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Beethovenhalle: Die Demokratie verliert ihr Gedächtnis

Bonns Beethovenhalle ist ein einmaliges Zeugnis der Bundesrepublik – nun soll sie abgerissen werden.

Zwanzig Jahre Mauerfall, die Party ist vorbei. Man reibt sich die Augen und stellt fest: Von den historischen Zentren, die einstmals das geteilte Deutschland verkörperten, ist Nennenswertes kaum übrig geblieben. In Berlin ist es die Platzrandkulisse eines ehemaligen Staatsratgebäudes, das in Zukunft vom Humboldt-Forum zur Nebenstraßenbestückung degradiert werden wird. In Bonn hatte der Bundestag schon 1987 entschieden, die Keimzelle seiner parlamentarischen Geschichte, den alten Plenarsaal von Hans Schwippert, abreißen zu lassen. Bei der entscheidenden Sitzung hatten es die Grünen vorgezogen, im Bonner Hofgarten gegen das atomare Wettrüsten zu protestieren und nicht für den Erhalt des Plenums zu votieren.

Demokratie als Bauherr verstand sich 1960 mit Adolf Arndts markiger These – sie sei nur so viel wert, wie ihr das Bauen wert sei – als staatstragendes und verantwortungsvolles Unternehmen. Heute gewinnt man von dieser Demokratie eher den Eindruck, dass Zeugnis gebende Existenzen zugunsten geschichtsseliger Rekonstruktionen, verheißungsvoller Renditen und falscher Erwartungen aufgegeben werden. Ob in Berlin, Bonn oder Hannover, wo der Landtag beschließt, seinen von Dieter Oesterlen entworfenen Sitz aus dem Jahr 1962 abzureißen, obwohl er als Ikone der Nachkriegsmoderne gilt. Demokratie bedeutet auch, dass Parlamentarier ihre Meinung ändern dürfen und neue Beschlussvorlagen diskutieren. Das rettete den Landtag in Hannover vorerst.

In Bonn sind es die Mitglieder des Stadtrates, die derzeit über das Schicksal der Beethovenhalle als Konzerthaus und historische Stätte der Bundesrepublik Deutschland bestimmen. Bundespräsidentenwahlen, KSZE-Versammlungen, Parteitage, auch Staatstrauern fanden hier statt. Das 1959 erbaute Festhaus von Siegfried Wolske, ein herausragendes Beispiel organischer Architektur, hat die Stadt durch dauerhafte Nichtunterhaltung vor die Hunde gehen lassen. Die am Rheinufer aufragende Stadtkrone ging aus einem großen internationalen, viel beachteten Wettbewerb hervor. Mit der Errichtung hatte die Stadt mutig den erst 28-jährigen Scharoun-Schüler Wolske beauftragt.

Heute gleicht das Umfeld der Beethovenhalle einer Asphaltwüste mit bedrohlichem Altglasanteil, lokale Wirtschaftsunternehmen wittern ihre Chance. Eine Allianz der Staatsfolgeunternehmen – Postbank, Post und Telekom – versucht als Stiftungsfinder für ein neues Beethovenfestival Bonn ein Danaer-Geschenk zu überreichen: Sie hatten einen beschränkten Wettbewerb für ein Beethoven-Festspielhaus anstelle der Beethovenhalle ausgelobt, mit dessen Ergebnis gleichsam der Abbruch begründet wird. Aus der prominenten Teilnehmerschar wurde der „Diamant“ von Zaha Hadid zum Favoriten gekürt. Ein Paradebeispiel der signature-architecture, das die Börsenkurse der Stifter steigen und ihre Steuerlast fallen lässt. Der Bonner Stadtrat hingegen sitzt vor dem geschenkten Baubudget von 75 Millionen Euro wie das Kaninchen vor der Schlange. Jürgen Nimptsch, der neue Oberbürgermeister, hat sich deshalb jetzt zu Bürgerbefragung entschieden. Er muss prüfen, ob und wie die Stadt ein neues Festivalhaus in Bonn betreiben kann, während ihn das Projekt eines Weltkongresszentrums in einen Nothaushalt zu reißen droht.

Allein der Initiative der Universität Bonn ist zu verdanken, dass man sich während dieser Entscheidungsphase der bestehenden Beethovenhalle besinnt. Bei einem Kolloquium wurde Diskurskultur, in der Demokratie als Bauherr nicht das eine gegen das andere ausspielt, vorgeführt. Adolf Arndt war in diesem Demokratie- und Bauherrenverständnis bestens herauszuhören. Ein Modell, nach dem sich auch andernorts, etwa in Berlin um ICC und Deutschlandhalle, konstruktiv streiten ließe. Nur so ist das Verschwinden der letzten Spuren beider deutschen Republiken aufzuhalten.

Jörg Rüter

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