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Berlin-Rock'n'Roll: Monster, komm auf meinen Schoß

Die Berliner Rockband Half Girl hat Motörhead-Chef Lemmy Kilmister einen Song gewidmet. Jetzt gibt es dazu einen Kurzfilm. Ein Fantreffen.

Lustiger Typ, dieser Lemmy Kilmister. Bald 68 Jahre alt, trägt er weiterhin akkurate Koteletten, die am Gesichtsrand in eine schwarze Rockermatte übergehen. Rock’n’Roll ist noch immer genauso täglich Brot wie Whisky und Spielautomaten. Und ein gutes Gehör hat er laut einem Interview, das er im letzten Jahr gab, angeblich auch.

Kann aber nicht stimmen, das mit dem guten Gehör. Glaubt Julie Miess, und die muss es wissen. Miess ist fast 30 Jahre jünger als das Motörhead-Oberhaupt und ungefähr halb so groß, aber das schützt vor Rock’n’Roll nicht. Als Lemmy-Fan hat die Gründerin und Sängerin der Berliner Rockband Half Girl vor drei Jahren den straighten Rock-Song „Lemmy I’m A Feminist“ geschrieben, der umso hübscher ist, wenn man auf den Text hört: „You say wives on tour mean trouble / and our shared opinions double / we hate husbands with the crew / well, unless it would be you / Lemmy I’m a feminist / but I love you all the way .“ Jetzt gibt es ein Video zum Lied, das am Pfingstsonntag mit einer Releaseparty gefeiert wird. Lemmy kommt wahrscheinlich nicht.

Dabei kennt er den Song: Vor drei Jahren gelangte eine Aufnahme von „Lemmy I’m A Feminist“ in die Hände des Motörhead-Sängers. So bekam Julie Miess, die in ihrem Rock’n-’Roll-ferneren Leben einen Doktor in Literaturwissenschaften und Gender Studies hingelegt hat, am Tag des Berliner Motörhead-Konzerts, einen Anruf: Lemmy will dich vor der Show sehen, komm vorbei.

„Eigentlich hatte ich vorgehabt, Lemmys beste Freundin zu werden“, sagt Miess beim Gespräch in einem Kreuzberger Café. Sie ist mit Bassistin Gwendolin Tägert als „Half of Half Girl“ gekommen. Statt Whisky-Cola wird vorerst Weinschorle getrunken. Beste Freundin dieses heiseren Briten mit den dicken Fibromen und der riesengroßen Zweiter-Weltkrieg-Devotionalien-Sammlung? „Nun ja, darüber müssten wir auch noch mal intensiv sprechen“, sagt Miess, die in diversen Bandprojekten und einem Verlag arbeitet.

Sie fuhr jedenfalls hin, wurde backstage vorgeladen, „Lemmy thronte auf seinem Stuhl, im Hintergrund ein Spielautomat, Whisky neben sich“, erzählt Miess. Er habe das Lied gehört, „cool song“. Ob sie denn jetzt ein Foto mit ihm machen wolle? Die Musikerin war irritiert. Ein schnödes Fanfoto? Kein Gespräch über den liebe- und humorvollen Text, in dem es um Lemmys frühe Erfahrungen mit „boys beatin’ mean treatin’ bra burnin’ heart turnin ladies“ geht? Kein Beginn einer tiefen Freundschaft zwischen dem Rock-Monster aus Stoke-on-Trent und der zierlichen Monsterforscherin (in ihrer Doktorarbeit geht es um She-Monster) aus Berlin? „Ich bin sicher, er hat den Text nicht verstanden, weil er einfach nicht mehr gut hört“, erklärt Miess, und es klingt logisch: Wie soll sein Trommelfell nach 50 Jahren Dezibelgewitter noch anständig schwingen?

Doch jetzt gibt es eine neue Chance für Julie und Lemmy: Berlins freundlichster Horrorfilmregisseur Jörg Buttgereit und der ehemalige Mutter-Gitarrist Frank Behnke haben auf Super 8 einen schwarz-weißen Kurzfilm gedreht. Darin spielen Half Girl den Song auf einem kleinen Balkon, und Lemmy – oder jemand, der aussieht, wie Lemmy minus Alter und Warzen – kommt zu Besuch, bringt Kuchen mit, deckt den Tisch, kümmert sich um die Getränke und ist überhaupt so zauberhaft wie eine alte Lady beim Fünf-Uhr-Tee. Am Ende setzt er sich der Bandleaderin auf den Schoß – eine Umkehrung des Schlussbilds, das weiland in Lemmys Backstageraum entstand, und auf dem eine halbwegs verzweifelte Julie Miess auf den knochigen Knien des Rockers Platz genommen hatte. „Es war mir wichtig, das umzudrehen“, sagt sie.

Das Gespräch dreht sich irgendwann auch um Frauenbands, um die Tradition von Riot Grrrls und ihr Erbe. Gwendolin Tägert, die seit Jahren mit dem Duo Mondo Fumatore verlässlich stimmungsdichte Popmusik macht, erzählt von einem Hole-Konzert in den neunziger Jahren, bei dem Courtney Love „ein kleines Punk-Mädchen aus dem Publikum“ auf die Bühne holte, ihr die Finger zu einem A-Akkord auf dem Gitarrengriffbrett formte, und sie loslegen ließ: „Das war beeindruckend!“, sagt Tägert, die ihren Ponypagenschnitt damals längst über dem Bass schüttelte und sich damit von den meisten anderen Mädchen unterschied. Half Girl, die ihr Geschlecht im Namen tragen, der aber eigentlich an den ohne Unterkörper geborenen Johnny Eck alias „Half-Boy“ aus Tod Brownings „Freaks“ erinnern soll, müssen oft das Attribut „Girl“ vor der musikalischen Einordnung „Rock“ ertragen. Bei rein männlichen Bands ist das selbstredend nie der Fall. Dabei unterscheidet sich die Musik nicht: Half Girl machen klassischen Rock’n’Roll mit Schlagzeug, Bass, verzerrter Gitarre und englischen Texten. Genderforscherin Miess denkt, die anhaltende Unterrepräsentation von weiblichen Instrumentalisten in der Rockmusik habe ähnliche Gründe wie in anderen Bereichen: „Um sich auf die Bühne zu stellen und eine Aussage zu machen, braucht man ein gewisses Selbstbewusstsein. Das entwickeln Mädchen immer noch schwerer“. Tägert glaubt, dass die raren Vorbilder ebenfalls dazu beitragen, Mädchen eher im Publikum zu halten. Denn männlichen Musikern nachzueifern sei technisch zwar möglich, imagemäßig aber eher albern.

Half Girl haben das glücklicherweise nicht nötig. Sie produzieren Rock, weil es Spaß macht. Beim Konzert am Pfingstsonntag spielen Half Girl, deren andere Hälfte Vera Kropf (auch bei Luise Pop, der zweiten Band des Abends) und Anna-Leena Lutz (Die Heiterkeit) die Band zu einer amtlichen „All-Girl-Supergroup“ aufblasen. Sie stellen ihre gemeinsame Splitsingle vor. Und sorgen so für einen vorbildlichen Aufschwung im nominalen Musikerinnenmittelwert.

Konzert u. Filmpremiere: Südblock, Admiralstr. 1-2, Sonntag, 19.5., 21 Uhr

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