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Kultur: Berlin-Mitte im Umzugsfieber: Ziehe weiter auf Zimmerstraße

Mit der Kunst ändern sich die Galerien. In den neunziger Jahren überdachten Künstler und Kuratoren das System, in dem sie arbeiteten: Institutionen, das Betriebssystem Kunst und ihre Produktionsbedingungen - auch die Galerie stand zur Debatte.

Mit der Kunst ändern sich die Galerien. In den neunziger Jahren überdachten Künstler und Kuratoren das System, in dem sie arbeiteten: Institutionen, das Betriebssystem Kunst und ihre Produktionsbedingungen - auch die Galerie stand zur Debatte. Ausstellungen schienen der prozessualen Kunst nicht mehr angemessen zu sein. Verkauft wurde Mitte der Neunziger sowieso nicht viel, und so konzentrierte sich mancher auf "Projekte" außerhalb der Geschäftsräume wie die Wiener Galerie Metropol. Andere suchten einen Mittelweg wie der Kölner Galerist Christian Nagel, der zwischen 1994 und 1995 seine Künstler zwar weiter repräsentierte, die Galerie aber zum Info-Pool mit Katalogen und anderem Lesestoff erklärte. In dieser Zeit gab er ein kurzes Gastspiel in Berlin mit einer Ausstellung in den Sophie-Gips-Höfen und als Mitinitiator der inzwischen abgerissen Ausstellungshalle INIT. Inzwischen läuft sein Kölner Galeriebetrieb längst wieder in gewohnten Bahnen, und Nagel ist erneut auf Raumsuche: Zusammen mit der Kunstkritikerin Anke Kempkes plant er im Herbst einen neuen Coup in Berlin-Mitte.

Nagel ist nicht der Einzige. Das Raumproblem kennen nahezu alle Galeristen in der Stadt, wobei in Berlin ein solcher Wechsel immer mit einem gewissen Pioniergeist und Entdeckerwillen verbunden sein muss. Ist ein viel versprechendes Objekt ausgemacht, und sind die zähen Verhandlungen bei oft unklaren Besitzverhältnissen überstanden, muss gegenüber möglicher Konkurrenz Diskretion gewahrt werden. Andererseits: Wenn man eine Umzugswelle verpasst, hat sich die Nachbarschaft womöglich eines Morgens geändert, und man ist allein zwischen Feinkostgeschäften und Boutiquen.

Ein gutes Gespür für locations bewies bisher der 29-jährige Martin Klosterfelde - er habe den Bauch eines Architekten, sagt er zufrieden. Nach fünf Jahren in seiner hervorragend in der Linienstraße gelegenen "Durchgangsgalerie" eröffnete er gestern in einer ehemaligen Lagerhalle in der Zimmerstraße sein neues Quartier. Vierzehn Mal würde seine erste Galerie in die 460 Quadratmeter-Halle passen, was das Künstlerpaar Michael Elmgreen und Ingar Dragset mit seiner Installation anlässlich der Eröffnung auch sichtbar macht: Das Duo hat den alten Ausstellungsraum originalgetreu nachgebildet und gegenüber der Eingangstür aufgestellt - das Bild einer Erfolgsgeschichte. Neben dem Bürobereich gibt es nun gleich mehrere separate Lager- und Besprechungszimmer. Trotz des besonderen Charmes der ehemaligen Lagerhalle mit unverkleideter Decke wirken die beiden sieben Meter hohen Ausstellungsräume gigantisch. Sie können aber auch separat bespielt werden wie sogleich zur Eröffnung: Neben dem skandinavischen Erfolgsgespann Elmgreen & Dragset präsentiert Klosterfelde eine neue Installation von dem 1925 geborenen polnischen Künstler Edward Krasinki, dessen konzeptuelle Arbeit immer durch einen blauen Klebstreifen gekennzeichnet ist. Inhaltlich will Klosterfelde neben seinen bisherigen 13 Künstlern künftig auf gestandene Positionen setzen und seine Künstler in den Kontext vorheriger Generationen stellen. So ist eine Perfomance von Mat Mullican in Kürze geplant sowie eine Ausstellung mit Arbeiten von Lawrence Weiner.

