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Noch sind die Bildschirmbetrachter im Museum nur am Bildschirm zu sehen – Visualisierung Themenraums "Krieg", mit Multimedia-Installationen.

© Kulturprojekte GmbH

Berlin im Humboldt-Forum: 45 Minuten Berlin

Weniger zeigen, mehr inszenieren: Der Regierende Bürgermeister Michael Müller und Chefkurator Paul Spies verraten, wie die Stadt sich im Humboldt-Forum im Schloss präsentieren wird.

Die Welt in Berlin, Berlin in der Welt, auf 4000 Quadratmetern in neun Themenräumen, der Besucher braucht 45 Minuten. Weniger Objekte sollen es sein, mehr Stimmung, nach dem Motto, „Geschichte darf inszeniert werden“ (Michael Müller 2015). Keine Chronik, kein Katalog, sondern ein Kaleidoskop der Stadt. Das klingt nach groß und tief und umfassend und schnell und cool zugleich, also nach der Quadratur des Kreises. Und nach Paul Spies, dem niederländischen Chefkurator, der seit seinem Amtsantritt als Direktor der Stiftung Stadtmuseum Tempo macht, auf intelligente, sympathische Weise. Und es passt zu Berlin, dieses erste detaillierte Konzept zur Berlin-Präsentation im Humboldt-Forum.

Am Montagnachmittag stellten Paul Spies und Moritz van Dülmen, Geschäftsführer der ausführenden GmbH Kulturprojekte Berlin, ihre Pläne im Märkischen Museum vor. Und weil der Regierende Bürgermeister das Humboldt-Forum letztes Jahr endlich zur Chefsache erklärte und die ursprüngliche Planung – ein "Welt der Sprachen"-Labor seitens der Stadt- und Landesbibliothek – über Bord warf, standen Michael Müller und Kulturstaatssekretär Tim Renner ihnen zur Seite. Berlin, so Müller, werde „zum Gastgeber und aktiven Part im Humboldt-Forum“. Der Regierende wird nicht müde, Paul Spies zu preisen, der sein Wahnsinnsversprechen vom letzten November, bis zum Sommer ein Humboldt-Forum-Konzept und einen Masterplan für die sechs Häuser des Stadtmuseums vorzulegen (mehr dazu hier), wahr gemacht hat und nur wenige Stunden zuvor auch im Kulturausschuss große Zustimmung erfuhr.

Berlin prescht also vor beim Humboldt-Forum, lässt die Realität anderer sich hinziehender Dauerkulturbaustellen zugunsten der Vision einer wendigen Metropole verblassen und stiehlt der Gründungsintendanz um Neil MacGregor ein wenig die Show. MacGregor will seine Ideen fürs Ganze Anfang November publik machen. So lange wollte das Land nicht warten, schließlich ist Wahlkampf.

Ermunterung zur Weltoffenheit, so lautet die Maxime

Spies trägt das Hemd offen, kritisiert in höflichem Ton die langsame Berliner Verwaltung, nennt die Berlin-Schau in in der Beletage im Osttrakt des Schlosses gern auch mal "quick and dirty". Eine Brücke zwischen der Historie des Orts im Erdgeschoss und den außereuropäischen Sammlungen in den beiden Obergeschossen möchte man schlagen im Karree rund um den Schlüterhof, Stadtgesellschaft als Weltgesellschaft präsentieren. Als oberste Devise nennt Spies die Verflochtenheit Berlins mit dem Globalisierungsprozess, die Ermunterung zur Weltoffenheit. Wobei neben dem bei solchen Konzepten unvermeidlichen Wortgeklingel – partizipativ, interaktiv, interdisziplinär, niedrigschwellig, inklusiv ... – die Politisierung der Müllerschen Ideen von 2015 ins Auge fällt. Mit Blick auf die namensgebenden Humboldt-Brüder Wilhelm und Alexander hatte Müller im Vorjahr noch enthusiastisch von berlintypischer Erziehung zur Mündigkeit gesprochen, von Neugier und Mut, in die Welt zu gehen. Jetzt paart sich der Verweis auf die positive Tradition von Bildung und Forschung mit dem Hinweis auf deren schwarze Kehrseiten, auf Kolonialismus, Rassismus, Diktatur. Auch das „Erbe der Gewalt“ gilt es zu benennen. Die Ausstellung zeige, dass der Globalisierungsprozess nicht einfach gut oder schlecht sei, sondern „sowohl emanzipatorische als auch repressive Potentiale“ freisetzt, heißt es im Konzeptpapier.

