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Kultur: Bericht aus Beirut

Workshops, Anschläge, Autowracks: Ankommen in einer verrückten Stadt / Von Matthias Lilienthal.

Meine Wohnung liegt im armenischen Viertel Geitawi. Sie ist schön und groß. Direkt gegenüber schreit ein Mann alle zehn Minuten. Er war Arabischlehrer, bevor er gefeuert wurde. Jetzt unterrichtet er die Straße in Schimpfwörtern und Flüchen, und davon gibt es in der arabischen Sprache viele. Das Licht geht an, mit ausladender Rhetorik donnert seine Stimme. Sie gleicht dem Organ eines Burgtheaterschauspielers. Im Viertel heißt unsere Straße „die Straße mit dem Verrückten“. Niemand regt sich drüber auf, man lebt einfach damit.

Das erste Treffen mit den Studenten. Es sind vierzehn. Ein Drittel kommt aus dem Mittleren Osten, ein Drittel kommt aus westlichen Ländern und hat arabische Wurzeln, ein weiteres Drittel ist, wenn man so sagen kann, rein westlich. Alle sind zur „Postgraduate“-Ausbildung hier im Ashkal Alwan’s Home Workspace. Gleich am Abend wird gefeiert; das alte Klischee von Beirut als der Hauptstadt der Partys und des Mondänen. Irgendwie ist es so, aber auch wieder nicht.

Mit den Studenten machen wir Touren durch die Stadtviertel. Je mehr sie mit fremden Texten hineingehen und die Situation übersteigern, je interessanter wird es. Hinter dem Verkaufsraum von Peugeot stehen Unfallfahrzeuge. Man sieht, wo sich die Köpfe in die Windschutzscheibe gebohrt haben. Der Autofriedhof als Metapher für die Stadt. Wir werden vertrieben, sollen keine Fotos machen.

Nach ein paar Wochen haben sich die Studenten daran gewöhnt, dass ich hauptsächlich bildende Künstler einlade. Phil Collins hat sie eingewickelt, begeistert. Er flirtet mit jedem. In seinem Workshop zeigt er Filme, beschäftigt sich mit Tanz. Er sagt, dass dieses Studienjahr die seltene Möglichkeit eröffne, sich als Kollektiv zu begreifen; was nachher im Job so schwer zu finden ist. Als er abreist, ist es wie das Ende einer Liebesaffäre. Alle haben einen Kater, ohne getrunken zu haben.

Ich sitze in meinem Büro und telefoniere mit Deutschland. Da gibt es einen großen Knall. Hört sich an wie eine Bombenexplosion, aber wird bestimmt nichts Ernstes sein, so höre ich mich sagen. Studenten und Mitarbeiter bleiben am Fenster hängen. Eine Rauchwolke steigt über dem zentralen Platz des christlichen Viertels Aschrafieh auf. Zunächst scheint es ein Anschlag auf die Christen zu sein, dann stellt sich heraus, dass er dem Geheimdienstchef galt. Die Libanesen sind deprimiert. Sie denken: Jetzt kommt das wieder, was das Land 22 Jahre lang beherrscht, zerstört hat; Anschläge, Bürgerkrieg, die Spirale der Gewalt.

An einem Sonntag, es ist immer noch warm, fahre ich zum Sporting Club, einem Schwimmbad am Meer. Überall stehen Panzer und Militär, die Demonstranten gehen zum Begräbnis. Habe ich einen Knall, schwimmen zu gehen, während diese Menschen um ihr Überleben kämpfen? Aber zur Demo zu gehen ist zu gefährlich, ich kenne mich nicht aus in den Dutzenden politischen Gruppierungen und ihrem politischen Wollen. Ich höre in der Ferne immer wieder die Sirenen von Krankenwagen. Ein Anruf: Bleibt wo ihr seid, geht nicht raus, ist nicht so gut. – Ein halber Tag Bürgerkrieg. Die Demonstranten sind zum Regierungssitz gezogen und haben den Rücktritt der Regierung verlangt. Wir schauen auf einen kitschigen Sonnenuntergang, essen überteuerte Pommes und betrachten das verkommene Schwimmbad aus den Siebzigern mit seiner Betonarchitektur, es wurde unmittelbar vor dem Bürgerkrieg gebaut.

Die Wucht der Explosion hat mein Fenster aufgedrückt. In der Nacht bleibt es in einigen Bezirken unruhig, dann geht das Leben weiter, als sei nie etwas passiert. Am Tag danach sitze ich im Pilates-Kurs mit den langhaarigen Schicksen aus Aschrafieh, mache alles falsch und kann mir nicht vorstellen, dass es je anders war. Willkommen in Beirut! Verdammte Dekadenz!

Matthias Lilienthal war bis Sommer 2012 Intendant des Hebbel am Ufer Berlin. Derzeit leitet er in Beirut das internationale, interdisziplinäre Ashkal Alwan’s Home Workspace Program. 2014 kuratiert er das „Theater der Welt“ in Mannheim. Seine Eindrücke aus der libanesischen Hauptstadt veröffentlichen wir hier in loser Folge.

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