Einen offenen Ausstellungsort, an dem Arbeit und Leben, Kunst und Vermittlung verwoben werden können, wünschen sich Esther Schipper und Michael Krome, die heute in der Linienstraße 85 ihre neuen Galerieräume einweihen. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Designerduo Vogt & Weizenegger haben sie ein ebenso ausgeklügeltes wie ästhetisches Konzept mit verschiedenen Zonen innerhalb ihrer Galerie entwickelt. Neben dem eigentlichen Ausstellungsraum führt eine Treppe zu einer weiteren Ebene, die durch geschickte Lichtführung mit den unteren Räumen verzahnt ist. Die miteinander vernetzten Lager-, Büro- und Besprechungsräume bieten mobile Arbeitsplätze, die je nach Bedarf umfunktioniert werden können: das Lager etwa für Filmvorführungen. Durchdacht sind die neuen Räume, aber auch duchgestylt bis zur Jean-Novel-Lampe, deren Farbe auf die jeweils aktuelle Ausstellung abgestimmt werden kann. Mit multimedialer Datenbank ermöglicht die Galerie auch ihren Künstlern unterschiedlichste Ansätze und realisiert so eine zeitgemäße Umsetzung des Agenturgedankens. Im Zentrum steht aber nach wie vor die Ausstellung, wobei der hohe und luftige Ausstellungsraum die vornehmlich raumbezogen arbeitenden Künstler der Galerie - von Dominique Gonzalez-Foerster bis Liam Gillick - herausfordern wird. In der Eröffnungsausstellung nahm Carsten Höller gleich einen Einbau vor: An der Stellwand flackern über hundert 25-Watt-Glühbirnen unter dem Titel "Instrumente aus dem Kiruna Psycholabor".

Die Galeristin Barbara Weiss hat ebenfalls die Zimmerstraße als neues Quartier gewählt und öffnet am 4. Mai in einer lichtdurchfluteten Belle-Etage über der Galerie Nordenhake. Sachlich, aber nicht kühl sind ihre Räume, die ihr eine verbesserte Organisation und unterschiedlich zu bespielende Arbeitsbereiche bieten. Ausschlaggebend für ihre Ortswahl waren das großstädtische Umfeld, das an einer unmittelbaren Schnittstelle zwischen Ost und West liegt, an der immer noch nicht alles definiert ist. Mit der Eröffnungsausstellung von Christine und Irene Hohenbüchler sowie der jungen finnischen Künstlerin Laura Horelli führt sie ihr Programm weiter; sie möchte aber auch zukünftig immer wieder zwei Positionen einander gegenüberstellen. Barbara Weiss wird nicht der letzte Zuzug im neuen Galerienquartier Zimmerstraße sein: Auch der Galerist Matthias Arndt, bislang in der Auguststraße, verhandelt in dem neuen Areal. In seiner bisherigen Nachbarschaft hat er nicht die von ihm gesuchten größeren Räume gefunden. "Erst haben die Galerien diese Gegend aufgewertet, jetzt sind die Mieten für uns nicht mehr zu bezahlen," muss er heute feststellen.

Größere Räume, größerer Umsatz? Verkaufseffizienz ist nur ein Argument für die aktuelle Umzugswelle. Bei den zahlreichen Zuzügen von Galerien, die auf hohem Niveau mit internationaler Kunst arbeiten, wird es immer schwerer, sich zu positionieren und voneinander zu unterscheiden. Etwas Spezielles erwarten auch die internationalen Besucher und Sammler, wenn sie sich - wie am heutigen Sonnabend - auf den Galerierundgang in Mitte begeben. Die Einrichtung und richtige Platzierung des Verkaufsraumes gehört heute schließlich zur corporate identity. Deswegen funktionieren auch Konzepte so gut, wie das der Galerie Neu, die trendsicher, und doch abseits vom main stream operiert, oder der ebenso charmanten wie erfolgreichen Galerie Eigen + Art in der Auguststraße. Insgesamt hat sich der Standard in Berlin-Mitte in den vergangenen Jahren gehoben: Durch die Galerien neugerriemschneider, Barbara Thumm, Kicken oder griedervonputtkamer wurde eine neue Tonlage angeschlagen, der andere folgten. Die Zeiten der international erfolgreichen, improvisierten Kunstbude mit der Kiste Bier in der Ecke sind vorbei. Denn mit dem Markt ändern sich die Galerien.

Katrin Wittneven

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