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Begehrlichkeiten: Raubkunst: Frühstück mit Rembrandt

Es ist das Aufreger-Thema der letzten Jahre – und wird uns noch lange erhalten bleiben, wenn die Krisenbarometer, die einen Run auf alte Kunst verheißen, nicht täuschen: Neue Debatten und ein Buch befeuern die Fehde um die Restitution von Raubkunst.

Um die Rückgabe der von den Nationalsozialisten geraubten Kunstwerke ist spätestens seit der Berliner Kirchner-Debatte ein erbitterter Streit entbrannt. Und beide Seiten sparen nicht mit Vorwürfen, sprechen von besitzgierigen Museen, die sich der Aufarbeitung ihrer schmutzigen Vergangenheit verschließen, oder geldgierigen Erben, denen es nur um die schnelle Vermarktung der Werke gehe. Es ist eben auch viel Emotion, viel Bitterkeit im Spiel.

Wenn nun der Londoner Museumsmann Norman Rosenthal im „Spiegel“- Interview einen Schlussstrich unter die Debatte ziehen will, gießt er bewusst Öl ins Feuer. Einmal, weil Rosenthal, selbst ein Sohn jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland, unverholen tadelt, dass mit Restitutionen eben auch viel Geld gemacht wird. Dass es Anwälte gibt, die sich auf dieses Feld spezialisiert haben. Und dass der aufgeheizte Kunstmarkt eben auch Begehrlichkeiten geweckt habe. Brisanter jedoch ist, dass Rosenthal, der lange die Londoner Royal Academy geleitet hat, dafür plädiert, überhaupt nicht mehr zu restituieren. Nicht die Beutekunst aus deutschen Institutionen, die seit dem Zweiten Weltkrieg in Russland lagert. Nicht die Werke, die Napoleon aus den Museen der Welt zusammenklaubte oder die während der russischen Revolution enteignet wurden. Nicht die Antiken, vom Parthenon-Fries über den Pergamon-Altar bis zu Nofretete, die europäische Gräber im 19. Jahrhundert aus den Ursprungsländern entfernten. Und eben auch nicht die von den Nationalsozialisten ihren Eigentümern abgepressten Meisterwerke, mit denen sich Museen in Deutschland und rund um die Welt heute schmücken.

Schon hat Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Sammlungen Dresden, Rosenthals Vorstoß als abwegig bezeichnet, Bayern und Thüringen beteuern, an der Rückgabepraxis festhalten zu wollen. Restitution, sagt Rosenthal hingegen, heilt keine Wunden, und er fordert: Die Werke müssen öffentlich zugänglich bleiben. Bei Kirchners „Berliner Straßenszene“ und Klimts „Goldener Adele“, beide heute in Ronald Lauders Neuer Galerie in New York, ist das gelungen. Andere Werke, auch die vier gemeinsam mit der „Adele“ restituierten Klimt-Gemälde, verschwanden in Privatsammlungen.

Aber aus solchen Privatsammlungen stammen sie eben auch. Diesen Sammlern ist nun ein höchst aufschlussreiches Buch gewidmet. „Verlorene Bilder. Verlorene Leben“ erzählt das Schicksal jüdischer Sammler, deren Namen erst jetzt wieder an die Öffentlichkeit gelangen – im Zuge der leidigen Restitutionsstreitigkeiten. Diesen Menschen ihre Lebensgeschichte, aber auch ihre kunsthistorische Bedeutung wiederzugeben, ist Anliegen des Buchs, das von Restitutionsexperten wie Monika Tatzkow und Gunnar Schnabel („Nazi Looted Art“), aber auch von Biografen wie Melissa Müller und Thomas Blubacher bestückt wurde. Es war höchste Zeit.

Es sind unterschiedliche Wege, die zur Kunst führten. Großbürgerliches Selbstverständnis, wie in der Berliner Bankiersfamilie Mendelssohn, wo die Geschwister Francesco und Eleonore in der Villa ihrer Eltern unter einem Rembrandt frühstückten. Aber auch Aufsteigerkarrieren wie die des Bankdirektors Max Steinthal, der das Sammeln erst lernen musste. Kunstkritiker wie Paul Westheim, Händler wie Jacques Goudstikker oder Walter Westfeld, Verleger wie Bruno Cassirer, Museumsberater wie Sophie Lissitzky-Küppers hatten von Berufs wegen mit Kunst zu tun. Anrührender sind die Viten der Industriellen und Bankiers, die, aus Repräsentationsbedürfnis oder Begeisterung, erst nach und nach den Weg zur Kunst fanden. Wie der Breslauer Unternehmer Max Silberberg, der sich immer schrecklich darüber aufregte, dass die Gäste seiner prachtvollen Villa Barlachs Holzplastik „Die Trauer“ im Entree des Hauses als Hutablage missbrauchten.

Fotos haben die Lebensumstände überliefert. Schlossähnliche Villen in Berlin, Breslau oder Wien, prachtvolle Interieurs im Neogotik- oder Neorenaissance-Stil, unbeschwerte Sommerfrische in den Bergen oder am Mittelmeer, Kinder im weißen Kleid bei der Hausmusik, schöne Frauen mit Bubikopf: Eine Kulturgeschichte der glücklichen Gründerjahre wird in diesen Biografien spürbar.

Im heutigen Bewusstsein der Deutschen scheint diese Zeit unwiederbringlich verloren zu sein. Nicht nur die kostbaren Sammlungen, die man sich zumindest in Katalogform einmal angemessen aufgearbeitet wünschte, sind in alle Winde zerstreut. Auch die Namen ihrer Hüter, die im Berlin der Weimarer Republik eine bedeutende Rolle spielten, sind gründlich vergessen. Das ist, als ob heute niemand mehr Ernst von Siemens oder den jüngst im ZDF wieder gewürdigten Alfred Krupp von Bohlen und Halbach kennen würde. Das Leben von Max Steinthal, Alphonse de Rothschild oder Robert von Mendelssohn erzählt kein TV-Mehrteiler.

Im Gegenteil. Der Auslöschungsversuch der Nazis ist über Jahrzehnte hinweg grausam geglückt. Armut, Exil, Vergessen stehen am Ende aller Biografien. Sophie Lissitzky-Küppers stirbt verarmt in Sibirien, Else Bendel arbeitete als Putzfrau in Wien, Thekla Hess hungerte in England, Francesco von Mendelssohn starb in der Irrenanstalt. Keiner von ihnen sah die Werke wieder, mit denen sie in besseren Zeiten lebten. Fast alle haben die bittere Erfahrung schnöder Abweisung durch die Institutionen gemacht, die genau wussten, welch unrechtes Gut sie hüteten. Das Drama endet in Tod und Verzweiflung. War das wirklich der letzte Akt?


Melissa Müller, Monika Tatzkow: Verlorene Bilder. Verlorene Leben.
Elisabeth-Sandmann-Verlag, München 2009, 34 €. Am 4. Mai wird das Buch im Jüdischen Museum Berlin vorgestellt (19.30 Uhr).

Christina Tilmann

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