachtet. Sie zitiert Berichte aus dem Jugoslawienkonflikt, nach denen neue Rekruten für serbische und kroatische paramilitärische Einheiten gleich zu Beginn dazu gebracht wurden, Kriegsverbrechen zu begehen. Denn damit seien sie in einem Teufelskreis gefangen gewesen: Als Kriegsverbrecher konnten sie nun nicht mehr andere Mitglieder ihrer Gruppe solcher Verbrechen bezichtigen und sie an die Polizei oder andere staatliche Instanzen verraten.

Dem asymmetrischen Krieg einer historischen Langzeitbeobachtung mit wertvollen Schlussfolgerungen für Vergangenheit wie Gegenwart unterzogen zu haben, ist das große Verdienst von Heusers neuem Werk.

Beatrice Heuser: Rebelle. Partisanen. Guerilleros. Asymmetrische Kriege von der Antike bis heute. Ferdinand Schönringh Verlag, Paderborn 2013, 307 Seiten, 34,90 €

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