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Frauen vorn. Die siebenköpfige Jury – (von links) Ellen Kuras, Tim Robbins,

© AFP

Berlinale Jury: Gruppenbild mit Königin

Falsche Rekorde und echte Sternsekunden: Die Jury der Berlinale stellt sich in der ersten Pressekonferenz vor. Die Männer wirken müde. Frauen geben den Ton an.

„Keine Frage, nur eine Anmerkung“ hat die ältere Dame, als man ihr das Saalmikrofon reicht. Mit fester Stimme lobt sie, dass in der Jury „erstmals“ die Frauen die Mehrheit stellen. Richtig, vier zu drei: Applaus brandet auf, fraglos der wärmste dieser halben Vormittagsstunde.

Das Gefühl mag der gefühlten Geschlechterzeitenwende entsprechen, die Tatsachen freilich sprechen dagegen, wie ein statistischer Fünfjahresvergleich der Großfestivals zeigt. In Venedig dominieren durchweg die Männer, und das meist deutlich. Berlin präsentierte bereits 2009 mit Tilda Swinton eine Jurypräsidentin, und 2011 führte Isabella Rossellini sogar eine mehrheitlich weibliche Jury an. Und das Extremgroßfestival Cannes? Auch hier liegt es wie immer vorn: Schon 2009 arbeitete dort eine numerisch frauendominierte Jury, mit Isabelle Huppert an der Spitze.

Doch was sind Zahlen, wenn die Verve des Augenblicks zählt. Und tatsächlich, bei der Jury-Pressekonferenz brillieren in erster Linie die Frauen. Allen voran Shirin Neshat: Die vielgefragte, seit Jahrzehnten in New York lebende Iranerin (Interview S. 23) rühmt die Kreativität der Frauen, die „andere Geschichten als die Männer zu erzählen haben“, freut sich über die enorme Inspiration der Künste durch die arabischen Revolutionsbewegungen, und zum mit besonderer Spannung erwarteten Wettbewerbsbeitrag ihres mit Berufsverbot belegten Landsmanns Jafar Panahi sagt sie: „Die ganze iranische Gemeinschaft, ob im Iran oder außerhalb, schaut auf dieses Festival.“

Zugleich verwahrt sie sich mit feinem Sensorium gegen mögliche Einvernahmen, indem sie betont, dass die Jury „künstlerisch, nicht politisch“ urteilt – und überhaupt denkt sie blitzschnell, und das stets so unaufdringlich wie unwiderstehlich. Ja, fast möchte man, nicht zuletzt angesichts ihrer noblen Erscheinung, restlos ins Schwärmen geraten: eine Geisteskönigin! Adieu, Nofretete, willkommen Shirin Neshat!

Auch die Griechin Athina Rachel Tsangari ist bereits in kognitiv-kommunikativer Hochform, berichtet knapp und fundiert über das Arbeiten in ihrer Heimat und schlussfolgert bitter: „Kunst ist vielleicht das einzige, was Griechenland derzeit exportieren kann.“ Erst die Dänin Susanne Bier, die es als Jurorin – anders als 2008, als sie kurzfristig absagte – endlich nach Berlin geschafft hat, lenkt die Aufmerksamkeit fast tröstend auf den Jurypräsidenten. Wong Kar Wai habe angeregt, man möge bei der vergleichenden Würdigung der Filme nur über das sprechen, was man an ihnen liebt, nicht über das, was man hasst. Das findet sie gut.

Die Männer dagegen: eher müde. Bei Wong Kar Wai mag dies dem jüngsten Pariser Interview-Marathon (Tagesspiegel vom 7. Februar), bei Tim Robbins dem Jetlag geschuldet sein. Bevor sich Robbins einmal räuspert, hat Shirin Neshat schon mal die Weltlage skizziert. Andreas Dresen seinerseits bringt kurz zu Gehör, er freue sich, als „in Ostdeutschland Geborener“, besonders auf die Filme aus Osteuropa. Die hätten im Wettbewerb lange gefehlt. Und der Moderator? Vorneweg macht er Wong Kar Wai mal eben zum „Festivalpräsidenten“. Einer Moderatorin wäre das womöglich nicht passiert. Jan Schulz-Ojala

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