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Berlin Festival: Kirmes, Konfetti und fitte alte Herren

Der erste Tag des Berlin Festivals mit Konzerten von Austra, CSS, Primal Scream, Santigold, Suede und Wire.

In Hangar 5 ist schon um halb fünf Uhr nachmittags Partystimmung. Auf der Bühne tobt die französische Sängerin Yelle zu knalligen Dancebeats herum. Und alle machen mit: tanzen, klatschen, lachen. Konfetti fliegt durch die Luft. Von einem Schlagzeuger und einem Keyboarder begleitet, verwandelt die 28-Jährige die Halle auf dem Flughafen Tempelhof in den von ihr besungenen „Safari Disco Club“.

Erstaunlich gut zündet kurz zuvor auch der Synthie-Pop von Austra auf der Hauptbühne des Berlin Festivals. Die kanadische Gruppe um die klassisch geschulte Sängerin Katie Stelmanis entspinnt eine atmosphärische Düsterromantik, die sie mit tanzbaren Rhythmen kombiniert. Die Songs „Lose It“ und „Darken The Horse“ vom aktuellen Album „Feel It Break“ sind Höhepunkte dieses überzeugenden Sets. Mitunter klingt es ein bisschen nach Fever Ray, deren Konzert im vergangenen Jahr einer der Höhepunkte des Berlin Festivals war. Sie spielte damals in einem der Hangars, wo es extrem eng war. Diesmal sind die Bühnen an der Längs- statt an der Stirnseite aufgebaut. Es gibt keine Gitter und Zugangsschleusen mehr zwischen den Hallen, was den Publikumsfluss erleichtert. Auf dem Flugfeld verteilen sich zudem ein Autoscooter, eine Kopfhörer- Disco, Kunst,- Essens- und Infostände.

Gerade haben The Rapture einen mittelprächtigen, aber gut besuchten Auftritt auf der Hauptbühne. Deshalb erleben nur wenige der knapp 15 000 Besucher das tolle Konzert des kalifornischen Trios Rainbow Arabia, das mit vertrackten, vielschichtigen Beat- und Schlagzeugspuren arbeitet. Dazu trillert, haucht und singt die lässige Tiffany Preston, die gelegentlich auch Akzente mit ihrer schwarzen Gibson SG einwirft. Der Sound driftet auf angenehm organische Weise zwischen Psychedelik und Hektik umher, was irgendwann auch die dichter werdenden Publikumsreihen in Bewegung versetzt.

Kindergeburtstagsatmosphäre dann wieder in Hangar 5, wo das südamerikanische Kollektiv CSS seinen zwischen Le Tigre und Gossip angesiedelten Electro-Pop in die Menge schleudern. Und sich selbst: Sängerin Lovefoxx springt mehrmals zum Crowdsurfing auf die ausgestreckten Arme ihrer Fans. Auch Luftballons und Seifenblasen fliegen durch den Raum. In Sachen Tanzspaß verläuft dieser erste Festivaltag bis hierher äußerst positiv, und in Hangar 5 scheint sein geheimes Herz zu schlagen. Doch dann steht der Auftritt von Santigold an. Es wird sehr voll und auf der Bühne stehen schon drei Musiker bereit. Es gibt technische Probleme, 45 Minuten Soundcheck zerren an den Nerven. In einer halben Stunde, die sie mit dem neuen Song „Go“ eröffnet, kann Santigold das nicht wettmachen. Wie schon bei ihrem ersten Berlinauftritt im Tape vor drei Jahren wird vor allem die Warterei in Erinnerung bleiben. Dann schon lieber klassisches Brit-Pop- Entertainment mit Suede auf der Hauptbühne. Der immer noch sehr drahtige Sänger Brett Anderson lässt das Mikro über dem Kopf kreisen, hüpft wie ein Boxer herum und wirft sich mit Verve in die hymnischen Refrains, wobei ihn seine Band mit enspannter Routine begleitet. So geht’s auch. Nadine Lange

Bobby Gillespie sieht wirklich gut aus bei seinem Auftritt auf der Hauptbühne. Das Haar noch einigermaßen dicht und schwarz, schwarzes Hemd, schwarze Hose, das macht sich gut im Kontrast zu dem ausgemergelten, bleichen Körperchen. Der Mann hat was Echsenhaftes, er ist ein Popüberlebender, der den Drogen ordentlich zugesprochen hat. Überlebt hat sich seine Musik, die seiner Band Primal Scream, das 91er-Album „Screamadelica“, damals eines der Rave-Alben, auf dem der Sixties- und Britpop der Achtziger mit Acid-House und dem Dancefloor eine schöne, kurze Liaison einging. Das klingt auf der großen Bühne schon knackig, auch die schwarze Sängerin, die Gillespie begleitet, hat was. Und man merkt auch, dass Gillespie später mit den Stones und dem Southern Rock geliebäugelt hat. Vielleicht hat „Screamadelica“ in England doch mehr Spuren hinterlassen, hierzulande weht es einen aber nur noch von sehr fern an. Und waren die Happy Mondays nicht doch die coolere, kaputtere, konsequentere Rave-Band?

Wie Tanz- und Clubmusik heute geht, beweisen auf der Bühne des Hangars 5 die New Yorker Hercules And Love Affair: Disco und House, performt von drei Tief wie Hoch gleichermaßen gut beherrschenden Sängern und Sängerinnen in lustig schillernden Klamotten. Sie werden begleitet und musikalisch in Szene gesetzt von zwei nicht ganz so schillernden Typen an den Programmiermaschinen dahinter. Überhaupt fällt auf, dass bei diesem Festival analoges und digitales Musikmachen überall schöne Verbindungen eingehen. Sei es bei den Battles auf der großen Bühne, sei es bei der Apparat Band im Hangar 4, einer Kombination aus den deutschen House- und Minimal-Techno-Acts Apparat und Moderat. Die repetitiven elektronischen Muster kommen hier im Bandformat und mit Gitarren und Piano ganz schön. Die Songs, soweit sie als Songs zu begreifen sind, haben einige Klasse, vor allem aber was irgendwie Deutsches: ein bisschen pathetisch, ein bisschen sehnsüchtig-traumverloren, eine Mischung aus The Notwist und Thees Ullmann vielleicht.

Das klassische Rock-Line-up gibt’s am Ende bei Wire: Vier kernige ältere Männer, Bass, Gitarren, Schlagzeug, fertig, der Postpunk der späten siebziger Jahre, ebenfalls kernig, rau, melodiös, irgendwie akademisch. Man hört diesen Songs von Wire im Gegensatz zu Primal Scream ihr Alter keineswegs an. Das sieht man nur im Publikum, das auf einmal so ausschaut, als sei es wirklich mitten in den allerbesten Jahren. Gerrit Bartels

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