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Dubstep am Klavier: James Blake am Samstagabend beim Berlin Festival 2015

© Britta Pedersen/dpa-bildfunk

Tag 2: Berlin Festival: Harmonie vor Widersprüchlichkeit

Popmusik im Szene-Freizeitpark: James Blake sorgt für den ersten Höhepunkt des Berlin Festivals - und Fritz Kalkbrenner bringt alle zum Tanzen und Schmusen.

Der Gedanke stellt sich sofort wieder ein, wenn man so über das Gelände des Berlin Festivals spaziert und vor lauter Burger-Buden, Badeschiffen, bunten Bretterhäuschen und Werbebannern gar keine Bühnen sieht - dass nämlich dieses Festival vor allem „ Festival“ ist, ein Come-Together um des Come-Together willens, ein Event, bei dem es irgendwo und irgendwann auch Popmusik gibt, Konzerte, Live-Acts, ein Beiprogramm. Einmal auf dem Gelände, zumal am Nachmittag, als die Sonne so schön auf die Wiesen und die Spree scheint, ist kaum ein Unterschied zum Treiben am Schlesischen Tor und auf der Schlesischen Straße zu bemerken– außer dass Bierflaschen in der Hand nicht erlaubt sind, nur Bier in Plastikbechern, und dass es das beste Bier sowieso in der Mysliwska-Bar gibt, Ecke Cuvrystraße, in Gläsern!, nachmittags, da im Mysliwska die zum Festival gehörende Radio Bar aufgebaut ist.

Das Berlin Festival, das es seit 2006 gibt und hier, auf dem Gelände des einstigen BVG-Depots, zum zweiten Mal stattfindet, fügt sich organisch in den Szene-Freizeitpark von Kreuzberg. Was die Betreiber vermutlich genauso beabsichtigt haben, wie ihre Begrüßungsworte im Programmheft beweisen: „Das ganze Festival ein Dancefloor. Urban Lifestyle meets Art Village und Strandbar an der Spree, Club-Institutionen treffen auf Gegenkulturen, Hip-Hop-Performances auf Varieté-Shows, Techno-Fans auf Folk- und Indie-Nerds. Kurz: der Zeitgeist der Metropole auf einem Nenner, im Herzen der Stadt.“

Bei James Blake gibt es gar Momente der Stille

Allerdings drängen Samstagnacht trotzdem alle nach hinten zur sogenannten Arena Mainstage, zu den Konzerten von James Blake und Fritz Kalkbrenner. Vorn auf dem Gelände, im „Art Village“, ist nicht mehr so viel los. Entspannt kann man sich hier zum Beispiel den von 50, 60 Leuten schwer umjubelten Auftritt von Stephen Paul Taylor auf dem Straßenmusiker-Contest vor der Vodka Distillery anschauen. Taylor ist ein Mann mit wildem Blick und krausem blonden Haar, grünes Stirnband, Weste, bunte Hose, silberne Schuhe, ein Freak, wie er im Buche von Kerouac und Co nicht besser stehen könnte, einer, der aus seinem Keyboard und seiner Stimme Hits zaubert. Oder man kann den Auftritt einer geschmeidigen Beinverschlingungs- und Körperverrenkungskünstlerin im White Trash bewundern, der allerdings nur auf bescheidene Resonanz stößt.

Die Macht der Nacht: Sie besteht eben doch aus der Macht der großen Popmusikkünstler. Zumal das Berlin Festival am Samstagabend musikalisch nicht einmal Retro-Charakter hat, so wie in den vergangenen Jahren, sondern sehr im Hier und Jetzt verortet ist. Mit dem Auftritt des Post-Dubstep-Superstars James Blake als Höhepunkt der drei Festivaltage.

Keine Anmutung von Rock hier, nirgends

Intensiv und konzentriert spielen Blake und seine beiden Mitmusiker an Gitarre und Schlagzeug ihre Songs. Auf wundersame Weise funktioniert das selbst in diesem großen Party-Rahmen, bei einer gar nicht mal so üblen Akustik: die plötzlichen, wie aus dem Nichts kommenden Bassattacken, die stolpernden Beats, der gewöhnungsbedürftige helle Falsett-Balladengesang von Blake, die Momente der Stille, in denen nur das Gemurmel aus dem Publikum zu hören ist, diese Mischung aus Dubstep, Soul, Folk und Kirchenmusik. Natürlich verlässt im Verlauf so mancher die Halle, zuviel Konzentration nötigt Blake ab, und doch streut der 26-jährige auch Treibendes ein, Passagen, in denen der Beat sehr gerade läuft. Ihm sei daran gelegen, so sagt es der noble, sich immer wieder beim Publikum bedankende Blake einmal zwischen zwei Stücken, genau das, also die Abfahrt, das Nachvorne, in der Fremde auszuprobieren. Und wo geht das am besten, wenn nicht in Berlin?

Aber auch vor Blake war anständiger, zeitgemäßer Pop zu hören: der seltsame Folk-Elektro von Sylvan Esso, der stets zwischen den Agit-Folk-Lyrics von Sängerin Amelia Meath und den rasenden elektronischen Geräuschen und Beats von Nick Sanborn auseinanderzufallen droht, es aber nie tut. Oder der schön moderne Soul des australischen Musikers Chet Faker, den man gesanglich wie von den Sounds her gut zwischen den britischen Größen Jamie Woon und eben James Blake verorten kann – und der seine langweiligsten Momente hat, als ein Gitarrist und ein Schlagzeuger Faker begleiten, da ist das alles nur noch beliebiger Middle-of-the-road-Pop.

Dagegen keine Anmutung von Rock hier, nirgends! Wie gut! Und am Ende ist es der Berliner Fritz Kalkbrenner, der alle mit seinem smarten Schmuse-Soul- und Pop-Techno zusammenbringt, selbst den Plastik-Flamingo, der über den Köpfen ragt. Der urbane Lebensstil, das meint man bei der Begeisterung über Kalkbrenner rauszuhören, ist schon sehr auf Harmonie ausgerichtet, nicht auf kantige Widersprüchlichkeit. Der „Zeitgeist der Metropole“, der erscheint da gar nicht mehr so bunt und vielgestaltig.

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