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Kultur: Beben im Schlachthof

Kämpfer und Moralist: Zum Tod des US-Schriftstellers Kurt Vonnegut

Einen „zutiefst kämpferisch-menschlichen, aufklärerischen Geist“ attestierte einst Harry Rowohlt dem amerikanischen Autor Kurt Vonnegut und erfasste so präzise dessen Werk und Wesen. Rowohlt trug auf seine Weise dazu bei, diesen Geist deutschen Lesern zu vermitteln, als Übersetzer von Vonneguts letzten Büchern, dem 1997 erschienenen Roman „Timequake“ (dt. „Zeitbeben“, 1998) und den 2005 entstandenen Betrachtungen „A Man without a Country“ („Mann ohne Land“, 2006). Es sind die literarischen Vermächtnisse Vonneguts, und wenn er nur diese zwei Bücher geschrieben hätte, würde das reichen, um ihm einen Platz im literarischen Olymp zu sichern. Sie enthalten den ganzen Vonnegut: thematisch und stilistisch zunächst wirr anmutende Sammlungen von Anekdoten, Stories und ultimativen Lebensweisheiten.

Beides sind Bücher des Abschieds: Vonnegut beklagt schnoddrig und wehmütig zugleich vor allem den Niedergang der literarischen Kultur und einer Menschlichkeit, deren Werte er am Beispiel zahlreicher Zeitgenossen belegt, vor allem aus seinem privaten Umfeld. Und es sind Hymnen auf die Literatur, die, so Vonnegut in „Zeitbeben“, „unsere Hände und Augen, Geist und Seele an einem spirituellen Abenteuer“ und einer kollektiven, Trost und Sinn spendenden Erfahrung teilhaben lässt: „Ich fühle und denke ganz ähnlich wie du. Du bist nicht allein.“

Vonnegut war einer vom Stamme Sisyphos. Er wurde nicht müde, an die Menschheit zu glauben, obwohl die ihm keinen Anlass dazu gegeben hat. 1922 in Indianapolis als Sohn eines deutschstämmigen Architekten geboren, verlief sein Leben zunächst in geordneten Bahnen. Er nahm ein Biochemiestudium auf, bis ihn die Haupt- und Staatsaktionen der Geschichte einholten. 1942 wurde er in die US-Army eingezogen und 1944 nach Europa geschickt. Im selben Jahr geriet er in den Ardennen in deutsche Gefangenschaft. In Dresden brachte man ihn als Kriegsgefangenen in einem Schlachthaus unter. Dort machte er die Erfahrung, die sein Leben und Werk für immer prägte. Vonnegut erlebte die Bombardierung und Zerstörung der Stadt am 13. Februar 1945, bei der innerhalb von zwei Stunden 135 000 Menschen starben. Vonnegut wurde zur Bergung der Leichen eingesetzt. Nach dem Krieg studierte er zunächst Anthropologie, arbeitete als Polizeireporter und begann zu schreiben. Doch es dauerte 24 Jahre, bis er das Grauen literarisch verarbeiten konnte. Das Ergebnis, der Roman „Schlachthof Fünf oder Der Kinderkreuzzug“, traf den Nerv der Zeit, avancierte als Antikriegsbuch, Science-Fiction-Parodie und satirische Sittenkomödie zum Kultbuch und gilt bis heute als Vonneguts wichtigstes Werk. Unnachahmlich ist Vonneguts Umgang mit dem Thema: keine Betroffenheitsliteratur, sondern ein vertracktes Vexierspiel, bei dem die grauenhafte Geschichte in eine ScienceFiction-Handlung integriert wird.

So entzieht sich der Held mit dem sprechenden Namen Billy Pilgrim den traumatischen Erfahrungen durch eine Reise auf den Planeten Trafalmadore. Als ein „Candide des Coca-Cola-Zeitalters“ reist er ziel- und sinnlos durch Raum und Zeit. „Schlachthof Fünf“ ist ein romanhafter Beleg für die Unmöglichkeit, einen Roman über die Bombardierung Dresdens zu schreiben. Mit den Mitteln des realistischen Romans sind die Katastrophen des 20. Jahrhunderts nicht mehr zu erfassen.

Spielerische Brechungen und Verfremdungen waren Vonneguts Spezialität. Von seinem ersten, 1951 veröffentlichten Science-Fiction-Roman „Player Piano“ („Das höllische System“, 1964) an neigte er dazu, seine Geschichten mit SF-Elementen und bizarren Rahmenhandlungen zu versehen. Vonnegut war ein originärer Erzähler, provokant, witzig, pointiert.

Hinter der Narrenmaskerade aber verbarg sich ein Moralist mit didaktischen Zielen. So schildert er 1979 in „Jailbird“ („Galgenvogel“, 1980) die Verfehlungen des politischen Systems der USA von McCarthy bis Watergate, in „Hocus Pocus“ den sozialen Verfall westlicher Zivilisationen. Als Essayist und Redner kämpfte er gegen Militarismus, Umweltzerstörung und Nationalismus. Zynisch schilderte er den Alltag des amerikanischen Durchschnittsbürgers, und mit ähnlich schwarzem Humor behandelte er auch sich selbst, etwa sein Altern veralbernd: „Es heißt, das erste, was im Alter nicht mehr funktioniert, sind die Beine oder die Augen. Das stimmt nicht. Das erste, was nicht mehr funktioniert, ist rückwärts Einparken.“

Mit solcher Ironie wird die Lebensbilanz erträglich: Leben heißt „sich entweder vor Langeweile oder vor Angst in die Hose zu scheißen“. An Leib und Seele hatte Vonnegut erfahren müssen, wozu die Menschheit fähig ist. Durch und durch pessimistisch, erhob er dennoch unentwegt gegen grassierende Missstände seine Stimme. Kurt Vonnegut erlag nun 84-jährig in New York den Folgen einer Kopfverletzung, die er sich vor ein paar Wochen bei einem Sturz zugezogen hatte.

Thomas Schäfer

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