Und was soll konkret zu sehen sein? Die Ausstellung nimmt Aktuelles als Ausgangspunkt, um in die Geschichte zu blicken. Vom syrischen Flüchtling zu den Auswanderern im 19. Jahrhundert, etwa so. Los geht’s bei den neun Themen mit „Berlin-Bildern“, das Schaubild zeigt eine Art schwebende Litfasssäulen, man denkt an die Weltzeituhr auf dem Alex. Wahrzeichen und Stadt-Stereotypen sollen hinterfragt werden, vom Brandenburger Tor bis zum Wowereit-Bonmot „Arm, aber sexy“. Folgen die Bereiche Revolution, Freiräume, Grenzen, Vergnügen, Krieg, Migration, Mode und Weltdenken. Eine Mischung aus schwer, leicht und gefällig - in noch offener Reihenfolge, wie Spies betont. Der von Müller 2015 mehrfach erwähnte Industriestandort Berlin ist übrigens nicht mehr dabei. Und der Sport, merkt der Kurator selbstkritisch an, fehlt auch - das kann sich noch ändern.

Vieles bleibt vorerst offen. In welcher Form sollen Berliner Orte, Bürger, Themen zu sehen sein. Auf Fotowänden? Live-Videos? Gemälden? Es wird schon Vitrinen geben, meint Spies, aber lebendig soll es sein. Beim Richtfest hatte die Kulturprojekte GmbH sich noch blamiert, mit einer eher peinlichen Schau aus Standard-Fotomotiven, auf Pappkarton an die Betonwand geklebt. Die ersten Visualisierungen und Stichworte zu den neun Aspekten legen nahe, dass den Machern vor allem daran gelegen ist, Atmosphäre zu zaubern und Lust zu machen auf die Stadt. Sinnlich soll es zugehen, und eine Art Informationsbüro verspricht Spies mit der Ausstellung auch noch, "für alles, was man sonst noch erleben kann" in der Stadt.

Das IV. Schlossportal wird es künftig doppelt geben: als Replik und Original

So findet die „Revolution“ (von 1848 über die marschierenden Nazis und 68er bis zur Wende 1989) mit Blick auf das IV. Schlossportal statt, das es künftig ja doppelt gibt, als Replik an der neuen alten Fassade und als Original-Relikt drüben am Staatsratsgebäude. Hier rief Karl Liebknecht 1918 die Freie Sozialistische Republik aus. Bei der Mode wird neben den ins Exil gezwungen jüdischen Textilfabrikanten auch die Fashion-Week gewürdigt – setzt der Ex-Regierende Wowereit sich da ein kleines Denkmal? Eher befremdlich die Idee einer „Scan your Label“-Station: Die Besucher geben das Produktionsland ihrer Kleidung ein, auf einer Weltkarte wird es sichtbar. Die meisten Menschen tragen Kleider von Massenproduktionsstandorten, was sonst soll bitte dabei herauskommen?

Berlin, die Stadt der Mauer, der Mauer im Kopf. Stadt der Dissidenten, der Freiheitskämpfer, des CSD. Stadt der Migranten – Migranten-Communities sollen den Bereich mitgestalten. Und Partystadt, Clubstadt, Filmstadt – mit Erinnerung daran, wie Babelsberg im Exil Hollywood bereicherte und mit interaktiver Tanzfläche. Und Berlin als die Stadt, von der mit dem Herero-Massaker der erste Genozid des 20. Jahrhundert ausging, von den Nazis zu schweigen. Auch kommt das Lautarchiv aus dem Ersten Weltkrieg mit Tonaufnahmen von Kriegsgefangenen zum Einsatz.

