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Bellamy

© Berlinale

BERLINALE SPECIAL: Der Schnüffler

Claude Chabrol will in "Bellamy" Abgründe der Bürgerwelt zeigen. Doch was bleibt, ist die Fassade Gérard Depardieus.

Vor knapp 35 Jahren hatte Claude Chabrol, damals 45, bereits 35 Filme gedreht, und Rainer Werner Fassbinder schrieb das Vorwort zur ersten deutschen Chabrol-Monografie. Das Vorwort war ein Essay und ein Fasttotalverriss. Fassbinder ließ kaum ein gutes Haar an Chabrol, seine kriminalistischen, sarkastischen Bürger-Dramen seien mit drei, vier Ausnahmen alle selber im Bürgerlichen verhaftet und die Menschen darin nur Schemen, nicht aus Fleisch und Blut. Das klang, als habe ausgerechnet der virtuose Gespenster-Erfinder RWF ein Manifest des sozialistischen Filmrealismus geschrieben. 35 Jahre und 35 Chabrol-Filme später erhält der Pariser Altmeister nun die Berlinale-Ehrenkamera, und wäre er nicht noch so ungebremst produktiv, hätte er längst eine eigene Retrospektive verdient – umso mehr, als Chabrol-Filme wie „Der zehnte Tag“, 1971 mit Orson Welles, Anthony Perkins, Marlène Jobert und Michel Piccoli verfilmt, nie in die deutschen Kinos kamen.

Den Europäischen Filmpreis für sein Lebenswerk hat er schon erhalten. Aber das Werk geht immer weiter, wie bei Woody Allen, Film auf Film. Manchmal toll: wie vor ein paar Jahren etwa das „Süße Gift“, mit der charmant diabolischen Isabelle Huppert. Manchmal indes so öd, als hätte der damals wohl nur übel gelaunte oder hochmütige Fassbinder doch recht gehabt. So öd wie jetzt „Bellamy“.

Bellamy ist kein Motto oder Motiv. Es ist nur der lautmalerische Name eines behäbigen Pariser Kriminalkommissars, der mit seiner Frau in einer familiären Villa im südfranzösischen Nimes eigentlich Ferien machen sollte, doch es irgendwie nicht lassen kann. Mit dem sanften Rumschnüffeln in einem ziemlich farblosen Fall von Versicherungsbetrug und nebulösen Mord ohne erkennbares Opfer.

Spielte nicht wenigstens Gérard Depardieu den Fleischberg namens Bellamy, wäre da bloß ein fast zweistündiges Loch. Doch selbst ein fader Bruder-Zwist und ein Hauch von ehelicher Eifersucht bringt die Geschichte nicht in Fahrt. Was statt des Chabrolschen Risses oder gar Abgrunds in der Bürgerwelt bleibt, ist die Fassade Depardieus: seine gewohnt und gekonnt charmanten Schonungslosigkeit gegenüber dem eigenen Körpergewicht, in dem diesmal freilich kein Monster steckt. Nur eine freundliche Masse. Ein Hauch bel ami. Peter von Becker

9. 2., 22.30 Uhr (Babylon-Mitte), 15. 2., 18 Uhr (Cubix 8)

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