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Das Berlin Documentary Forum im Haus der Kulturen hat für sich bereits festgestellt: „Dokumentarische Bilder sind künstlerische Bilder“

© dpa

Berlin Documentary Forum: Spekulieren geht über Probieren

Das Berlin Documentary Forum im Haus der Kulturen zeigt gefundene und erfundene Wirklichkeit.

Sie haben sich nie getroffen. Auch wenn das Plakat, das in den Straßen von Beirut hängt, etwas anderes behauptet: Rafik Hariri, der 2005 ermordete Ministerpräsident des Libanon, und Gamal Abdel Nasser, bis 1970 Präsident von Ägypten und einer der arabischen Führerfiguren in den fünfziger und sechziger Jahren, stehen sich darauf gegenüber. Diese offensichtliche Fotomontage ist für den libanesischen Theatermacher Rabih Mroué Anlass für Spekulationen. Wie sich die beiden Männer getroffen haben und warum, das erzählt er in einer Mischung aus Performance und Lesung zur Eröffnung des fünftägigen Festivals „Berlin Documentary Forum“ im Haus der Kulturen der Welt.

Alleine sitzt Mroué auf der Bühne, sein Skript liest er vor, auf dem Laptop drückt er die Diashow weiter. Ganz nebenbei dekodiert er dabei die Bildertraditionen seiner Kultur. Zeigt, wie Porträts von Toten in eine Art Kreislauf treten. So entdeckt Mroué auf Märtyrer-Bildern der Hisbollah, dass immer nur die Gesichter ausgewechselt werden, der Körper jedoch derselbe bleibt. Oder dass Selbstmordattentäter nach ihrem Tod immer als Konterfei im Hintergrund des nächsten Bekennervideos erscheinen. Mroué arbeitet dokumentarisch, mit Fundstücken von der Straße. Indem er sie interpretiert, trifft er den Kern eines Problems: Ist ein Bild ohne Interpretation überhaupt lesbar?

Das Berlin Documentary Forum hat für sich diese Frage bereits beantwortet: „Dokumentarische Bilder sind künstlerische Bilder“, sagt Hila Peleg. Sie ist die Leiterin des internationalen Festivals, das nun alle zwei Jahre stattfinden soll – und eine Reaktion darauf ist, dass die verschiedenen Sparten der Kunst immer häufiger mit dokumentarischen Mitteln arbeiten. Es stellt sich die Frage: Was leistet das Dokumentarische, wenn es nicht mehr darum geht, eins zu eins abzubilden?

Noch bis Sonntag läuft dieses engagierte Pilotprojekt. Der Stundenplan ist dicht, die Texte im Begleitheft sperrig. Da kann einem schon der Kopf brummen, vor lauter grundsätzlichem Diskurs über den Unterschied von Realität und Wirklichkeit. Der Besucher muss sich selbst zurechtfinden in der Vielstimmigkeit der verschiedenen Positionen.

Vieles ist in diesem Jahr erst angestoßen worden und soll beim nächsten Mal weiterentwickelt werden. Wie etwa das Projekt „Blind Spot“ der französischen Kuratorin Catherine David, die als kleinen Appetizer auf 2012 schon mal Arbeiten des dänischen Konzeptkünstlers Joachim Koester präsentiert. Koester hat sich auf die Suche nach der Kommune des Okkultisten Aleister Crowley im sizilianischen Cefalú gemacht. Das Haus ist heute verfallen und überwuchert, einzelne Freskenreste aus dem sogenannten Albtraum-Raum sind erhalten, seit Crowley 1923 des Landes verwiesen wurde. Koester hat eine Videoprojektion und eine Fotoserie des Tatorts produziert, dessen Spuren einerseits auf dessen Geschichte, die Fakten, verweisen, andererseits dem jetzigen Betrachter allerhand Raum bieten für Spekulationen – zumal bei solch einem mystischen Thema.

Schwerpunkt des Festivals ist jedoch, bei aller Interdisziplinariät, der Dokumentarfilm. In der Reihe „Documentary Moments: Renaissance“ werden Filme von Alain Resnais, Edgar Morin, Marcel Ophüls und Frederick Wiseman gezeigt, die für einen Neuanfang des Genres in der Nachkriegszeit stehen. Wiederentdeckt werden außerdem die Arbeiten des deutschen Fernsehautoren Michael Mrakitsch. Es ist eine posthume Ehrung, Mrakitsch starb im März im Alter von 76 Jahren. In „Djibouti oder Die Gewehre sind nicht geladen – nur nachts“ aus dem Jahr 1975 thematisiert er sein Scheitern, einen deutschen Fremdenlegionär zu porträtieren. Der hatte sich ihm plötzlich verweigert, und so muss Mraktisch und sein Team andere Bilder aus der französischen Kolonie einfangen: Minutenlang fahren sie an den Straßenrändern der Armenviertel entlang, die Kamera filmt gleichsam das eigene Unvermögen, näher an die Menschen heranzukommen. Immer wieder hört man Stimmen aus dem Filmteam, „Idiot“ ruft einer, weil ein Kind durch das Bild gelaufen ist. Gleichzeitig ist der Autor so von diesen Menschen eingenommen, dass der Sprecher einem Drogen kauenden Mann Gedanken auf den Leib textet, in Ich-Form. Diese Filme aus den Siebzigern und Achtzigern, die für das deutsche Fernsehen entstanden sind, vereinnahmen den Zuschauer einerseits mit einer höchst essayistischen Stimme aus dem Off, gleichzeitig macht Mrakitsch seine eigene Unzulänglichkeiten transparent. In seinen Filmen offenbart sich die ganze Problematik des Dokumentarischen.

Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, bis 6. Juni, Tagesticket 12/8 €, www.hkw.de

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