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Berlinale-Star Lars Eidinger: Sich die Krone aufsetzen

Natürlich ist Lars Eidinger eitel. Schauspieler eben. Und im Moment hat er einen guten Lauf. In der Schaubühne ist er Hamlet, auf der Berlinale ab heute als Wohlstandsversehrter zu sehen. Und weitere Regisseure wollen mit ihm drehen. Nur muss er im Film damit leben, nicht immer im Bild zu sein.

Schon seit drei Stunden ist er Hamlet, wühlt sich Lars Eidinger an der Schaubühne vor seinem Publikum durch Morast. Die Bühne ist mit Erde bedeckt. Er gräbt sich in sie hinein wie in die großen Fragen der menschlichen Existenz. Nur noch einen Satz muss er hinter sich bringen, dann sollte der Applaus einsetzen: „Der Rest ist Schweigen, das Licht geht aus.“

„Na endlich“, seufzt da plötzlich ein Zuschauer in den dunklen stillen Raum. „Mit so einer Brillanz in der Stimme“, sagt Eidinger am Tag danach. Was aber nun folgen sollte, ist einer dieser Eidinger-Momente. Der Schauspieler tritt nicht wie sonst vorm Applaus hinter den Vorhang zurück, er wartet, bis die Lichter wieder angehen. Mit dem Vorsatz: „Den Arsch suche ich mir.“

Er ist so ein Typ. Bei ihm muss auch jeder, der eine Vorstellung frühzeitig verlässt, mit einer Reaktion rechnen, so à la: Geht ihr Popcorn holen, oder was? „Es gibt keine Trennung zwischen Spieler und Publikum“, das ist seine Überzeugung. Den „Na endlich“-Menschen entdeckt er bald, stellt ihn zur Rede. Aber der möchte nicht öffentlich erklären, was ihm missfallen hat. Eidinger folgt ihm am Ende noch bis hinunter zu den Garderoben, wo andere Zuschauer leicht irritiert von „Meinungsfreiheit“ sprechen. Die Freiheit nimmt Eidinger aber auch für sich in Anspruch. Andere Schauspieler wären einfach nur gekränkt gewesen. Er setzt solchen Momenten die Krone auf.

Hamlet, in der Regie von Thomas Ostermeier, war Eidinger inzwischen schon mehr als 150 Mal, er ist mit dem Stück bis nach Sydney und Seoul gereist. Er musste in seiner Theaterkarriere eine Strecke zurücklegen, um so weit zu kommen. Früher war er der verdruckste Typ im Strickpulli, der Hedda-Gabler-Gemahl Jörgen Tesmann. Den trennt beinahe alles vom entfesselten Borderline-Prinzen auf Speed, als der er sich heute schon mal überschlägt auf der Bühne, obwohl Eidinger eigentlich keinen Salto kann.

Das Kino kennt den Mann bislang noch nicht als unberechenbaren Grenzgänger. Eher als jemanden, den man sieht und denkt: Den kenn ich irgendwoher. Oder gleich: Das bin doch ich. Sein größter Kinoerfolg ist das Beziehungsdrama „Alle anderen“ von Maren Ade, das vor drei Jahren bei der Berlinale gelobt wurde. In den vergrübelten Zügen des Architekten Chris, den Eidinger an der Seite von Birgit Minichmayr spielte, erkannten viele das Gesicht einer ganzen Generation. Den Typ Mann Mitte 30, der gelernt hat, bis zur Ermüdung die eigenen Gefühle und Schwächen zu reflektieren. Aber nicht mehr weiß, was Männlichkeit ist.

Jetzt ist Eidinger zurück im Berlinale- Wettbewerb, mit Hans-Christian Schmids Familiengeschichte „Was bleibt“. Und in seinem klaren, leicht melancholischen Gesicht spiegeln sich wieder die Befindlichkeiten der Gegenwart. Eidinger, Jahrgang 1976, in Berlin-Tempelhof aufgewachsen, spielt Marko, einen jungen Berliner Autor, der für ein Wochenende nach Hause zu den Eltern fährt. Er tut es ohne große Absichten. Eidinger erzählt, dass Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier mal einen Psychologen zur Probe von Eugene O’Neills „Trauer muss Elektra tragen“ eingeladen hatte, der die Motivationen der Figuren erhellen sollte. Und dass dieser Psychologe dann sagte, die wenigsten Menschen hätten überhaupt Motive. Sie reagierten schlicht auf Situationen.

