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Kultur: Berlin spielt Bayreuth

Christian Thielemann dirigiert Götz Friedrichs Wagner-Zyklus an der Deutschen Oper

Fast fühlt man sich beschämt, ja peinlich berührt: volle Häuser, Menschen mit „Karte gesucht!“-Schildchen schon an der U-Bahn, Schlangen im Kassenfoyer – und ein Applaus, der gewillt ist, über alle künstlerischen Einbußen dieser beiden ersten „Ring“-Abende hinwegzujubeln. Ein Applaus, der sagt: Das ist die Oper, die wir haben wollen, das ist „unsere“ Deutsche Oper Berlin. Der Geist von Götz Friedrich am Regiepult! Christian Thielemann leibhaftig im Graben! Und eine Handvoll, nun ja, renommierter Sänger auf der Bühne! Ein Applaus, der freilich auch sagt (und das ist das Beschämende daran): Was soll uns der ganze krause Kunstwille eines Udo Zimmermann, was sollen uns Nono und Messiaen, Konwitschny und Baumgarten und wie sie alle heißen – wir feiern hier unser eigenes Gedächtnis. Wir spiegeln und verlieren uns in Peter Sykoras magischem „Zeittunnel“, wir denken angesichts seiner verbrannten Weltesche an Tschernobyl, als sei es gestern gewesen, und goutieren sogar, dass sich die Walküren mit Aligatoren-Haarschnitt und Lederkäppi als Dominas im Disco-Stil gerieren, oder dass von Trockeneis über die Maßen (stinkender) Gebrauch gemacht wird. Die Zeit heilt alle Wunden, auch die des Albernen und Anstößigen? Oder: Früher war alles besser, heute ist das Allermeiste mies?

So gesehen sind die Richard-Wagner-Tage 2003 (die am 11. Juni mit dem „Fliegenden Holländer“ enden und über sechs lange Monate verstreuen, was das Haus wagnerianisch im Repertoire führt) schon jetzt ein Erfolg. Das Publikum der 80er und 90er Jahre, das der neuen Zeit, dem neuen Jahrhundert gerade an der Deutschen Oper so schmerzlich fehlt, es rafft sich noch einmal auf und findet sich. Einerseits ist das gewiss gut so und mehr als wünschenswert. Schließlich hat Udo Zimmermann als noch amtierender Intendant auch diesen Zyklus mit zu verantworten. Und schließlich ist Götz Friedrich – künstlerische Halbwertzeit hin oder her – gerade mit seinem „Ring“ von 1984/85 fern jeder ausdrücklichen Ästhetisierung oder Politisierung ein Stück Berliner Musiktheater von enormer Langlebigkeit gelungen. Mögen die Kulissen heute auch knarzen und wackeln: Der „Rheingold“-Schluss, wenn die Götter in einer Art höfischem Schreittanz gen Walhall ziehen, ist einfach grandios, ebenso der Feuerzauber im Finale der „Walküre“, wenn schier das ganze Opernhaus in Flammen aufzugehen droht. Solch ungeschminkte Wagner-Bilderkraft war zuletzt in Stuttgart zu erleben, im hoch dekorierten „Ring“ der vier Regisseure (und dort ganz anders, nämlich aus der Kritik an der Gesamtkunstwerksideologie heraus begriffen).

Andererseits aber will das enthusiastisch feiernde Publikum wohl auch politisch verstanden werden. Schau’ auf die Leistungskraft unseres Hauses!, scheint es dem über der endgültigen Fassung seines Dreisäulen-Opernreformpapiers brütenden Kultursenator zuzurufen. Und dem Regierenden Bürgermeister, der am Sonntag im Rahmen eines Klassik-Brunchs im Roten Rathaus noch einmal bekräftigte, wie gut er sich eine Fusion von Deutscher Oper und Staatsoper vorstellen könne (ein Intendant, zwei Generalmusikdirektoren), gibt es zu verstehen: Wir sind die wahren Operncracks in dieser Stadt, verdirb’s dir nicht mit uns! Natürlich besäße er, hat Klaus Wowereit dann noch hinzugefügt, in Sachen Opernstrukturreform keine „Richtlinienkompetenz“, aber einmischen würde er sich als alter „Kulturlobbyist“ schon. Und Qualität würde er fordern, so oder so, im Ranking der künstlerisch innovativen deutschen Opernhäuser müsse Berlin endlich wieder eine Rolle spielen – auch für weniger Geld.

Nun, mit Friedrichs altem „Ring“ dürften jenseits der Berliner Stadtgrenzen und jenseits seines sentimental value in der Tat keine Blumentöpfe mehr zu gewinnen sein. Ob sich das auf der musikalischen Seite sehr viel anders verhält, bleibt nach „Rheingold“ und „Walküre“ die Frage. Sängerisch jedenfalls wissen andere Städte (von München bis Meiningen) da besser und vor allem: fantasievoller zu punkten. Gewiss, Mihoko Fujimura singt eine glühend timbrierte, herrlich textverständliche, geradezu mozartisch große Fricka, und Jorma Silvastis wendiger, wortwitziger Loge ist ein Ohrenstern erster Güte; auch Stephanie Friedes Sieglinde überzeugt, wenngleich mehr durch Inbrunst im Spiel als durch die lyrische Schmiegsamkeit ihres Soprans, und Cornelia Wulkopfs Erda lässt ebenso aufhorchen wie Franz-Josef Kapellmann als Alberich, Thomas Harper als Mime und Matthias Hölle sich ihrer Aufgaben gekonnt entledigen. Kernpartien hingegen wie Wotan (viel Sprechgesang: Albert Dohmen), Freia (hysterisch: Yvonne Wiedstruck), Siegmund (an der Heiserkeitsgrenze: Robert Gambill) und Brünnhilde (ohne die nötige stimmliche Statur: Frances Ginzer) sind schlicht zu klein besetzt.

Auch Christian Thielemann am Orchesterpult gab Rätsel auf. Der Konversationston im „Rheingold“ schien ihn – den Mann der weiten, kraftvollen Wagner-Bögen – kaum zu interessieren, da versickerte die Musik über lange Strecken und tauchte erst gen Schluss gleichsam erschöpft vom lustlos tändeligen Begleiten wieder auf. In der „Walküre“ stürzte er sich zwar auf die so genannten schönen Stellen, auf Ritt und Todesverkündigung, wusste aber auch hier die Spannung nicht recht zu halten, ließ in oft merkwürdig zerdehnten Tempi verharren, was bei Wagner doch eher vorwärts drängt. Entsprechend fahrig, ja verunsichert agierte das Orchester. Eine Lesart ohne Konzept, ohne Gedächtnis fürs Ganze? Abende ohne Inspiration? Erst im Finale des dritten Aktes fanden Musiker und Generalmusikdirektor instinktiv zueinander. Da blühte und strömte und glänzte es nur so aus dem Graben, das Wagnerglück des Augenblicks. Und versöhnte – wider Erwarten. Bis auf weiteres.

Christine Lemke-Matwey

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