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Beefsteak-Frage: Nabokov erklärt Puschkin

Den berühmten Onegin-Kommentar gibt es jetzt endlich auf Deutsch.

Es ist schwer zu entscheiden, ob es mehr um Nabokov oder mehr um Puschkin geht, wenn man diese üppige Ausgabe vor sich hat. Zwei Bände im Schuber: Der eine ist der berühmte Kommentar Nabokovs zu Puschkins Versroman „Eugen Onegin“, der zweite „Eugen Onegin“ selbst, aus dem Russischen übersetzt unter Berücksichtigung von Nabokovs Übersetzungsprinzipien: ungereimt, wortwörtlich.

Vielleicht machte Tschaikowskys „alberne, hingepfuschte Oper“, so Nabokov, den „Onegin“ zu allgemeinem Kulturgut. Ab und zu hört man von dem einen oder anderen, meist englischsprachigen Dichter, den der Versroman so faszinierte, dass er selber zu schreiben begann, wie Vikram Seth. Der allerdings hatte eine gereimte Übersetzung gelesen, weswegen ich seine Begeisterung genauso wenig verstehen kann wie es Nabokov könnte. Denn aus einer gereimten Übersetzung ergibt sich ein drittklassiges Werk. Der Plot, reich an Anspielungen auf romantische und sentimentalistische Novellen jener Zeit (im 20. Jahrhundert nannte man dieses Anspielungsverfahren „Postmoderne“), reicht allerdings, um zum Lesen so vieler Verse zu verleiten. Ohne es zu merken, verschluckt ein normaler, muttersprachlicher Leser sehr dichte, komplexe und nicht unbedingt in jedem Segment narrative Gedichte.

Was soll jedoch ein nichtrussischer Leser tun? Der englische konnte seit 1964 Nabokovs Kommentar lesen. Nun kann der deutsche Leser das auch. Das Problem ist gelöst. Die gewaltige Arbeit an Kommentar und Übersetzung dauerte 15 Jahre und wurde von Nabokov selbst als Schreibzimmer-Heldentat bezeichnet: Unmengen von Erläuterungen zu den gesellschaftlichen Normen und deren Verletzungen, essayistischen, ab und zu memoirenartigen Exkursen. Leidenschaftliche Kommentare zu Pflanzen, Insekten, Speisen und Getränken. Nur ein Beispiel: „Das europäische Beefsteak war seinerzeit eine kleine, dicke, dunkle, frische, saftige, zarte, aparte Scheibe vom Lendensteak mit einer großzügigen bernsteinfarbenen Fettschicht auf der Messerseite. Es hat, wenn überhaupt, wenig zu tun mit unseren amerikanischen steaks, dem geschmacklosen Fleisch ratloser Rinder“. Alles glänzend geschrieben und vorzüglich übersetzt.

Ein wissenschaftlich fundierter Kommentar? Wohl auch, in gewissem Sinne. Es gibt eine Anekdote: Der Sprachwissenschaftler Roman Jakobson soll sich gegen Nabokovs Kandidatur für die Professur in Harvard ausgesprochen haben. Als man ihn fragte, wie er einen so großen Schriftsteller ablehnen konnte, sagte er, der Elefant sei auch ein großes Tier, doch niemand werde ihn zum Zoologieprofessor ernennen.

Bei aller Erudition bleibt Nabokov bezaubernd subjektiv. Er verteilt die Noten mit launischer Selbstverständlichkeit. Schwindelerregend wie er alle zeitgenössischen Lyriker als „mindere“ Dichter abfertigt oder Dostojewskij zu einem „stark überschätzten Verfasser von Schauerromanen“ macht. Aber Nabokov ist kein Murrkopf, er ist genauso kategorisch in seinen lobenden Urteilen. Und er ist in diesem Werk ein charmanter Gesprächspartner. Denn was kann besser sein, als einen großartigen Schriftsteller über einen anderen großartigen Schriftsteller sprechen zu hören?

Vladimir Nabokov: Kommentar zu Eugen Onegin. A. d. Engl. von Sabine Baumann. 1332 S. – Alexander Puschkin: Eugen Onegin. Ein Versroman. A. d. Russischen von Sabine Baumann unter Mitarbeit von Christiane Körner. Stroemfeld Verlag Frankfurt am Main, 295, S. 73,63 €.

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