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Kultur: Berlin-Bücher: Die Sprache der Steine

Architektur ist immer wieder als Ausdruck politischer Selbstdarstellung benutzt worden. Gerade in unserer Zeit, und vor allem in der selbstverliebten "Bundeshauptstadt Berlin", erlebt dergleichen eine neue Blüte.

Architektur ist immer wieder als Ausdruck politischer Selbstdarstellung benutzt worden. Gerade in unserer Zeit, und vor allem in der selbstverliebten "Bundeshauptstadt Berlin", erlebt dergleichen eine neue Blüte. Egal, ob es sich nun auf den Reichstag oder das mit Pomp der Fertigstellung entgegensehende Bundeskanzleramt bezieht. Überhaupt dürfte es ein latentes Prinzip der Architekturgeschichte sein, dass (Staats-)Bauten sich weniger einem Harmoniebedürfnis als einem Überbietungswillen verdanken.

Wenn das schon nicht abzuleugnen ist mit Blick auf heutige bauliche Großtaten, wie viel mehr muss es dann gelten für die vorangegangenen Abschnitte deutscher Geschichte, insbesondere den Nationalsozialismus, aber auch den Wilhelminismus. Es liegt auf der Hand, dass Berlin in dieser Frage den Referenzort schlechthin darstellt. Nun hat Godehard Hoffmann, Denkmalpfleger im Rheinland, ein instruktives Buch vorgelegt, fragend überschrieben mit: "Architektur für die Nation?" Für seinen Untersuchungszeitraum (1871 bis 1918) differenziert der Autor zwei staatliche Architekturformen: die des Bundesstaates Preußen, deren Bezugspunkt in den klassi(zisti)schen Regeln der Schinkel-Schule wurzelte; und die Reichsbauten, darunter auch der Reichstag, die sich eines neubarocken Stils befleißigten oder der Neorenaissance huldigten. Diese vermeintlich "ausdrucksstärkeren", imposanteren Bauformen waren indes beileibe keine rein deutsche Vorliebe, sondern in Europa und Nordamerika gleichermaßen en vogue.

Das Reich als Ganzes und Preußen als dessen zentraler Bestandteil - mit einer jeweils eigenen und ganz anderen Staatsarchitektur? Das ist denn doch eine verblüffende These. Nun waren es jedoch, laut Hoffmann, weniger unterschiedliche Selbstdefinitionen oder gegenseitige symbolische Abgrenzungsversuche, als vielmehr das Wirken der "Reichsbauabteilung", die diesen Unterschied bedingten. Sie sah ihre Aufgabe keineswegs nur in der Umsetzung eines wie auch immer ambitionierten Bauprogramms, sondern entwickelte eine eigene Stilsprache, mit dem Ziel einer gewissen Einheitlichkeit. Pluralismus an Form und Ästhetik war unerwünscht: Das Reichsgericht in Leipzig sollte genauso wiedererkennbar vom kaiserlich geeinten Deutschland künden wie andere Repräsentanzen in Frankfurt, München oder Köln. Im Lichte dieser Argumentation erhält die Baubehörde eine Rolle in der Architekturhistoriographie, die ihr bislang nirgendwo zugebilligt wurde. Ist das aber für eine breitere Leserschaft von Interesse?

So bleibt es nicht aus, dass die Gedanken über die Lektüre hinausgehen. Je mehr ein Stil Ausdruck seiner Zeit ist, desto weniger kann er später noch Norm und Muster sein - es sei denn, ein aktuelles Interesse möchte jene Normen und Werte aus der Vergangenheit in die Gegenwart aktivieren. Doch das kennen wir ja bereits: Im gleichen Maße, wie der Nationalstaat die europäische Selbstdefinition des 19. Jahrhunderts widerspiegelte, war der Historismus in ästhetischer und künstlerischer Hinsicht konstitutiv für die Suche nach nationaler Identität. Nun, das hat sich hoffentlich überlebt. Allerdings, obgleich sich heute die Gewichte und Interpretationslinien erheblich verschoben haben, lässt sich die Gleichsetzung von "Stil" und "Weltanschauung" noch immer nachweisen. Die ersten Bundesbauten in Bonn - etwa von Schwippers und Ruf - waren durchaus als programmatische Visualisierung eines Neuanfangs gemeint. Tunlichst mied man jede Monumentalität; leicht, transparent, schwebend sollte die Architektur sein - und damit auch eine neue Politik vermitteln.

Am Ende bleibt Hoffmanns Frage offen: Ob Architektur die politische Ordnung spiegeln - oder gar stabilisieren - kann, ist ohne Ideologie nicht zu beantworten. Selbst der Blick zurück zeigt nur, dass der Eklektizismus und Historismus des 19. Jahrhunderts politische Symbolik in aufdringlicher Weise eingesetzt hat. Aber vielleicht kaschierte man damit ja nur eine fehlende - kulturelle und gesellschaftliche - Allgemeinverbindlichkeit.

Robert Kaltenbrunner

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