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Kultur: Bebelplatz: Krieg unterm Altar

Die letzte Entscheidung über die umstrittene Tiefgarage unter dem Berliner Bebelplatz und seinem an die Bücherverbrennung der Nazis erinnernden Mahnmal ist noch nicht gefallen. Die für diesen Sommer geplante Erteilung der Baugenehmigung verzögert sich.

Die letzte Entscheidung über die umstrittene Tiefgarage unter dem Berliner Bebelplatz und seinem an die Bücherverbrennung der Nazis erinnernden Mahnmal ist noch nicht gefallen. Die für diesen Sommer geplante Erteilung der Baugenehmigung verzögert sich. Bis jetzt hat das zuständige Bezirksamt Mitte keine erteilt. Der Grund: Technische Probleme müssten noch geklärt werden. Wann gebaut werde, stehe derzeit nicht fest, heißt es in der Behörde.

Nach Micha Ullman, dem israelischen Mahnmal-Künstler, und dem Präsidenten der Berliner Akademie der Künste, György Konrád, wendet sich nun auch Berlins neue Kultursenatorin Adrienne Goehler offen gegen einen Tiefgaragenbau an der Erinnerungsstätte: "Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum wir an dieser Stelle eine Tiefgarage brauchen. Ich vertraue auf die kreativen Fähigkeiten von Senator Peter Strieder, dem Investor im Einvernehmen mit dem Bezirk einen alternativen Standort vorzuschlagen", sagte sie dem Tagesspiegel.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hält dagegen weiterhin an dem Standort Bebelplatz fest. "Ich bin mir sicher, dass die Tiefgarage kommt", sagt Petra Reetz, Sprecherin der Strieder-Behörde. Die Aufregung um den Bau kann sie kaum nachvollziehen. Die Tiefgarage würde dem Denkmal vielmehr zugute kommen, weil dann das Umfeld des Platzes zwischen Staatsoper und der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität - zumindest oberirdisch - auf Dauer von parkenden Autos befreit wäre. Außerdem sei der Bebelplatz kein Friedhof und das Denkmal kein Altar.

Doch das sieht Micha Ullman anders. "Bibliothek" heißt sein Mahnmal, das an die Bücherverbrennung durch nationalsozialistische Studenten im Mai 1933 auf dem Bebelplatz erinnert. Die Skulptur besteht aus einem Raum mit leeren Bücherregalen, der in den Boden des Platzes eingelassen und durch eine Glasplatte von oben einzusehen ist. Zum Konzept des Kunstwerks gehöre nicht nur der oberirdische Raum, der leere Platz, auf dem die Bücher verbrannt wurden, sondern auch der Raum darunter - der Bereich der Toten, der Erinnerung. "Dieser Ort ist ein ruhiger Ort, man muss ihn so belassen wie er ist, denn das bildet die Erinnerung. Eine Tiefgarage dagegen bedeutet das Vergessen", sagt Ullman.

Die Skulptur zu verschalen und in die geplante zweigeschossige Tiefgarage zu integrieren, wie es die Pläne vorsehen, käme für Ullman einer Zerstörung des Kunstwerks gleich. Zwar versucht Stadtentwicklungssenator Peter Strieder zwischen Künstler und Investor, zwischen Mahnmal und Tiefgarage zu vermitteln, doch ist ein Kompromiss kaum denkbar - das Mahnmal lässt sich von der Idee seines Schöpfers her nicht mit einem unterirdischen Parkhaus vereinen. Ullman ist daher zu Zugeständnissen nicht bereit: "Der Kompromiss, so wie ihn mir Senator Strieder vorgeschlagen hat, heißt: Die Tiefgarage wird gebaut, aber ich darf handeln um ein paar Meter Erde, die um das Denkmal herumkommen."

Es ist nicht allein die Sorge um sein Werk, die den Künstler, der als Professor an der Stuttgarter Kunstakademie lehrt, zum Protest treibt. Vielmehr sieht er die historische Bedeutung des gesamten Bebelplatzes im Gefahr: Hier hätten sich die Ideen der Nationalsozialisten offenbart, hier habe alles begonnen zu einem Zeitpunkt, als es noch nicht zu spät gewesen sei. Die Bedeutung des authentischen Ortes schätzt Ullman daher größer ein als die des abstrakten "Denkmals für die ermordeten Juden Europas".

Einwände gegen die Tiefgarage kamen zwar spät, aber nicht zu spät, wie Ullman hofft. Dass das Bezirksamt mit der Erteilung der Baugenehmigung zögert, wertet er als gutes Zeichen. Ingrid Krüger von der Akademie der Künste sieht darin sogar einen ersten Erfolg ihrer Protestaktionen: 3 500 Unterschriften gegen den Bau der Tiefgarage hat die Akademie gesammelt, eine erste Liste wurde dem Regierenden Bürgermeister bereits übergeben. Und die Studenten vom "Aktionsbündnis Bebelplatz" wollen in den nächsten Wochen den Bebelplatz absperren, um den Zustand während eines Tiefgaragenbaus demonstrativ zu simulieren.

Nur: Kann es sich Berlin überhaupt leisten, die Erteilung der Baugenehmigung jetzt noch in Frage zu stellen? Schon letztes Jahr hat der Investor, die Wöhr + Bauer GmbH aus München, einen Erbbaupachtvertrag für die Tiefgarage abgeschlossen - mit einer Laufzeit von 73 Jahren. Dürften die Münchner den Bebelplatz nun doch nicht untergraben, dann muss das zuständige Bezirksamt Mitte mit einer Schadenersatzklage rechnen. Die Höhe der Ausgleichszahlung für die verpassten Einnahmen schätzt Petra Reetz auf etwa 20 Millionen Mark - viel Geld für leere Kassen.

Als einzigen Ausweg aus diesem Dilemma sieht Ullman die übergeordnete politische Ebene, den Bund. Die Problematik um das Mahnmal berühre mittlerweile nicht mehr nur die Interessen des Landes Berlin, sondern gehe "ganz Deutschland" an. "Auch beim Holocaust-Mahnmal gab es eine lange Diskussion", erinnert Ullman, "und am Ende hat dann der Bundestag seine Unterstützung zugesagt."

Doch zunächst ist Dorothee Dubrau (parteilos für Bündnis 90/Grüne) am Zug. Die Stadträtin für Stadtentwicklung im Bezirksamt Mitte muss die Baugenehmigung erteilen - oder nicht. Dass sie die lieber verweigern würde, daraus macht sie keinen Hehl. Ihr Vorschlag: Die Bürger sollten Geld spenden, mit dem die dann anfallenden Zahlungen für den Investor beglichen werden könnten. Schon vor einigen Wochen hat sie ein Spendenkonto eingerichtet. Kontostand derzeit: 100 Mark. Einzige Einzahlerin: Bezirksstadträtin Dubrau.

Nils Meyer

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