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Sanft. Kirsten Dunst (M.) in stetig wechselnden pastelligen Roben: Sofia Coppolas „Marie Antoinette“ (2006) ist eine einzige Modestrecke. Canonero entwickelte aus historischen Vorbildern geschmeidige Versionen, und das Übermaß an Stoffen und Putzsucht verweist auf unsere konsumübersättigte Zeit.

© Park Circus/Sony

Berlinale Hommage an Milena Canonero: Königin der Kostüme

Von "Grand Budapest Hotel" bis "Clockwork Orange": Die Berlinale ehrt die Kostümbildnerin Milena Canonero mit einer Hommage und einem Bären für ihr Lebenswerk.

Milena Canonero ist von der neumodischen Bezeichnung „Stylistin“ Lichtjahre entfernt. Sie kleidet nicht einfach Schauspieler ein, sie erweckt Filmfiguren zum Leben. Vier Oscars, neun Nominierungen, ein Film berühmter als der andere: „Wir machen die zweite Haut, wir geben der Rolle erst die Realität“, sagt die Grande Dame der Kostümbildnerei.

Ihre Kostüme aus mehreren Dekaden für die unterschiedlichsten Regisseure sind Teil der Filmgeschichte geworden. Zum Beispiel die trügerisch harmlose weiße Kleidung der Droogs aus Stanley Kubricks „Clockwork Orange“. Oder den irren Jack und die wehrlose Wendy in „Shining“, die sie als verquere Prototypen der frühen siebziger Jahre in Wolle, Samt und weichen Cord kleidete. In den Achtzigern setzte Canonero dann regelrecht Modetrends: Nach ihren Kostümen für „Die Stunde des Siegers“, der im England der zwanziger Jahre spielt, erhielt sie von einem Herrenausstatter den Auftrag für eine Kollektion. Sie erhielt einen ihrer Oscars dafür – und einen Modepreis.

Kräftig. Violett ist die wichtigste Farbe in „Grand Budapest Hotel“. Eine alte Priesterrobe soll Milena Canonero auf die Idee gebracht haben. Es ist die Farbe der Kirche, aber auch der Freiheitsliebenden. Als Kontrast hat die Kostümbildnerin in Wes Andersons Berlinale-Film von 2014 die Farbe Rot eingesetzt, vor allem im Hotel wie hier im Aufzug. Die klaren Farben – auch beim gelben Kleid von Tilda Swinton – weichen später schwarzer Kleidung, den Uniformen der Faschisten.
Kräftig. Violett ist die wichtigste Farbe in „Grand Budapest Hotel“. Eine alte Priesterrobe soll Milena Canonero auf die Idee gebracht haben. Es ist die Farbe der Kirche, aber auch der Freiheitsliebenden. Als Kontrast hat die Kostümbildnerin in Wes Andersons Berlinale-Film von 2014 die Farbe Rot eingesetzt, vor allem im Hotel wie hier im Aufzug. Die klaren Farben – auch beim gelben Kleid von Tilda Swinton – weichen später schwarzer Kleidung, den Uniformen der Faschisten.

© TCFHE

Kostüme als Hauptrolle neben den Schauspielern

Die gebürtige Italienerin und studierte Kunsthistorikerin hatte am Filmset von Vittorio de Sica und später in den Opernhäusern von New York und Wien gearbeitet, bevor sie nach England ging – wo sie Ende der Sechziger Kubrick kennenlernte. Canonero, die heute in Hollywood lebt, kommt immer dann ins Spiel, wenn ein Regisseur den Kostümen eine Hauptrolle neben den Schauspielern einräumt. In Wes Andersons „Life Aquatic“ und in „Grand Budapest Hotel“ tragen die Darsteller oft nur ein einziges charakteristisches Kostüm, wie eine Comicfigur. Vor allem mit den Farben spielt sie in Andersons Filmen, mal mit Verve wie das Violett des Budapest-Hotel-Personals, mal subtil wie die verschieden grau schattierten Anzüge der drei Brüder in „Darjeeling Limited“.

Böse. Weiße Hosen, Schamkapsel, Bowler, geschminkter Wimpernkranz: Für die brutale Gang in „Clockwork Orange“ (1971) ersetzte Canonero die schwarze Kleidung der Droogs in der Romanvorlage durch ihr Gegenteil, die Farbe der Reinheit, der Unschuld. Die Blutspritzer leuchten umso kräftiger.
Böse. Weiße Hosen, Schamkapsel, Bowler, geschminkter Wimpernkranz: Für die brutale Gang in „Clockwork Orange“ (1971) ersetzte Canonero die schwarze Kleidung der Droogs in der Romanvorlage durch ihr Gegenteil, die Farbe der Reinheit, der Unschuld. Die Blutspritzer leuchten umso kräftiger.