Eidinger erzählt diese Anekdote in einem japanischen Restaurant in Wilmersdorf, das er als Treffpunkt vorgeschlagen hat. Er blickt dabei über seine Misosuppe. „Wenn man mich fragen würde, wo ich hin will“, sagt er, „ich weiß es doch auch nicht.“

Schmids Film beschreibt ein typisch westdeutsches Milieu wohlhabender Alt-68er mit Bungalow und Renault 4 vor der Tür. Der Vater, Ernst Stötzner, hat seinen Verlag verkauft, die Mutter, Corinna Harfouch, setzt nach mehr als 30 Jahren die Tabletten gegen ihre Depressionen ab. Das ist im Grunde der ganze Konflikt. „Was bleibt“ ist mehr Zustand als Drama. Und Marko ist derjenige, der allein durch seine Ankunft die Glasglocke über dieser Familie hebt.

„Eine diffuse Unzufriedenheit“ beobachtet der Schauspieler bei seiner Figur, ein auch ihm vertrautes Gefühl. „Ein Großteil meiner Freunde arbeitet nicht“, erzählt er. Materielle Sorgen haben sie zwar nicht. „Trotzdem sind alle unglücklich.“ Kinder der 80er Jahre wie er. Die Zeit, in der das Wort cool aufkam. Was ja bedeute: keine Gefühle zeigen, Maske aufsetzen, Pose einnehmen. Das Jahrzehnt von Synthie-Pop und den Pretenders, Eidinger kennt sich da aus, er ist auch Musiker und DJ. Seine Generation ist eine ohne Grund und Angriffsfläche. „Früher war es spannend, wenn man im Supermarkt gesagt hat: Bitte keine Tüte! Weil man erkannt hatte, dass Plastiktüten scheiße sind. Heute nehme ich die wieder. So egal.“ Er sei auch mal sieben Jahre lang Vegetarier gewesen. Die verschonten Tiere von damals hat er mittlerweile wieder aufgeholt. Haltung ist eben auch nur eine Pose. Das strahlt sein Marko aus, das Wohlstandsversehrte, das Weltverlorene, die Selbstentfremdung, die Sehnsucht nach Geborgenheit. Ohne dass es ausgesprochen würde.

Kürzlich hat der Kinderarzt von Eidingers kleiner Tochter zu ihm gesagt: Na, du spielst ja auch immer dich selbst. Ein bisschen gemein fand er das. Vor allem, weil er früher die Schauspieler bewunderte, „die sich komplett verwandeln konnten“. Der Schriftsteller Maxim Biller hat ihm zu dem Verwandlungsthema gesagt, Schauspiel sei doch kein „Zirkus“. Was es aber für Eidinger ein bisschen doch ist. So könnten jüngere Kollegen selbstverständlich Mann sein, nichts Machohaftes an ihnen, „aber auch nicht dieses ständige Kokettieren mit einer Gebrochenheit, wie’s bei mir ist“, sagt er. „Der traurige Clown – das interessiert die gar nicht“.

Eidinger würde sich nie als Method Actor bezeichnen. Aber seine Vorbereitung ist mehr als gründlich. Für „Alle anderen“ hat er in einem Architekturbüro gejobbt, für den Endzeit-Thriller „Hell“ zehn Kilo abgenommen. Und wenn er einen Schriftsteller wie Marko verkörpert, fängt er wieder an zu rauchen und schreibt eine Erzählung, die in dessen Buch stehen könnte. Eins werden mit der Figur – das ist der abgeschmackteste Schauspieler-Topos, weiß Eidinger ja selbst. Von „mitgelebten Leben“ spricht er, die ihre Spuren hinterließen. Manchmal überschreitet dieser Zustand sogar die Grenze des Gesunden. Wie im Falle eines Films, der Ende Mai in die Kinos kommen soll und in dem Eidinger der Dichter Georg Trakl ist.

