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Daumen hoch. Festivaldirektor Dieter Kosslick zeigt auch zum Ende des Festivals gute Laune.

© Davids

Berlinale-Fazit: Welt oder Kiez

Sternstunden, Durststrecken – und weiter sinkendes Niveau: Im Wettbewerb der 61. Berlinale herrschte zumeist bleierne Langeweile.

Ende gut, sogar sehr gut. Aber auch alles gut? Nach dieser 61. Berlinale ist das fraglicher denn je.

Das Festival ist am Sonnabend insofern glücklich zu Ende gegangen, als die Jury mit schöner Gelassenheit genau die wenigen Filme auszeichnete, die ganz besonders in Erinnerung bleiben werden. Und sie tat es mit klugem Sinn auch für das alles überstrahlenden, von Publikum und Kritikern gleichermaßen bejubelte Ereignis: Asghar Farhadis „Jodaeiye Nader az Simin“ (Nader and Simim, A Separation).

Nicht nur gewann das turbulente Drama um zwei Familien im heutigen Teheran den Goldenen Bären. Sondern die Jury gab ihre Darstellerpreise schnurstracks an den unstrittigen Hauptdarsteller dieses Festivals: das Ensemble dieses Films. So wurde der glückliche Regisseur gleich von einem Halbdutzend seiner nicht minder glücklichen Schauspieler gefeiert.

Der Große Preis der Jury, die Silbermedaille unter den Berlinale-Auszeichnungen, ging ebenso schlüssig an den 55- jährigen Ungarn Béla Tarr, der leider angekündigt hat, nach seinem jüngsten Meisterwerk „The Turin Horse“ als Regisseur ganz aufzuhören. Sein Film überzeugte – ein so strenges wie spannendes Lehrstück darüber, wie man in zweieinhalb Stunden Spielzeit aus dem Prinzip Wiederholung einen formidablen Kinostoff formen kann. Man muss es nur bewusst einsetzen und zu feinen Varianten treiben.

Aus deutscher Sicht erfreute zudem eine doppelte Überraschung: der „neue Perspektiven der Filmkunst“ würdigende Alfred-Bauer-Preis für Andres Veiels „Wer wenn nicht wir“ und der Regiepreis für Ulrich Köhler („Schlafkrankheit“). Wobei umgekehrt womöglich ein soliderer Schuh draus geworden wäre.

Der Preis für Béla Tarrs düstere Anti- Schöpfungsgeschichte um einen Kutscher, seine Tochter und sein Pferd im ländlichen Ungarn lässt sich dabei durchaus programmatisch verstehen. Denn zahlreiche ähnlich gedehnte Beiträge, die den Wettbewerb schon früh und auch zum Ende hin mit bleierner Langeweile überzogen, gingen leer aus. Ob die Trennungsgeschichten „Kommt Regen, kommt Sonnenschein“ (Korea) oder „Un mundo misterioso“ (Argentinien) oder auch „V Subbotu“ aus Russland: Allesamt sind sie Ein-Idee-Filme, mit immer schwächeren Wiederholungsschleifen auf gefühlte Unendlichkeit gestreckt. Gilt hier etwa Truffauts Bonmot, leicht abgewandelt: „Film ist, wenn uninteressante Leute uninteressante Dinge tun“?

Angesichts des Gesamtniveaus war es da nur konsequent, dass die Festivalmacher den Wettbewerb auf das internationale Rekordminimum von 16 Filmen reduzierten. Im Nachhinein aber wirkt die Entscheidung wie ein Offenbarungseid. Denn es ist ja nicht so, dass die großen Namen des Weltkinos plötzlich keine Filme mehr drehen. Sie bieten sie der Berlinale nur nicht mehr an, oder das Festival bemüht sich nicht initiativ genug darum. Sicher mag in Cannes das Wetter besser sein, sicher ist Venedig, wie letztes Jahr mit Darren Aronofskys „Black Swan“, nach wie vor als Startplattform für Oscar-Kandidaten interessant. Diese Wettbewerbsnachteile dürfen aber kein Alibi für die immer schwächere Bindungskraft der Berlinale sein.

Und die ist, leider, im Wesentlichen hausgemacht. Schwache Wettbewerbe über Jahre machen die Hauptdisziplin eines Festivals unattraktiv – genauso wie mit nur mittelprominenten Jurys sich in den Folgejahren oft allenfalls noch Mittelprominenz anlocken lässt. Auch dürfen Auswahlkomitees, die häufiger mal daneben greifen, sich nicht wundern, wenn das verfügbare Material von Jahr zu Jahr magerer und magerer wird. Mit dem Ergebnis, dass das dicke B namens Berlinale, das diesmal so protzig von den Plakaten blinkte, international in die B-Liga abzurutschen droht.

Letztes Jahr liefen in Cannes neue Filme von Mike Leigh, Ken Loach, Abbas Kiarostami und Alejandro González Iñárritu, um nur die strahlendsten Namen zu nennen. In Venedig präsentierten unter anderem François Ozon, Julian Schnabel, Sofia Coppola und Abdellatif Kechiche ihre neuen Filme. Nicht dass die Ergebnisse durchweg großartig gewesen wären. Aber sie geben den Ton dessen vor, womit das Weltkino übers Jahr prunken kann. Festivalchefs, die unermüdlich unterwegs sind und nicht nur mit Kommunikations-, sondern vor allem mit Cineastenverstand gesegnet sind, binden Kreativprominenz auch über ihren jeweils aktuellen Film hinaus. So stehen auf der Warteliste für Cannes schon wieder so klingende Namen wie David Cronenberg, Aki Kaurismäki, Nanni Moretti, Alexander Sokurow und Lars von Trier.

Was aber ist das Weltkino? Sicher auch Hollywood im Stil von „True Grit“, der zur Berlinale-Eröffnung konkurrenzlos gute Laune machte, und der angelsächsische Qualitätsfilm à la „The King’s Speech“ – Produkte also jener Großfilmindustrie, die wegen der hohen Kosten nur noch ungern zu Festivals reist und sie zur Werbung kaum mehr braucht. Die Berlinale hat sich immerhin mit beiden Titeln schmücken können, wenn auch bloß auf dem wenig glamourösen Level der Deutschland-Premiere. Das eigentliche Weltkino aber wird von jenen Künstlern verkörpert, deren neue Filme überall ungeduldig erwartet werden. Aus Berlin, und das tut weh, haben sie sich nahezu vollzählig verabschiedet.

Bleibt der Berlinale also das, was sie gegenüber Cannes und Venedig unverwechselbar macht: der Stolz aufs Publikumsfestival. Ein grobes Missverständnis der Festivalmacher aber wäre es, sich damit über die Erosion an Substanz hinwegzubrüsten. Diese langen Berliner Februartage und -nächte des Kinos sind fraglos ein nahezu weltmeisterlich massenverbindendes Ereignis. Strahlen aber tut es nur, wenn darüber niemand das Ziel aus den Augen verliert: den außergewöhnlichen, den manchmal sogar Leben verändernden Film.

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