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© Davids

Berlinale: Homo, Hetero, Libido

Außer Konkurrenz: Regisseurin Lisa Cholodenko und Julianne Moore präsentieren ihre sexy Komödie "The Kids Are All Right".

In Fellinis „Amarcord“ steigt ein verrückter Onkel auf einen Baum und schreit: „Ich will eine Frau!“ So ähnlich geht es einem nach all den Festivalfilmen über einsame Männer, die mit Schießgewehren im Wald oder in der Arktis herumirren (siehe S. 26) und sich in Tragödien von antikem Ausmaß verstricken. Wir wollen Frauen! Wir wollen Spaß!

Also ab in die Außer-Konkurrenz-Filme, zur New-York-Komödie „Please Give“ mit Catherine Keener, Amanda Peet und Woody Allens „Barcelona“-Star Rebecca Hall, zur Familien-Burleske „The Kids Are All Right“ mit Julianne Moore und Annette Bening, oder zum All-Star-Vehikel „Nine“ am Freitag in der Special-Reihe. Gutes Timing: Für den Berlinale-Endspurt kann die Seele gute Laune prima gebrauchen. Und ein gutes Duo: Bening und Moore spielen die peinlichen Momente, Kollisionen, Übergriffigkeiten und Missverständnisse in diesem etwas anderen Kreise der Lieben lustvoll aus.

Lesbisches Ehepaar (Bening hat die Hosen an, Moore ist der mütterliche Typ) gerät in turbulentes Fahrwasser, als die 18-jährige Tochter und der 15-jährige Sohn Kontakt zu ihrem leiblichen Vater aufnehmen. Da der Samenspender, sprich „Bio-Dad“, ausgerechnet von Mark Ruffalo gespielt wird, ist neben der Familienkrise auch für erotische Verwirrung gesorgt, Eifersuchtsdrama eingeschlossen.

Homo, Hetero, Libido und die guten alten Familienwerte: Regisseurin Lisa Cholodenko bringt es mit leichter Hand auf einen Nenner. Sagt die Mutter zu ihrem Sohn: „Schade, dass du nicht schwul bist, dann wärst du sensibler.“ Auch das gab es noch nicht: eine Hollywood-Komödie, in der ein lesbisches Paar schwule Pornos guckt – weil es die beiden antörnt und weil Sex komplizierter ist, als viele denken, wie Moore den Kids (und dem Millionenpublikum) mal eben erklärt.

Überhaupt, Sex. Im Unterhaltungskino ist er seit geraumer Zeit tabu, weshalb die Pointen mitunter etwas plump ausfallen. Seit den Screwball-Komödien der 1930er Jahre ist Hollywood wohl aus der Übung. Cholodenko schert sich nicht drum, riskiert mengenweise FourletterWords, registriert amüsiert die Nöte der oversexed and underfucked Kids, jongliert mit den Stereotypen von Mann, Frau, Schwul oder nicht – ohne den Rahmen des Erlaubten zu sprengen. Am Ende ist keine Familie zerrüttet, aber man respektiert einander mehr als zuvor: die klassische Botschaft.

Aber die Optionen auf dem Weg dorthin, die Seitensprünge und Gedankenspiele haben es in sich. Was ist besser, Sex mit Mark Ruffalo oder Spaß mit Annette Bening? Schade nur, dass die Optik so konventionell bleibt.Beim Hetero-Sex geht es halbwegs zur Sache, die beiden Frauen werden schamhaft unter die Decke gesteckt. Wenigstens straft „The Kids Are All Right“ die etwas altmodische Rollenverteilung unter den Berlinale-Filmhelden Lügen. Die Männer rackern sich ab, die Frauen sind für’s Vergnügen da? Mark Ruffalos sexy body beweist das Gegenteil.

Warum gehen die Leute ins Kino? Um bestimmte Schauspieler zu sehen? Julianne Moore glaubt das nicht. „Die Leute kommen, um sich selbst zu sehen.“ Eine tolle Geschichte sei für sie eine, mit der sie sich identifizieren können.

Mit „The Kids Are All Right“ ist das offenbar gelungen, jedenfalls wenn man den Beifall nach der Vorführung gestern Mittag und die Zustimmung in der Pressekonferenz danach nimmt. „Danke schön für das nette Kompliment“ – das hätte die ganz in kräftiges Gelb gewandete Schauspielerin oft sagen können, später lächelte sie nur noch, sichtlich erfreut.

Für sie und Regisseurin Cholodenko ist der Film vor allem das Porträt einer Familie. Die sexuelle Ausrichtung der Partner, dass es also ein Frauenpaar sei, sei „völlig egal“. Und dabei werde nicht, wie so oft im Film, eine gerade entstehende, sondern eine Langzeitbeziehung erforscht. Ohnehin die Zeit: Über sie definiert sich für Julianne Moore die Liebe geradezu: „Liebe ist die Zeit, die man miteinander verbringt.“ Paul, der kurze Zeit ins Leben der Frauen trete, habe eben keine Zeit in diese Familie investiert, er gehöre nicht dazu.

Alle Türen seien für ihn aber nicht geschlossen, so sieht es die Regisseurin, konfrontiert mit der Frage, ob ihr Film nicht ein überholtes Familienideal aufrechterhalte, in dem der Eindringling zuletzt weichen müsse. Sie habe die Konventionen schon gehörig auf den Kopf gestellt, aber den Film mit einer Art Hippie-Kommune enden zu lassen, mit Paul im zweiten Schlafzimmer: „Nein, ich glaube nicht, dass das funktioniert.“

Auch ohne Hippies: Es war schwer genug, den Film zu finanzieren, was das Endlos-Projekt (fünf Jahre Arbeit am Drehbuch!) weiter verzögerte. Interesse gab es viel, nur Geld wollte keiner lockermachen. Aber nun hat der Film sogar in den USA und auch hier einen Verleih gefunden. Ende gut, alles gut – außer für Paul.

Heute 12 Uhr und 18 Uhr (Friedrichstadtpalast), 23 Uhr (International), 21.2., 22 Uhr (Urania)

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