© Warner Bros.

Es ist Canoneros besondere Begabung, sich ganz in eine Geschichte und ihre Zeit versetzen zu können. Jedem historischen Detail schenkt sie genaueste Beachtung, um es mit großer Freiheit neu zu interpretieren. Darin ist sie eine wahre Meisterin – was ihr 1975 ihren ersten Oscar für „Barry Lyndon“ bescherte. Kubricks Film erzählt von einem Emporkömmling aus Irland, der es mithilfe der richtigen Kleidung in die höchsten Ränge des Adels schafft. Gut 30 Jahre später zeigte sie mit den Entwürfen für Sofia Coppolas „Marie Antoinette“ einmal mehr, was sich allein mit der Kleidung zum Ausdruck bringen lässt. Hier wird in den Kostümen nicht nur der Überdruss einer niedergehenden Epoche manifest, sie stellen auch eine Verbindung zur spätkapitalistischen Konsumgesellschaft her, wenn etwa zwischen zierlichen Pantoletten ein Paar abgetragene Chucks herumliegen, in jenen pastelligen Tönen, die sie auch für die Kleider wählte.

Schutzlos. Shelley Duvall in Kubricks "Shining" (1980): bequeme, weiche Stoffe, Kleidung für Innenräume.
Schutzlos. Shelley Duvall in Kubricks "Shining" (1980): bequeme, weiche Stoffe, Kleidung für Innenräume.

© Warner Bros.

In Haute Couture gekleidete Vampire

Wann immer Canonero fremde Dinge ins Bild bringt, geschieht das mit voller Absicht, um die eigenen Entwürfe deutlicher ins Bewusstsein zu rücken. Von Alltagskleidung sind ihre Kreationen immer weit entfernt. Selbst für den im heutigen New York angesiedelten Thriller „Weiblich, ledig, jung sucht …“ kaufte sie nicht einfach Kleidung, sondern ließ sich von den erstarrten Figuren des Malers Balthus inspirieren.

Milena Canonero hat oft mit großen Modeschöpfern zusammengearbeitet: In „Marie Antoinette“ mit dem Schuhdesigner Manolo Blahnik, für „Darjeeling Limited“ entwarf Marc Jacobs ein Louis-Vuitton-Kofferset, wunderschön verziert mit Giraffen, Nashörnern und Palmen. Selbst im Vampirfilm „The Hunger“ nutzte Canonero die vertragliche Bindung von Hauptdarstellerin Catherine Deneuve an Yves Saint Laurent, um ihre eigenen Kostüme als krassen Gegensatz zu entwerfen. Hier der elegante, in Haute Couture gekleidete Vampir, dort die Wissenschaftlerin im praktischen Outfit, die am Ende die Herrschaft übernimmt und die Vampire in den Alltag der Menschen integriert.

Oscarprämiert: Kostümbildnerin Milena Canonero.
Oscarprämiert: Kostümbildnerin Milena Canonero.

© AFP

Ihr Platz, das ist die Filmkulisse, dort, wo die Kostüme auf ihren Einsatz warten. So jedenfalls ist sie im Making-of einer Modestrecke der amerikanischen „Vogue“ zu sehen, die die „Marie-Antoinette“-Kleider von Kirsten Dunst präsentiert. Ständig ist Canonero hinter der Kamera präsent, zupft etwas zurecht, trägt die Schleppe und bleibt ganz selbstverständlich – die Herrin der Kostüme.

Über sich selbst spricht sie nicht oft, hat auch für Schmeicheleien wenig übrig. Aber immer wieder wird die heute 71-Jährige auf großer Bühne geehrt, dann präsentiert sie sich gern elegant im scharf geschnittenen Smoking. Mal sehen, was sie an diesem Donnerstag trägt, wenn sie um 22 Uhr im Berlinale Palast mit dem Ehrenbären fürs Lebenswerk ausgezeichnet wird. Die Laudatio hält Jan Harlan, Produzent und Schwager von Stanley Kubrick, dessen Thriller „Shining“ im Anschluss zu sehen ist.

Die Hommage-Reihe zeigt zehn Canonero-Filme im Cinemaxx 8. Noch zu sehen: „The Godfather III“ (16.2., 21 Uhr), „A Clockwork Orange“ (17.2., 21.45 Uhr), „Dick Tracy“ (18.2., 21.30 Uhr).

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