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Alles drin. Christoph Kellers „Expedition-Bus and Shaman-Travel“ (2002), zu sehen auf der abc, hat ein faltbares Dach, einen Mantel aus Aluminium und einen Video-Player samt Beamer, auf dem man diverse Filme sehen kann.

© Christoph Keller / Esther Schipper, Berlin

Berlin Art Week: Paradies für Grenzgänger

Sechstagerennen der Kunst: Startschuss für die Berlin Art Week – und die Stadt wird zum Messeplatz. Vom 11. bis 16. September vereinen sich in Berlin die Kunstinstitutionen, Galerien und Sammler, um eine neue Marke zu prägen. Berlin soll als internationale Kunststadt wieder attraktiver werden.

Der Kunstherbst ist tot, lang lebe die Kunst! An die Stelle der 1996 gegründeten zentralen Berliner Messe Art Forum rückt ab dem heutigen Dienstag ein sechstägiger Kunstmarathon unter den Namen Berlin Art Week. Mit der Verkaufsausstellung abc und der Preview, die sich beide in den vergangenen Jahren als ergänzende Messeformate zum Art Forum sahen und denen nun weit mehr Bedeutung zukommt. Mit Eröffnungen, Talks, Dinnerpartys und privaten Initiativen wie der Neuhängung der Sammlung von Christian und Karen Boros im umgebauten Bunker in Mitte.

Thomas Demand, zuletzt groß in der Neuen Nationalgalerie zu sehen, stellt aktuell in den Galerien Sprüth Magers und Esther Schipper aus. Die Malerin Katharina Grosse, die zu den ersten Nominierten des Preises der Nationalgalerie für junge Kunst gehörte, hat ein wandfüllendes abstraktes Spraybild in der Sammlung Hoffmann fertiggestellt. Und der Berliner Architekt Arno Brandlhuber schüttet nicht bloß Tonnen von Beton in die Räume des Neuen Berliner Kunstvereins (NBK), er setzt im Gegenzug auch das Untergeschoss der Galerie KOW unter Wasser. Ein Wechselspiel zwischen zwei Orten: An dem einen wird Kunst gewöhnlich zum Verkauf ausgestellt, die andere gehört zu jenen Institutionen, die lieber nicht in den Ruch des Kommerziellen geraten wollen. Tatsächlich ist dieser Schulterschluss strategisch gemeint und in dieser Konsequenz wohl einzigartig: Man rückt zusammen, damit Berlin keinen weiteren Schaden nimmt.

Die Absage des Art Forums im Herbst 2011 hat gezeigt, was geschieht, wenn man in dieser vom Kunstmarkt umkämpften Zeit auch nur einen Millimeter weicht. Andere Messen wie die FIAC in Paris, die Turiner Artissima und selbst die Art Cologne, die erst ein halbes Jahr später im Rheinland stattfand, haben die heimatlos gewordenen Galerien aufgenommen und so gut betreut, dass sie nun keine weitere Messe mehr in ihrem Kalender brauchen. So hat sich das Art Forum letztlich selbst abgeschafft – mit zunehmendem Tempo, nachdem die letzten Leiter ab 2009 die Idee verfolgten, aus der quirligen Berliner Veranstaltung ein etabliertes Forum zu machen, wie sie es von der Art Basel kannten.

Berlin ist aber nun einmal anders. Die Zahl der zugezogenen Künstler überflügelt die der hiesigen Sammler um ein Vielfaches. In der Stadt konzentrieren sich so viele junge, experimentelle Galeristen, dass selbst etablierte Kunsthändler hier Guerilla-Galerien simulieren. Noch gibt es genügend urbane Leerstellen, an denen sich Überraschendes inszenieren lässt – etwa der Umbau einer Kirche durch den Galeristen Johann König, der in der Kreuzberger Alexandrinenstraße nicht bloß neue, ungewöhnliche Räume für seine eigenen Künstler schaffen will, sondern gleich einen ganzen, attraktiven Standort. Die erste öffentliche Besichtigung der (noch unsanierten) Räume findet am morgigen Mittwoch statt – im Rahmen der Art Week.

