zum Hauptinhalt
Zweite Heimat, erste Heimat. Seit 20 Jahren lebt Jinran Kim in Berlin.

©  Mike Wolff

Begegnung mit Künstlerin Jinran Kim: Meine Farbe, die Asche

Trümmerfrauen und Trümmerlandschaften: Die in Berlin lebende südkoreanische Künstlerin Jinran Kim zeigt ihre Bilder in der Matthäuskirche am Kulturforum.

Vor ihrem Atelierfenster wächst seit ein paar Monaten etwas in die Höhe, das Jinran Kim eigentlich gefallen müsste. Um die Kuppel kreisen Kräne. Mit Tempo hat sie sich einen Platz in der Stadtsilhouette behauptet, lugt hervor als Platzhalter der Geschichte. Aber Jinran Kim ist nicht glücklich damit – damit, dass das Berliner Schloss wieder aufgebaut wird. „Ist doch Disneyland“, sagt sie. Selber hat sie sich gerade sehr lange damit beschäftigt, die Stadt in Schutt und Asche zu malen. Mit Ruinen, die im Nebel und Rauch der Bombendetonation verschwinden. Trauerlandschaften, gemalt in Schwarz und Weiß. Was aber keineswegs heißt, dass Jinran Kim all diese Gebäude wieder am liebsten auferstehen lassen würde.

Um Erinnerung geht es in ihrem Werk – und welcher Ort wäre besser geeignet, diese Bilder zu zeigen, als die Matthäuskirche am Kulturforum, selber Symbol der Kriegszerstörung. Nichts mehr steht von der einstigen großbürgerlichen Bebauung ringsum. Ein ganzes Quartier wurde ausgelöscht und der Stüler-Bau nach dem Krieg als einziger wieder aufgebaut. Bis Oktober hängen im Kirchenschiff die längsformatigen Aschebilder, die aus der Ferne aussehen wie asiatische Tuschezeichnungen idyllischer Naturszenerien. Auch in der Apsis hat die Künstlerin eines platziert, direkt über dem Altar. Ein heller Strom bricht aus dem Grau in Grau. Man kann darin einen Fluss sehen oder auch einen Blitz. Sie selbst nennt es „Unter den Linden“, das Bild einer Straße mit verwüsteten Rändern.

Ihre Serie „After the Rain“ basiert auf dokumentarischen Ruinenfotografien, nach denen sie in Archiven sucht. Real sind die Orte, die sie malt. „Ich stelle mir vor, wie es eine Minute nach dem Bombenabwurf war.“ Wie sich Stille, wie sich Qualm ausbreitet. Für Jinran Kim müssen das meditative Momente sein. Sie malt mit Asche. Dazu verbrennt sie Holzreste aus Altbauten, Fensterrahmen, Türen, vermischt den Staub mit Farbpigmenten. Wie Aquarellzeichnungen, nicht wie Malerei wirken ihre Bilder von irritierender Schönheit. Darf man das, Grauen so darstellen? Für Jinran Kim ist das eine sehr europäische Frage. Sie sagt, in Asien ist das Schöne nicht nur für das Gute und Angenehme da. Auch das Tragische kann ästhetisch sein.

Trümmerfrauen sind Vorgängerinnen der modernen, freien Frau

Befremdlich wirkt auf den ersten Blick eine weitere Serie, die die Künstlerin in der Galerie der Kirche zeigt. „Trümmerfrauen“ heißt sie; zu sehen sind auf diesen kleinformatigen Zeichnungen lauter Geishas – oder koreanisch: Kisaeng –, die durch verfallene Straßen laufen, an der eingestürzten Fassade des Berliner Doms und der Volksbühne vorbei, an den jäh in den Himmel ragenden Stahlträgern des Bahnhofs am Alexanderplatz. Sie packen nicht mit an, sondern bewegen sich wie Traumwandlerinnen durch die Szenerie, Besucherinnen aus der Heimat der Künstlerin. Geishas waren Bewahrerinnen der Kultur und in ihrem gesellschaftlichen Status Vorgängerinnen der modernen, freien Frau. So sieht Jinran Kim auch die Trümmerfrauen.

Ihre Kunst hat immer auch eine feministische Seite. In ihrer Performance „Exercise in Futility“ (Übung in Vergeblichkeit) reinigt sie einen Fußboden aus Seife. Er schäumt und nutzt sich ab. Putzen ist in Korea immer noch ausschließlich Aufgabe der Frau, Jinran Kim spielt in dieser Aktion auf den reinigenden Effekt an, den es hat, wenn man sich von äußeren Einflüssen befreit.

1994 zieht die Künstlerin von Seoul nach Berlin. Sie will Abstand schaffen zwischen sich und ihrer Heimat. Berlin scheint ihr gerade recht, denn sie sucht nach einem Ort mit viel Geschichte. Man könne davon nur lernen, denkt sie. In Südkorea hat sie Bildhauerei an der National University studiert, in Berlin schreibt sie sich für vier Jahre an der Universität der Künste ein. Als sie ankommt, ist es kalt und dunkel. Damals, erinnert sie sich, hat die Luft überall nach Asche gerochen. Der Geruch der Kohleöfen im Prenzlauer Berg, wo die meisten ihrer Freunde wohnen, verbindet sich mit den visuellen Eindrücken: Überall sieht die junge Frau Einschusslöcher und Verfallenes.

Die Ruine der Gedächtniskirche beeindruckt sie

Auch Korea hat einen Krieg erlebt, ihr Land ist immer noch geteilt. Nur gehen beide Länder unterschiedlich mit der Vergangenheit um. Dass die Kirche am Breitscheidplatz in der West-Berliner City einfach als Ruine dasteht, zum Gedächtnis, beeindruckt sie noch heute. Jinran Kim kommt aus einer Stadt, in der alle Schäden nach dem Koreakrieg 1953 schnell beseitigt wurden. Da wurde ein kompletter Neuanfang gemacht, Traditionen wurden ausgelöscht.

Ob sie ihre Bilder auch schon in ihrer Heimat Südkorea ausgestellt hat? Leider nein, sagt die Künstlerin. Dort interessiere man sich nicht dafür. „Sie sind nicht bunt genug“, sagt Jinran Kim, so einfach sei das. Der Markt fragt nicht nach ihr. Nur: „Wie sollte ich denn Aschebilder bunt malen?“ Andererseits beobachtet sie auf ihren Reisen in die alte Heimat, wie stark man dort „mit einer ständigen Angst vor einem drohenden Krieg“ lebt. Vielleicht malt Jinran Kim deshalb so, wie sie malt: Wer die Gespenster fixiert, hat sie schon halb gebannt.

Matthäuskirche am Kulturforum, bis 11. Oktober, Dienstag bis Sonntag 11–18 Uhr. Zur Langen Nacht der Museen am 29. August spricht Helga Cent-Velden über ihre Erlebnisse im zerstörten Berlin, außerdem Jinran Kim über ihre Kunst. Details: www.lange-nacht-der-museen.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false