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Orient im Neonlicht. Die Teppichskulptur „PrayWay“ des Kollektiv Slavs and Tatars von 2012.

© Stefan Korte

Berlin Art Week: Ritt auf dem Teppich

Programm überall: Der Kunstherbst lockt das Publikum in die Stadt – und zur Verkaufsschau abc.

An der Grube treten sie sich gegenseitig auf die Füße. Um einen Blick auf die Baumaschinen zu erhaschen, die am Schinkel-Pavillon hinterm Kronprinzenpalais den Boden für ein neues Luxusquartier bereiten. Es sind aber nicht irgendwelche Bagger, die hier für eine halbe Stunde jenseits trister Erdarbeiten tanzen: Das abendliche Ballett, eine Performance mit Sound und Pyrotechnik, hat der junge Franzose Cyprien Gaillard inszeniert. Ein Star in der Kunstmanege. Und so lassen sich denn auch alle, die die Berlin Art Week seit Dienstag auf Trab bringt, wie am Nasenring in den Pavillon führen, von dessen Terrasse aus das Spektakel im Bauloch allerdings schon ab der dritten Zuschauerreihe kaum noch zu sehen ist.

Aber hätte man Mittwochabend ohnehin nicht anderswo sein müssen? Auf dem Empfang, den die Kölner Kunstmesse Art Cologne parallel im Lapidarium gibt, um angereiste Sammler gleich auch über die Kunst im Rheinland zu informieren? Und vorher noch ins Stadtbad Oderberg, wo die Berlin Art Week einen Tag nach ihrem offiziellen Beginn dann auch ganz offiziell eröffnet wird? Es mag Unermüdliche geben, die seit Mittag dank VIP-Shuttle durch Berlin kreuzen und alles abhaken können. Doch spätestens mit einer Einladung zur Party ins Soho-Haus, für die Nominierung der Anwärter des nächsten Preises der Nationalgalerie am Kurfürstendamm und diversen Billets zu privaten Galerie-Dinnern in der Tasche wird jedem klar, dass der Kunstherbst der Stadt keine neue Übersichtlichkeit bringt. Sondern im Gegenteil so viel bündelt, dass man sich sechs Tage lang immer wieder neu entscheiden muss.

Manche Überschneidung wäre nicht notwendig gewesen und lässt vermuten, dass die Fraktionen hinter den Kulissen immer noch ringen. Die Preview als Messe für Entdeckungen. Die art contemporary berlin (abc) mit mächtigen Berliner Galerien im Rücken, die ihre Verkaufsausstellung mit arrivierten Positionen versehen. Diverse Institutionen wie die Nationalgalerie, das Haus der Kulturen der Welt oder die Berlinische Galerie mit unterschiedlichen Strukturen. Dazwischen die Kulturprojekte als Landesgesellschaft und Netzwerker. Diese junge Kooperative muss augenscheinlich erst zusammenwachsen und wirbt sich mitunter gegenseitig die Aufmerksamkeit ab.

Kompensation ist das andere große Thema. Wie stark das Art Forum seit seiner Gründung 1996 dann doch als Fixpunkt gewirkt hat, wurde vergangenes Jahr offenbar: Die Absage der wichtigsten Kunstmesse der Stadt hinterließ gerade auf internationalem Parkett den Eindruck, Berlin habe im Herbst kein konzentriertes Programm mehr zu bieten. Das Gegenteil ist der Fall, und der Zugewinn nicht allein, aber klar auf der abc sichtbar. 2008 von einer Handvoll Berliner Galeristen gegründet, die als Sessionisten ihren alternativen Auftritt zum Art Forum wollten, hat sich die Initiative von einer experimentellen „Nebenveranstaltung“ (Galerist Guido Baudach) zum neuen Nukleus entwickelt. Dass man mit dem Wegfall des Art Forums in eine andere Rolle hineinwachsen wolle, hieß es denn auch zur Eröffnung im Station, dem ehemaligen Kreuzberger Postbahnhof.

Auf der abc sind 129 Galerien vertreten, jede mit einer eigenen künstlerischen Position

Was das bedeutet, ist ab dem heutigen Freitag für alle sichtbar: Es gibt in diesem Jahr kein übergeordnetes Thema und folglich keinen Grund mehr zum zwanghaften Kuratieren. Die 129 Galerie aus 18 Ländern stehen jeweils nur für eine künstlerische Position wie Rana Begum (The Third Line, Dubai), Chiharou Shiota (Matthias Arndt, Berlin), Poul Gernes (Gallerie Bo Bjerggard, Kopenhagen) oder Yotaro Niwa (Contemporary Art Gallery Hong Kong) – es sei denn, man entscheidet sich wie Meyer Riegger (Berlin/Karlsruhe) für Partnerschaften. Was nicht schwerfällt, wenn die Galerien Maureen Paley (London) und Andrew Kreps (New York) dieselben Künstler vertreten. Douglas Gordon, David Thorpe und Jan Macuska werden nun großzügig, aber strickt voneinander getrennt präsentiert.

Damit erinnert wenig an die stickigen Kojen vergleichbarer Messen, in denen möglichst dicht gehängt wird, weil jeder Quadratmeter kostet. Die abc verlangt pro Künstler 3800 Euro. Ob Wolfgang Laib sich dann mit seinem Reisfeld (Galerie Buchmann/Preis auf Anfrage) eindrucksvoll ausdehnt oder Sofie Bird Møller stark vergrößerte und übermalte Kupferstiche (Sassa Trülzsch/je 8000 Euro) an eigens geschmiedeten Ständern aufhängt, bleibt Sache der Galerie.

Ähnlich stark differieren die Preise. An der Wand der Editionsgalerie Helga Maria Klosterfelde findet sich für 1000 Euro eine Arbeit von Ulrike Heise aus verschieden farbigen Erden. Die Berliner Galerie Thomas Fischer bietet Skulpturen von Marcel Frey (1800-5400 Euro), der Alltagsobjekte trickreich verfremdet. Für die großen, konstruktiven Aluminiumbilder des amerikanischen Künstlers Ned Vena (Galerie Societé) muss man inzwischen 16 000 Euro bezahlen und ein Vielfaches, nämlich 100 000 US-Dollar, für die wunderbare Wandarbeit von Seung-tack Lee aus den siebziger Jahren (Gallery Hyndai, Seoul). Er wollte sich dem Geschmack seiner Generation nicht anpassen und war deshalb fast vergessen.

Was für Subodh Gupta keinesfalls gilt. Der indische Künstler, Jahrgang 1964, hat längst die Millionengrenze geknackt und ist auch hier mit einer aktuellen Skulptur für immerhin 380 000 Euro vertreten. Wer lieber in junge Kunst mit Potential investiert, der schaut gegenüber bei Barbara Thumm auf die monumentale Arbeit von Anna K.E.: ein Mixed-up aus Zeichnungen und Videos für 38 000 Euro. Die Künstlerin ist nicht einmal dreißig, wird aktuell mit Preisen überhäuft und gilt als rising star. Ganz wie die abc, von der man paradoxerweise sagen kann: Noch nie sah sie so sehr nach Messe aus wie dieses Mal. Und noch nie war sie besser. Ihre Gesellschafter sollten nicht länger mit Wortkonstrukten wie Messeformat verwirren, sondern sich endlich eine Messe mit innovativem Charakter nennen.

abc, Station, Luckenwalder Str. 4-6, 14.9.: 12–20 Uhr, 15./16.9.: 12–19 Uhr

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