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Béla Tarr

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Béla Tarr: Schweigen ist Gold

Nach dem Wirbel um das Tagesspiegel-Interview: Der Start von Béla Tarrs Berlinale-Erfolg „Das Turiner Pferd“ wird in Ungarn massiv behindert.

Ungarische Künstler, seien sie noch so berühmt, tun derzeit gut daran, die rechtsnationale Regierung unter Viktor Orbán nicht zu kritisieren. Denn wer das seit Orbáns Wahl zum Ministerpräsidenten vor knapp einem Jahr mit reichlich Schwung angeschobene Umbauprojekt Ungarns von der Demokratie zur Autokratie öffentlich infrage stellt, muss nicht nur mit politischem Gegenwind, sondern mit Kampagnen zur künstlerischen und ökonomischen Kaltstellung rechnen. Da helfen auch frische internationale Lorbeeren nichts, im Gegenteil.

Dem Filmemacher Béla Tarr, in Ungarn so prominent wie Wim Wenders hierzulande, wurde jetzt ein TagesspiegelInterview mit regierungskritischen Äußerungen zum massiven Problem. Veröffentlicht einen Tag, nachdem er mit „Das Turiner Pferd“ den Großen Preis der Berlinale-Jury erhalten hatte, löste das Interview unter staatstreuen ungarischen Filminstitutionen einen Entrüstungssturm aus. Am deutlichsten distanzierte sich der Chef des staatlichen Verleihs Mokep, Bálazs Gulyás, von dem Regisseur, dessen Filme er im Programm führt. Bisher habe er Tarrs Ankündigung bedauert, nach „Das Turiner Pferd“ als Regisseur aufhören zu wollen, sagte er; das „dumme Interview“ aber habe dieses Gefühl abgetötet. Unterdessen ist die für Donnerstag dieser Woche geplante festliche Budapester Premiere des preisgekrönten, keineswegs unmittelbar politischen Films abgesagt worden. Auch wird Mokep ihn in Ungarn entgegen ursprünglichen Plänen nicht ins Kino bringen.

Durch die Wüste. Béla Tarrs Film "Das Turiner Pferd" hat auf der jüngsten Berlinale den Großen Preis der Jury gewonnen.
Durch die Wüste. Béla Tarrs Film "Das Turiner Pferd" hat auf der jüngsten Berlinale den Großen Preis der Jury gewonnen.

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In dem per Tonaufzeichnung dokumentierten und am 20. Februar veröffentlichten Interview hatte Tarr unter anderem gesagt, in Ungarn finde derzeit eine Art „Kulturkampf“ statt. Die Regierung hasse die Intellektuellen und diffamiere sie als Landesverräter. Auch kritisierte er in scharfen Worten die Arbeitsbedingungen der Filmemacher in seiner Heimat. Die Regierung habe ihre Unterstützung gestoppt, treibe Produktionsfirmen in den Bankrott und staatliche Förderzusagen seien bloß noch „Klopapier“. Nach einem Telefonat mit dem ungarischen Kulturstaatssekretär Géza Szöcs und Interventionen seines Verleihers sowie des Ungarischen Produzentenverbands distanzierte Tarr sich, wie berichtet, in Ungarn von dem Interview. „Ich pflege auf diese Art weder zu kämpfen noch zu diskutieren“, sagte er der ungarischen Nachrichtenagentur MTI. Er halte es für „sehr erniedrigend, dass dies alles den Erfolg des Films beschmutzt und ihn auf das Niveau der Tagespolitik heruntersetzt“.

Tatsächlich: Ähnlich wie seit Jahren in Berlusconis Italien muss sich nun offenbar die Kunst in Ungarn, das derzeit den EU-Ratsvorsitz innehat, von Tagespolitikern beurteilen und gegebenenfalls zensieren lassen. Zudem zerstört die Regierung allenthalben gewachsene demokratische Strukturen nicht nur in den Medien, sondern auch massiv im Kulturbereich. So ist jüngst die ungarische Filmförderstiftung mit ihrem achtköpfigen Kuratorium abgeschafft worden. Inzwischen entscheidet im Auftrage der Regierung der Hollywoodproduzent Andrew G. Vajna als Geldverwalter allein. Vajna hatte in Ungarn unter anderem „Rambo“ und „Stirb langsam“ herausgebracht.

In diesem Klima regieren derzeit Unsicherheit und Angst bei ungarischen Künstlern, nicht nur unter den Filmemachern. Hinzu kommen, angefacht von regierungsnahen TV- und Printmedien, Kampagnen in Internetforen, bei denen kritische Künstler wie Tarr wahlweise als „Schmarotzer an Volkes Steuergeld“, „Landesverräter“ oder auch „schäbige bezahlte Sprecher der sozialistischen Partei“ beschimpft werden. Die Zeitung „Pester Lloyd“ bilanzierte die Vorgänge um Béla Tarrs kritische Äußerungen nun deshalb so: „Wer sich jetzt nicht freundlich genug verhält und den Ruf Ungarns in den Schmutz zieht, weil er, wenn auch völlig übertrieben, die Wahrheit sagt, wie es Künstler eben tun, der schneidet nicht nur sich selbst zukünftig von der Förderung ab, sondern auch die Kollegen in seinem Umfeld.“ Diese Lehre „scheint angekommen“.

Besonders hervorgetan in der neuen Geschmeidigkeit hatte sich schon früh die Vereinigung der Ungarischen Filmschaffenden, indem sie Béla Tarr aufforderte, er solle „auf jedem internationalen Forum“ verdeutlichen, er habe nur seine „ganz persönliche Meinung“ gesagt. Im übrigen wirke es „besonders unglücklich“, wenn ausgerechnet ein Regisseur Kritik äußere, der für seine Filmprojekte „maßgebliche Unterstützung vom ungarischen Staat“ bekommen habe. Deutlicher kann man sich wohl nicht zum Büttel der Politik machen.

Unterdessen wird, was die Absage des Staatsverleihs Mokep im Zusammenhang mit dem „Turiner Pferd“ betrifft, eine offizielle Sprachregelung verbreitet. Der Vertrag zwischen Mokep und der Produktionsfirma sei „im Einverständnis aufgelöst worden“, heißt es. Dem Vernehmen nach hatte Mokep den nach Asghar Farhadis „Nader und Simin, eine Trennung“ erfolgreichsten Berlinale-Wettbewerbsbeitrag in Ungarn nur mit einer Kopie starten und darüber hinaus allenfalls per Beamer in sogenannten „e-cinemas“ zeigen wollen. Tarr habe dagegen mehr Kopien verlangt.

Diese Variante des Vorgangs wirkt insofern besonders kurios, als Tarrs stiller Endzeitfilm, der in einem entlegenen Puszta-Gehöft spielt und dessen lebendes Personal aus kaum mehr als einem Kutscher, seiner Tochter und einem Pferd besteht, exzellent fotografiert ist – und entsprechend exzellente Projektionsbedingungen braucht. Immerhin: Der Wechsel zu einem anderen Verleih zeichnet sich ab. Vielleicht wird so Béla Tarrs großartiges Kunstwerk nun doch noch das derzeit leider allzu trübe Licht der ungarischen Welt erblicken.

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