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Kultur: Berlin, du bist so billig

Wie die Peripherie in die Innenstadt kam: Ein Rundgang um die O2-Arena

Die neue, größte Halle Berlins, die O2-Arena oder World, wie der Betreiber sie nennt, liegt wie ein gestrandeter Walfisch im Niemandsland zwischen Ostbahnhof und Warschauer Straße. Veranstaltungen mit bis zu 17 000 Zuschauern sollen hier bald alle Tage stattfinden. Darauf jedenfalls hoffen die Erbauer. Die Eisbären werden hier spielen, genauso wie Alba Berlin. Coldplay, Herbert Grönemeyer und Leonard Cohen geben sich die Ehre. Und auch die Pferde von Apassionata galoppieren bald durch die Halle.

Rund um den Bau, der wegen seiner einem Bartenwalmaul ähnelnden Front an eben jenen Meeressäuger erinnert, liegen neue Straßen, deren Bürgersteige noch nicht genutzt werden, was an den Unkrautbüscheln zwischen den Pflasterplatten zu sehen ist, die im feuchten Sommer in den Ritzen gesprossen sind. Noch schläft die Gegend, bald aber, wenige Tage noch, und die neue Welt erwacht.

Anwohner, die das stören könnte, gibt es keine. Ein einziges Haus ist am Rand des Geländes stehen geblieben, eingerüstet und zurückgesetzt, als wüsste es selbst nicht so genau, was es hier noch soll, liegt es an der neuen Marianne-von-Rantzau-Straße, in der Autovermieter ihre Kastenwagen abgestellt haben. Andere Straßen des Karrees heißen Valeska-Gert-, Helen-Ernst-, Mildred-Harnack-, Hedwig-Wachenheim- und Wanda-Kallenbach-Straße. Wer hier spazieren geht, lernt viele Frauen kennen.

Die neue Halle, das große Ding, in dem so viel stattfinden soll, ist von riesigen Parkplätzen umgeben. Schöne Parkplätze, die um das Riesentier herum eine das Auge beruhigende Ordnung herstellen. Hier sind nicht einfach Abstellflächen entstanden, nein, hier haben, Modellbau in ganz Groß, Landschafts- und Parkplatzarchitekten sich besondere Mühe gegeben. Noch herrscht Frieden auf dem Gelände, noch parkt da ja kein einziges Auto unter den hohen Laternenmasten und den noch höher aufragenden, weiß lackierten Fahnenmasten. Nur ein einzelner, hier sehr klein wirkender Mann steht da und wässert die frisch gepflanzte Grünumrandung des Parkplatzes, zu der auch ein mit melonengroßen Kieselsteinen gefüllter Graben gehört.

Bodenplatten aus Rinnit, einem Kunststein, der Granit ähnlich sehen soll, sind um die Halle herum verlegt worden. Viele der dicken Steinplatten, vielleicht sind zu viele bestellt worden, stapeln sich wenige Tage vor der Eröffnung noch vor dem Seiteneingang auf Paletten. Sie bilden kleine Gebirge und verdecken fast die Sicht auf die obligatorischen Deko-Bäumchen, die auch hier, vor der steinernen Seitenfassade der Arena, nicht fehlen dürfen.

Hier, wo vorher gar nichts war, scheint alles frisch und neu. Oder war hier nicht mal was? Gab es hier, zwischen alten Gleisanlagen nicht einmal eine Lagerhalle, in der sich bis 2003 das Ostgut befand? Der vielgerühmte, legendäre Club, der seinerzeit nicht Wenigen als der beste Club der Welt galt? Jetzt hat der Mainstream hier gebaut. So verändert sich die Stadt.

Weil es in seiner Umgebung heute nichts mehr gibt, muss das große, neue Ding auch keine Rücksicht nehmen. Es liegt da ja ganz allein, als hätte es sich ein paar Mal gedreht und hin und her gewendet und dabei alles plattgewalzt. Unversehrt blieb nur der Fuhrpark der BSR auf einem Gelände zur Warschauer Straße hin. Die Berliner Stadtreinigung ist der einzige echte Nachbar der Arena.

Die Halle, wie sie nun dasteht oder -liegt, sieht nicht wirklich billig aus, nein. Aber auch nicht so, als hätte man sich besonders viel Mühe gegeben. Zweckarchitektur hat eben ausgereicht, die Lage spricht für sich, Aufmerksamkeit ist ihr gewiss. Außerdem stehen die Reste der größten Attraktion, die Berlin je hatte, ja gleich gegenüber. Die East-Side-Gallery, der beliebteste Fotohintergrund der Stadt, vollgekrakelt und neuerdings mit Bildern von Unterhosen mit Eingriff bemalt, wartet auf der anderen Seite der Mühlenstraße. Um einen Zugang zum Wasser zu schaffen, wurde ein Stück von etwa 75 Meter Länge herausgetrennt und eine Spree-Terrasse mit Bootsanleger gebaut. Das war eine gute Idee, endlich ist der Fluss zu sehen und die Mühlenstraße etwas weniger eingemauert. Überdimensionierte Leuchtwände, eine steht fast am Wasser, weisen auf die kommende Eröffnung hin, zeigen aber auch, dass die Peripherie hier mitten in die Stadt geraten ist. Und dass der Investor bauen durfte, was er wollte.

Und auf einmal fällt es auf, der Baugrund war so preiswert, Berlin, du warst hier so billig zu haben, du hast ja so viel Platz, es war nicht einmal nötig, ein Parkhaus zu bauen. In keiner anderen Stadt wäre der Investor so billig davongekommen. Aber es sollen ja gar nicht alle mit dem Auto kommen. Deshalb ist auch ein neuer Weg angelegt worden, der von den S- und U-Bahnhöfen Warschauer Straße zur Halle führt, hindurch unter der an der Unterseite nun frisch blassgelb gestrichenen Warschauer Brücke.

Die bisher nur für Strandbars hinter der Mauer bekannte Terra incognita, mit der andere Investoren noch so viel vorhaben, ist nun erschlossen. Besucher können mit S- oder U-Bahn, mit dem Auto oder dem Schiff anreisen. Vielleicht finden in der Arena eines Tages sogar Parteitage statt. Und, nein, es ist keine große Kuppelhalle geworden. Die Halle ist nur ein klein wenig megalomanisch. Richtig größenwahnsinnig ist sie nicht. Komisch allerdings, dass die größte Halle Berlins nun ausgerechnet nach dem kleinsten aller deutschen Mobilfunkanbieter heißt. Wenn man sie so anschaut, wie sie groß und breit und wichtig daliegt, es könnte einem schon der Gedanke kommen, Helmut-Kohl-Arena wäre auch ein schöner Name gewesen.

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