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Pulp Fiction. Kazuo Hasegawa in Kon Ichikawas "Yukinojo henge" ("An actors revenge").

© Kadokawa Corporation

Berlinale: Bilderrausch im Shogun-Palast

Das FORUM widmet dem japanischen Regisseur Kon Ichikawa eine Hommage. Verdient: Seine Filme sind ein Farb-, Kostüm- und Bilderrausch.

Ein buddhistischer Mönch brennt einen Tempel nieder, eine christliche Familie liegt sich buchstäblich in den Haaren, eine wilde Rachegeschichte sprengt alle Grenzen von Zeit und Raum und Religionen. Weitaus drastischer als Yasujiro Ozu in seinen stillen Familienfilmen entlarvt Kon Ichikawa – der dieses Jahr 100 Jahre alt geworden wäre – in den 50er Jahren die repressive Doppelmoral der japanischen Nachkriegsgesellschaft. Ihm widmet das Forum nun eine Hommage. Verdient: Seine Filme sind ein Farb-, Kostüm- und Bilderrausch.

Am Anfang von „Enjo“ („Conflagration“) steht der junge Mizoguchi mit Handschellen im Polizeiverhör und schweigt zu allen Fragen nach seiner Tat. Die wird, im kontrastreichen Schwarz-Weiß, mit starren Einstellungen, im Widescreen-Format des von Ichikawas Produktionsfirma Daiei entwickelten Daieiscope, in einer großen Rückblende nacherzählt. Dazwischen sind weitere fragmentierte Flashbacks geschnitten, die die Risse im Inneren Mizoguchis, seine Entfremdung von der Welt spiegeln. Als Novize kommt er zum Tempel Shukaku, für ihn der Inbegriff von Schönheit und Reinheit. Aber etwas ist faul im Staate Japan, die Mönche machen das Bauwerk zur Touristenattraktion, und sein oberster Mentor hat eine Geisha als Geliebte. So wird der Protagonist zum Brandstifter und zerstört sein Ideal – nachdem das Ideal ihn zerstört hat. Eine Wahnidee, ein Akt der Rebellion gegen die Verderbtheit der Welt. Ironischerweise wird vom Anblick des lodernden Tempels auf einen Flötenspielers mit einer Trauermelodie geschnitten: Die flüchtige Musik überdauert das monumentale Gebäude.

Kon Ichikawa erzählt mit schwarzem Humor

Ein Happy End ist auch Hekiro in „Ototo“ („Her Brother“) verwehrt, der von vornherein als Taugenichts hingestellt wird. Er fliegt von der Schule, kommt mit der Polizei in Konflikt, häuft hohe Schulden an. Er ist das schwarze Schaf der Familie, aber dabei darf man nicht den schwarzen Humor Ichikawas übersehen, mit dem er diese Familie zeichnet. Der Vater ist kaum vorhanden, er sitzt zurückgezogen in seinem Arbeitszimmer und schreibt, was keiner jemals drucken wird; die Mutter ist zänkisch, herrschsüchtig, lehnt jede Arbeit ab und leidet an Rheumatismus. Allein die Schwester hält zu ihrem Bruder, ohne ihn von seinem sorglosen Weg auf der schiefen Bahn nach unten abzubringen. Während nun die Familie kaum aus den engen Innenräumen herauskommt, in denen das Leben allmählich erstarrt, nimmt sich Hekiro die Freiheit: ihn begleitet die Kamera in eleganten Fahrten durch schöne Landschaften, die im gedämpften Agfacolor wie pittoreske alte Postkarten wirken. Aber dann schlägt die Schuld-und-Sühne-Moral zu, Hekiro wird todkrank, in der quälend melodramatischen Sterbezeit schweben ständig die Worte „Die Sünden der Eltern, die Sünden der Kinder“ durch den Raum. Erst im Angesicht des Todes wenden sich die Eltern reuevoll dem Sohn zu. Der Riss zwischen den Generationen wird für einen Moment kosmetisch übertüncht.

„Yukinojo Henge“ („An Actor’s Revenge“) ist dann ein radikaler Sprung in eine völlig andere Welt. Der Ausgangspunkt ist reine Bizarrerie: eine Pulp- Fiction-Fortsetzungsgeschichte über Liebe, Liebesverrat und Liebestod, Verbrechen, Intrigen und Rache liefert das Handlungsgerüst. Sie wurde 1935 schon einmal verfilmt, mit Kazuo Hasegawa in der Doppelrolle des tragischen Helden, der einen Schauspieler spielt, der eine Frau spielt, und seines Alter Ego, des komödiantischen Diebes auf den Spuren von Robin Hood. Knapp 3o Jahre später beauftragt das Studio Kon Ichikawa mit einem Remake, wieder mit dem Star Hasegawa, der wieder die beiden Hauptrollen spielt, und das in seinem 300. Film.

Optisch-akustisches Gesamtkunstwerk

In pechschwarzer Nacht blitzen Schwerter auf, Farben explodieren im Kabuki-Theater, die Bühne im Cinemascope-Format öffnet sich zu grenzenlosen Filmlandschaften, von dort wird auf die reale Welt des Shogun-Palastes überblendet, die nicht weniger synthetisch, surreal und traumhaft ist. Gekrümmt in einer finsteren Ecke liegt einer der Übeltäter, aus den festen Mauern, die sich in abstraktere Formen auflösen, erscheint ihm der Geist des Mannes, der von ihm in den Tod getrieben wurde.

Elemente des Stummfilms, Szenen wie aus einem Mantel-und-Degen-Film, Historienspektakel, fantastische Bühnenszenarien, ein Farb-, Kostüm- und Bilderrausch, der Soundtrack von traditioneller japanischer Musik zu üppigen Streichquartetten bis zum Jazz, all das verbindet sich zum entfesselten Traum eines optisch-akustischen Gesamtkunstwerks. Der Meister des Schwertkampfes fasst das in seiner Weisheit so zusammen: „Worte können die Mysterien einer Kunst nicht erklären.“

Helmut Merker

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