Multimedia und Partizipation sind die großen Erkennungsmerkmale der Präsentation des Stadtmuseums im Humboldt-Forum - hier im Themenraum "Grenzen".
Multimedia und Partizipation sind die großen Erkennungsmerkmale der Präsentation des Stadtmuseums im Humboldt-Forum - hier im Themenraum "Grenzen".

© Kulturprojekte GmbH

Pars pro toto soll es zugehen, nicht enzyklopädisch – und der letzte, noch recht vage formulierte Bereich mit dem hochfliegenden Titel „Weltdenken“ schließt das ursprünglich vorgesehene Sprachlabor mit den bereits realisierten Medienkabinen ein. Damit es nicht teurer wird, auf 10,8 Millionen Euro beläuft sich das Budget von Paul Spies. Fazit: Die Die Besucher erwartet weniger eine klassische Ausstellung als ein Erlebnisparcours. Die Stadt performt sich selbst, wird zur Installation, zur immersiven Inszenierung – so lauten ohnehin die aktuellen Stichworte in der Kulturszene, von Chris Dercon demnächst an der Volksbühne bis zur Agenda der Berliner Festspiele.

Aber bitte, nicht gleich meckern. Wer weiß, was das am Ende noch wird, bei der für 2019 vorgesehenen Schloss-Eröffnung. Auch wenn MacGregor die Berlin-Ideen freudig begrüßt, und mit dem Kunsthistoriker Horst Bredekamp auch einer der drei Gründungsintendanten am Montag anwesend ist: Unglücklich ist es schon, dass Berlin das Gesamtkonzept noch nicht kennt, weil es erst im November fertig ist. Mit seinen 4000 Quadratmetern bespielt es zwar nur eine vergleichsweise kleine Fläche neben den außereuropäischen Sammlungen (24 000 Quadratmeter), zehn Prozent der Humboldt-Forum-Gesamtfläche. Aber an den Details zu feilen, wenn die große Linie noch nicht feststeht, das birgt Risiken.

Paul Spies zitiert Neil MacGregors enthusiastisches Lob für sein Berlin-Konzept

Zumal es ja den zweiten Berlin-Fokus im Erdgeschoss gibt, die archäologische Präsentation der Ortsgeschichte, vom Klosterareal vor 700 Jahren über das Barockschloss und den Palast der Republik bis heute. Hoffentlich haben MacGregor und Spies eine Standleitung zwischen ihren Büros. Spies rettet sich am Montag jedenfalls aus der Bredouille, indem er gleich mehrfach die einvernehmliche Zusammenarbeit mit den anderen Schloss-Nutzern betont. Und holt sich von Horst Bredekamp die Erlaubnis, MacGregors Lob zitieren zu dürfen. "Das ist brillant. Da kann nichts schiefgehen," soll der britische Museumsmann zum Spies-Konzept gesagt haben.

Alle Player beschwören die Gemeinsamkeit des großen Schloss-Auftritts: Die Gestaltung des Eingangsbereichs zum Berlin-Trakt als Schnittstelle zum übrigen Humboldt-Forum lässt Spies denn auch bewusst offen, mit Blick auf das Gesamtkonzept. Und: Mehr denn je will man mit den anderen Museen, Archiven, Vereinen und wissenschaftlichen Institutionen Berlins kooperieren. Nach dem Motto: Wenn die Bürger den Schloss-Inhalt misstrauisch beäugen, binden wir bei desse Gestaltung eben so viele wie möglich ein. Dazu zählen das Museum der Europäischen Kulturen, die Kunstbibliothek, die Bezirksmuseen, die Mauermuseen, der Botanischn Garten, das DHM, das Helmholtz-Archiv, um nur einige zu nennen.

Das Schloss wird ein Schatzhaus sein, im Herzen der Stadt. Und doch ist seine Fülle nur eine Facette des riesigen Kultur-, Wissens- und Erfahrungsreichtums von Berlin.

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