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Atempause: Gloria (Paulina García) im Casino.

© Berlinale

Berlinale: Die Glücksspielerin

Frauentag im Wettbewerb: „Gloria“ aus Chile bringt endlich Schwung ins Festival.

Keine Angst vor der nackten Katze. Das Tier hat selbst am Schwanz keinerlei Fell und dürfte als hässlichster Vierbeiner seit Festivalgründung in die Geschichte der Berlinale eingehen. Aber irgendwann schließt man dieses Vieh ins Herz, genau wie Gloria es tut, als sie sich selber gerade wie eine nackte Katze fühlt, schutzlos, verlassen, vom Leben geschlagen. Aber sie wäre nicht die Gloria, die man bis dahin kennengelernt hat, wenn sie sich nicht wieder aufrappeln würde. Von nichts anderem erzählt „Gloria“ aus Chile: von einer Frau, die sich nicht unterkriegen lässt, die lauthals die Schlager aus dem Autoradio mitsingt, die tanzen geht und weitertanzt, zu Disco-Pop, Bolero, Salsa, all den Hits der siebziger, achtziger Jahre.

Mit Gloria rappelt sich auch die 63. Berlinale auf. Diese Frau bringt das Festival zum Tanzen. Nicht als Glamourlady, sondern als ganz normale, 58-jährige, geschiedene, berufstätige Frau in Santiago de Chile. Attraktiv ist sie durchaus, aber na ja, von ersten Altersspuren gezeichnet, die Haare spröde, das Augenlicht lässt nach. Sie hat zwei erwachsene Kinder, denen sie Nachrichten auf die Mailbox spricht, auch der kleine Enkel kommt ganz gut ohne sie aus. Also bringt Gloria ihre Freizeit in Tanzsälen zu, um sich Männer für den Foxtrott aufzugabeln und für die Nacht. Nicht dass sie besser tanzt als die anderen, sie zuckt bloß rhythmisch mit den Schultern, stakst betrunken Richtung Ausgang und kommt immer wieder her, denn sie ist nicht gern allein, nicht nach Feierabend, nicht im Alter. Sie ist eine von denen, die nie im Mittelpunkt stehen. Aber sie weiß, dass sie ein Recht darauf hat – deshalb ist diese Frau ein Ereignis.

„Gloria“ ist ganz der Film Paulina Garcías. Kaum eine Einstellung, in der sie fehlt, immer ist da ihr ein wenig verdutzter Blick hinter großen Brillengläsern, ihr verhaltener Trotz, mit dem sie sich weigert, ihr restliches Leben im Alltagstrott zuzubringen. So leistet sie sich nicht nur One-NightStands, sondern auch Ausfallschritte. Warum, wenn nicht für den einen oder anderen Joint, landet das Tütchen mit Gras auch ausgerechnet vor ihrer Wohnungstür?

Eines Tages meldet sich ihr Gelegenheits-Tanzpartner Rodolfo (Sergio Hernández) wieder, ein feiner, älterer Herr, der mehr will von ihr. Und sie von ihm. Eine Liebe jenseits der Jugend, Flirts, Begierde und Sex im Alter, man kennt das aus „Wolke 9“. Jurymitglied Andreas Dresen saß bei der ersten Vorstellung am Sonntagmorgen im Saal. Nackte, erregte, ältere Körper, Regisseur Sebastián Lelio filmt die beiden mit ebenfalls unromantischem, aber liebevollem Blick. Eine einfühlsame, aufmerksame, nie aufdringliche Kamera, dazu eine Prise trockenen Humors, jener feinen, lateinamerikanischen Lakonie, wie man sie von „Whisky“ aus Uruguay kennt. Und eine Wahlverwandte von Pedro Almodóvars Heldinnen ist Gloria auch: „Alles über meine Mutter“, auf Chilenisch.

Programm oder Zufall? Am Sonntag war Frauentag im Berlinale-Wettbewerb: eine lesbische Liebes- und Rachestory („Vic+Flo ...“, S. 21), ein Klosterfrauendrama („La Religieuse“, S. 20) und „Gloria“ – lauter Frauen, die auf sich gestellt sind. Die Männer machen dazu eine schwache oder böse Figur, oder sie bleiben Randgestalten.

Rodolfo, Glorias Hoffnung, verschwindet jedenfalls wieder aus ihrem Leben, eine herbe Enttäuschung. Nach einer verzweifelt durchtanzten, durchsoffenen Nacht findet sie sich alleine am Strand, barfuß, schutzlos, verlassen. Was der Berlinale nicht nur besagte nackte Katze beschert, sondern auch die charmanteste Racheaktion seit Erfindung des Paintballgewehrs – und ein herrlich tanzendes Marionetten-Skelett.

Dass Frauen der Berlinale Schwung verliehen, gab’s in den letzten Jahren übrigens öfter, mit Marianne Faithfull als „Irina Palm“, Sally Hawkins in „Happy Go Lucky“ und Tilda Swinton als „Julia“. Und was den Darstellerinnen-Bär betrifft, hat Paulina García ihn schon allein für ihre letzte Disconummer verdient, zu „Gloria“ von Umberto Tozzi, was sonst.

11. 2., 9.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 22.30 Uhr (International). 12. 2., 18.30 (Odeon), 17. 2., 19.30 Uhr (HdBF)

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