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Berlin Kultur: Treibhölzer im Häusermeer

Aus Island an die Spree: Der Künstler Olafur Eliasson legt Spuren im Stadtraum.

Die erste Begegnung ist ein Zusammenstoß der anderen Art: Plötzlich liegt da unter der S-Bahnbrücke Bleibtreustraße ein Baumstamm. Abgeschliffen, rund, ohne Funktion. Wie kommt der denn hierher? Das Gleiche kann dem Passanten vor dem Hamburger Bahnhof passieren, auf dem Baustellengelände am Alexanderplatz zwischen zwei Fahrspuren, am Fußgängerübergang unter der Warschauer Brücke. Unvermutet wurden Riesenhölzer dort hingerollt, von fremder Hand einfach abgelegt.

Dahinter steckt allerdings weniger der Zufall als ein Prinzip, das sich Kunst nennt. Der dänisch-isländische Künstler Olafur Eliasson hat die Stämme in seiner Heimat aufsammeln und nach Berlin verschiffen lassen. Die Hölzer waren an die isländische Küste geschwemmt worden, nachdem sie jahrelang zuvor im Meer unterwegs waren. Sie stammen aus Sibirien, Finnland, Nordrussland. Irgendwann hat sie die Strömung am Nordpol und an Grönland vorbei an die Ufer jener Insel gespült, auf der selbst keine Bäume wachsen. Auf Umwegen sind die Stämme nun in Berlin angelangt, jene Stadt, die man zu Mauerzeiten Inselstadt nannte. Diese politische Begrenzung existiert glücklicherweise nicht mehr. Dafür gilt noch das Wort vom Häusermeer, in dem nun Eliassons 25 Baumstämme „schwimmen“. So manches Exemplar hat es schon wieder fortgetrieben. Nachdem bekannt wurde, dass es sich bei seinem „Treibholz“ um Kunst handelt, verschwand eins ums andere aus dem Stadtbild. Nur mit Glück sind noch welche zu finden.

Ähnlich erging es den Spiegelfahrrädern, ein anderes Projekt des in Berlin lebenden 43-Jährigen, der mit diesen künstlerischen Sendboten auf seine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau verweist, die am 28. April beginnt. Ihr Titel: „Innen Stadt Außen“. Die Räder entdeckte er auf Trödelmärkten, ersetzte die Speichenkränze durch Spiegel und stellte sie einfach am Straßenrand ab. Plötzlich sahen Fußgänger an der Ecke Tucholsky-/Torstraße ihre Beine verdoppelt, gespiegelt in einer kreisrunden Scheibe. Und das Deutsche Theater stellt sich durch ein Spiegelfahrrad auf dem Vorplatz in völlig neuer Perspektive dar: Das große Haus erscheint darin plötzlich verzerrt, ganz klein. Und der Asphalt davor wird zur riesigen Rutschbahn.

Wer weiter nach Olafur Eliassons temporären Arbeiten im öffentlichen Raum forscht, kann vis-à-vis im Reinhardt-Park fündig werden. Dort hat der Künstler mit einem Wägelchen, wie man es sonst zur Markierung von Sportplätzen nutzt, mitten im Gelände Kreidespuren hinterlassen. Mal schlängeln sie sich quer durch die Beete und tauchen unvermutet auf dem Fußweg wieder auf. Dann markieren sie akkurat wie auf einem Schachbrett die in Reih und Glied gepflanzten Bäume auf dem gepflasterten Freigelände.

Noch hat der Regen nicht alle Spuren dieser von Regula Lüscher angeregten Aktion fortgespült. Die Senatsbaudirektorin hatte den Künstler gebeten, über Alternativen zum gewöhnlichen Stadtpark nachzudenken. Das Ergebnis ist jene Versuchsanordnung mit Kreidespuren, so flüchtig wie die anderen Stadtspuren Eliassons.

Nur ein Objekt ist dem Verschwinden nicht so leicht preisgegeben wie die Treibhölzer, Spiegel-Fahrräder oder Bodenmarkierungen: „The blind pavillon“ auf der Pfaueninsel. Die kristallartige Konstruktion aus schwarzen und durchsichtigen Scheiben erinnert an expressionistische Architektur der Zwanzigerjahre. 2003 krönte das Werk den dänischen Pavillon auf der Biennale in Venedig. Nun steht der Pavillon mitten auf einer Wiese der Pfaueninsel, schärft den Blick für die Umgebung, das Verhältnis von Natur und dem von Menschenhand Gebauten. Zum Innehalten animieren: „In Berlin“, sagt Eliasson, „gibt es noch die Freiräume dafür.“ Zumindest vorübergehend.

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