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Vor der Unabhängigkeit: Jeet (Manish Dayal) und Aalia (Huma Quereshi)

© Berlinale

Berlinale Außer Konkurrenz: Der lange Weg in die Unabhängigkeit

In dem Filmepos „Viceroy’s House“ erzählt Kick-It-Like-Beckham-Macherin Gurinder Chadha von den letzten sechs Monaten vor der indischen Unabhängigkeit. Leider ohne Vision und visuelle Denke.

Siebzig Jahre später: Ein Schwarz-Weiß-Foto färbt sich bunt. Nach und nach werden die Mitglieder einer Familie von heute sichtbar. Vorne links, die Frau im pinken Kleid, das ist Gurinder Chadha. Die britische Regisseurin stammt aus einer indischen Sikh-Familie und wurde 1960 in Kenia geboren. Ihre Großeltern und deren Familien flohen 1947 nach der Unabhängigkeit und Teilung des Subkontinents aus dem mehrheitlich muslimischen Pakistan und teilten ihr Schicksal mit 16 Millionen Betroffenen der bis dato größten Flüchtlingstragödie der Welt: Sie wurden getrennt, fielen ins Elend, viele starben, die anderen verstreuten sich über die ganze Welt und benötigten ein ganzes Leben, um das verlorene wiederaufzubauen.

Diesem am Ende von „Viceroy’s House“ erläuterten biografischen Bezug steht ein Gruppenfoto zu Beginn des Historiendramas gegenüber. Es zeigt die ganze Pracht und Arroganz des britischen Kolonialismus – Lord Mountbatten, den letzten Vizekönig von Indien, samt Familie und Hofstaat bei der Übernahme des Amtes. Seine Aufgabe ist es, Indien nach knapp hundert Jahren unter britischer Herrschaft in die Unabhängigkeit zu entlassen.

"Upstairs, Downstairs": wie sich die Leben der Herrschaften und ihres Personals verschränken

„Viceroy’s House“ erzählt von den letzten sechs Monaten davor. Und zwar in der durch die beiden Fotografien umrissenen Form einer „Upstairs, Downstairs“-Geschichte. So heißt das im bis heute klassenbewussten Großbritannien, wenn die parallelen und miteinander verschränkten Leben der Herrschaften und ihres Personals gemeinsam erzählt werden.

Die Tatsache, dass Gurinder Chadha zuerst den Diener Jeet (Manish Dayal) und die Übersetzerin Aalia (Huma Qureshi) einführt, die in der Residenz leben und als Hindu und Muslima ein verhindertes Liebespaar sind, klärt, genauso wie das Eingangszitat „Geschichte wird von Siegern geschrieben“, die Position der Regisseurin. Schade nur, dass sie – abgesehen von der jüngst verstorbenen Schauspiellegende Om Puri in einer Nebenrolle – keine „indischen“ Darsteller besetzt hat, die es an Charisma mit den Briten Hugh Bonneville und Gillian Anderson unbedingt aufnehmen können.

Selbst die Darsteller der anderen zeitgeschichtlichen Größen Nehru, Gandhi und Jinnah, der für ein unabhängiges Pakistan streitende Chef der Muslim-Liga, bleiben hinter der Aura des von Selbstzweifeln zerfressenen liberalen Herrscherpaars zurück. Besonders Bonneville, der aus der Fernsehserie „Downton Abbey“ wohlbekannte Knuffel-Patriarch „Earl of Grantham“, scheffelt Sympathiepunkte.

Das ist besonders deswegen absurd, weil sich Chadhas Epos auf verschiedene Bücher und eigene Recherchen der einstigen BBC-Reporterin stützt, die die zwielichtige Rolle des als Charmebolzen bekannten Vizekönigs bei der Teilung des Landes in Indien und Pakistan betonen. Nach offizieller britischer Version war sie unvermeidlich, um das mit Abzug der britischen Truppen einsetzende bürgerkriegsartige Blutvergießen zwischen Hindus, Muslims und Sikhs zu stoppen.

Kleinmut angesichts einer großen Geschichte

„Viceroy’s House“ stellt die sich überstürzenden Ereignisse jedoch als Ränkespiel im Auftrag Churchills dar, der dem Empire mit der willkürlichen Grenzziehung in einen Hindu- und einen Muslimstaat auf lange Sicht den Zugang zum Öl der Golfstaaten sichern wollte. Vor diesem, in den repräsentativen Räumen des über 500 Angestellte verfügenden Palastes ausgetragenen Krimi wirkt das Bemühen, endlich auch dem durch die Machtspiele hervorgerufenen Leid der einfachen Leute Gewicht zu geben, blass.

Auch wenn die Kamera eingangs noch im Pomp des Palastes und den Farben Indiens schwelgt, gelingt es „Viceroy’s House“ nicht, an die ästhetische Wucht der britischer Historienklassiker anzuknüpfen. David Lean und Richard Attenborough haben in „Lawrence of Arabia“ oder „Gandhi“ nicht nur eine heute unbezahlbare Zahl von Statisten bewegt, sondern politische Visionen in visionären Tableaus erzählt. Hier findet sich nichts von dieser großen visuellen Denke. Die Kamera klebt trotz aller durch schöne Menschen und edle Kostüme gebotenen Schauwerte immer schön brav an Interieurs und Gesichtern. Dieser Kleinmut angesichts einer so großen Geschichte tut weh. Zumal Gurinder Chadha einen immerwährenden Bonus hat. Ihre hinreißende Feelgood-Komödie „Kick it like Beckham“ hat 2002 unzählige Kinogängerinnen verzückt und Keira Knightleys Weltkarriere vorbereitet.

13.2., 12.30 Uhr u. 18 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 16.2., 12.15 Uhr (Haus der Berliner Festspiele), 19.2., 12.15 Uhr (Berlinale Palast)

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