Ein Format, das aus der Not entstanden ist. Wer kritisch auf das Programm mit dem gelben, alles umarmenden Kreis schaut, dem fallen schnell Ungereimtheiten auf. So eröffnet von institutioneller Seite einzig C/O Berlin eine Ausstellung (mit Arbeiten von Jörg Sasse), und die Akademie der Künste präsentiert mit Douglas Gordon am Wochenende den Träger des renommierten Käthe-Kollwitz-Preises 2012. Alfredo Jaar in der Alten Nationalgalerie, die Schau „Manifesto Collage“ in der Berlinischen Galerie oder Morton Bartlett im Hamburger Bahnhof sind schon vor Monaten gestartet. Etliche Ausstellungen enden just mit der Berlin Art Week.

Dabei muss man aber in Rechnung stellen, dass gerade diese Häuser schwer zu manövrierende Tanker sind. Mit Programmen, die auf Jahre im Voraus geplant und kurzfristig nicht zu variieren sind. Dass sich deren Direktoren Udo Kittelmann (Nationalgalerie), Marius Babias (NBK), Susanne Pfeffer (KW Institute for Contemporary Art) oder Thomas Köhler (Berlinische Galerie) überhaupt mit den Organisatoren zweier Verkaufsveranstaltungen an einen Tisch setzen, die das Herzstück des Kunstherbstes bleiben, ist eine kleine Sensation. Die wiederum mit dem Generationenwechsel zusammenhängt, der sich in jenen Institutionen vollzogen hat. Es geht nicht mehr um den Widerspruch, meint Babias: „Hier der böse Kunstmarkt, dort die kommerziell unabhängigen, öffentlich geförderten Häuser.“ Vielleicht bietet gerade Berlin mit seinem offenen, aber konzentrierten Zusammenschluss nun eine Alternative.

Das Konzept der abc-Messe, die nicht länger wandert, sondern sich für den Standort Berlin entschieden und augenfällig vergrößert hat, greift die spezielle Situation der Stadt jedenfalls auf. Berlin als Ort der Produzenten steht im Fokus, an die Stelle einer kuratierten Schau rückt zwar erneut die Selbstinszenierung der Galerien vor dem Display einer offenen Ausstellungsarchitektur. Begleitend aber haben die Organisatoren, darunter die Galerien Guido Baudach, Mehdi Chouakri, Martin Klosterfelde und Neu, den Artists Space aus New York eingeladen. Eine Institution, die sich seit 1972 im Auftrag des Bundesstaates New York um die Förderung junger Künstler kümmert. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit neuen Formen der Produktion, mit den Verhältnissen zwischen Kunstmarkt und Institutionen und der Präsentation von Kunst. Für die abc hat Artists Space 27 internationale Kreative – von Verlagen über Buchhandlungen wie „Pro qm“ über Kinos und Städteplaner bis hin zum Berliner Designlabel Bless – gebeten, ihre Projekte zu präsentieren.

Auch hier zeichnet sich ein Grenzgang ab, der vorbildhaft wirken kann. Wo Künstler wie Olafur Eliasson oder Anselm Reyle für Modemanufakturen Taschen kreieren, Architekten künstlerische Projekte realisieren und Designer konzeptuelle Entwürfe fertigen, lohnt sich der Blick auf das Interdisziplinäre. Dazu passen keine engen Kojen, sondern ein innovatives Format wie die Berlin Art Week: Das Publikum zwängt sich nicht länger durch stickige Messehallen. Stattdessen erkundet es die Stadt – was auch den bislang auf dem Art Forum vertretenen Galerien die Möglichkeit gibt, sich neu zu inszenieren. Und der Besucher dieses neuen, gehäuteten Kunstherbstes: Geht er den Weg mit?

Informationen: www.berlinartweek.de.

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