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Bedrohte Wörter: Alles urst, oder was?

"Knorke", "urst", "Flegel": Der Berliner Autor Bodo Mrozek sammelt vom Aussterben bedrohte Wörter und hat sie bereits in seinem Buch "Lexikon der bedrohten Wörter" veröffentlicht. Ein Interview zum internationalen Tag der Muttersprache am Mittwoch.

Herr Mrozek, was sind bedrohte Wörter?

Ein bedrohtes Wort ist eines, das schon kommenden Generationen nichts mehr sagen könnte.

Wie stellen Sie fest, ob Wörter vom Aussterben bedroht sind? Reicht es, dass Wörter wie Flegel oder Kavalier heute einfach nur putzig wirken?

Ja, das wäre für mich auf jeden Fall ein Indiz, wenn ein Wort putzig klingt oder sich sperrig im Mund anfühlt. Oder wenn man merkt: 'Dich habe ich schon lange nicht mehr verwendet.' Das ist aber auch eine individuelle, subjektive Entscheidung und insofern keine harte Kategorie. Natürlich werden alte Menschen ganz andere Wörter geläufig finden als Junge. Ein Anhaltspunkt könnte aber sein, ob Wörter noch in Lexika und Wörterbüchern enthalten sind.

Bei welchen Wörtern finden Sie persönlich deren Status als "bedroht" besonders tragisch?

Ich sehe mich nicht als Sprachpfleger. Ich bin in erster Linie an dem Prozess interessiert, weshalb ein Wort verschwindet. Häufig geraten Wörter in Vergessenheit, weil die Dinge, die sie bezeichnen, aus unserem Alltag verschwinden. Ebenso können alte von neuen Wörtern, so genannten Neologismen, verdrängt werden wie der "Hagestolz" (heute "Single") oder das Gabelfrühstück (heute "Brunch"). Eine persönliche Verbindung habe ich zu Wörtern, die ich noch aus meiner Kindheit kenne - zum Beispiel "Bandsalat" oder "Wählscheibe", die mich an vergangene Kulturtechniken erinnern. "Hupfdohle" oder "Groschengrab" (für Parkuhr) habe ich bei meinen Großeltern gehört.

Wie ernst ist die Lage - wie viele Wörter sind schätzungsweise vom Aussterben bedroht?

Das kann man nur sehr schwer eingrenzen. Der Bereich ist ja noch wenig erforscht. Es gibt zwar Anhaltspunkte dafür, wie viele Wörter neu entstehen: Der Duden hat innerhalb von acht Jahren 8000 Wörter neu aufgenommen, das sind pro Tag zwei neue Wörter. In Medienauswertungen werden täglich sogar bis zu zehn neue Wörter entdeckt. Was aber das Aussterben angeht, da hat auch die Sprachwissenschaft bisher sehr wenig unternommen. Daher ist es schwierig zu sagen, wie viele Wörter aus der aktiven Sprache verschwinden. Neuerdings gibt es im Duden aber eine Liste von rund 500 veralteten Wörtern. In meinem Lexikon habe ich rund 700 Wörter gesammelt.

Finden Sie persönlich denn auch Dinge dufte, schauen Hupfdohlen hinterher oder beschweren sich über die Lorke, die ihnen serviert wurde?

Das mag vorkommen, ja. Es ist vielleicht so eine Art Berufskrankheit des Wörtersammlers, dass ihm alte Wörter wieder vertraut werden und er dabei Gefahr läuft, sie auch zu benutzen. Es kann mir passieren, dass ich von einer "Lorke" spreche, wenn der Kaffee zu dünn war. Und wenn ich mich über die Musik des Schallplatten-Alleinunterhalters freue, versteht kein Mensch mehr, dass ich damit den Disc-Jockey gemeint habe.

Können bedrohte Wörter auch für immer verloren gehen, also tatsächlich aussterben?

Ja, aus dem aktiven Wortschatz verschwinden viele Wörter. Ich finde es allerdings beruhigend, dass Wörter, im Gegensatz zu bedrohten Pflanzen oder Tierarten, wieder zum Leben erweckt werden können, indem man sie einfach in den Mund nimmt. Allerdings müssen das dann sehr viele Leute auf einmal tun. Ein probates Mittel ist es oftmals, wenn ein Prominenter ein Wort benutzt. Beispiel sind die "Petitessen" für Kleinigkeiten. Die waren in den 1970er Jahren bereits aus dem Duden gestrichen worden. Als Willy Brandt öffentlich von "Petitessen" sprach, war das Wort plötzlich wieder in aller Munde und wurde wieder in den Duden aufgenommen.

Sehen Sie sich als Schützer bedrohter Wörter?

Nein. Allenfalls als Denkmalpfleger. Sprachretter bin ich nicht. In erster Linie sammle ich Wörter.

Internet: www.bedrohte-woerter.de

(Von Alexandra Burck, ddp)

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