Im Vorfeld gab es eine Familienaufstellung des Trakl-Clans, Eidinger stand dem eigentlich skeptisch gegenüber. Doch als er auf seine Position geführt wurde, spürte er zuerst ein Stechen in der Schulter, dann zitterte er am ganzen Körper und schließlich wurde er vom Schluchzen geschüttelt. Bei den Dreharbeiten konnte er dieses totale Außersichsein dann beliebig wieder abrufen, „obwohl ich sonst als Schauspieler nicht so funktioniere“. Und erlebte sich selbst als „tendenziell größenwahnsinnig“. Klar, er war ja auch ein Genie, Trakl eben. Erst nach Drehende, zurück zu Hause, fand er allmählich wieder auf den Boden.

Eidinger hat im Moment einen Lauf bei Castings, er ist gefragt. Der Bilderstürmer Peter Greenaway ist eigens nach Recklinghausen gereist, um Eidinger, der dort gerade drehte, für seinen jüngsten Film zu gewinnen. Die Geschichte einer Schauspielertruppe zu Shakespeare-Zeiten, auf Altenglisch gedreht. Der erste Drehtag auf einem fellinesken, opulent ausgestatteten historischen Set sah für Eidinger dann so aus: Er stand in einem Schrank, nackt, auf Wunsch des Gentleman-Regisseurs vollständig rasiert und – „Greenaway hat mir extra aufgezeichnet, wie er sich das vorstellt“ – mit einem roten Band um sein Geschlechtsteil. Er lugte durch die Schranktür, beobachtete F. Murray Abraham bei der Arbeit und wartete auf den eigenen Auftritt. „Als ob du im Kino sitzt, und plötzlich kommt jemand und sagt: Spiel doch mit.“ Surreal ist da noch untertrieben. Eidinger fand es großartig. Wenn schon Greenaway anklopft, vielleicht ist es ja nicht abwegig, auch mal bei Lars von Trier zu spielen.

Falsche Bescheidenheit ist seine Sache nicht. Natürlich weiß er, dass es gut ankommt, wenn man mit den eigenen Schwächen hausiert. Aber er hat sich angewöhnt, ebenso offensiv über seine Stärken zu reden. In Porträts schlägt sich das gern als Beschreibung des Ego-Shooters Eidinger nieder. Des Narzissten mit Spiel- und Spiegelsucht. Was neben anderem den ironisch funkelnden Humor unterschlägt, den er hat. Natürlich ist er eitel. Schauspieler eben. Aber er wirkt eher wie ein Fotograf, der unentwegt Großaufnahmen von sich selbst macht – und dabei lustvoll mit Unschärfen und Überbelichtungen experimentiert.

„Im Theater weiß ich, wie ich ein Close-up erzeuge“, sagt Eidinger: Jetzt schaut ihr alle nur auf mein Gesicht! Beim Film dagegen finde er manche Wirkungsmechanismen noch mysteriös. Es ist während der Arbeit an „Was bleibt“ einmal zu einer kleinen Konfrontation gekommen. Der Kameramann Bogumil Godfrejow forderte die Schauspieler während des Drehs stets auf, ihn zu überraschen, er blieb mit ihnen in Bewegung, schwenkte innerhalb einer Szene von einem zum anderen. Einmal bat Eidinger den Regisseur, ob sie den Take von eben wiederholen könnten. Warum, wollte Schmid wissen. Weil Godfrejow in der Szene immer auf den Kollegen gegangen sei, entgegnete Eidinger. „Da ist Schmid sauer geworden. Dass ich mich dafür überhaupt interessiere. Und dass ich seinen Entscheidungen nicht vertraue.“ Eidinger hat das eingesehen und sich entschuldigt. Aber damit zu leben, vielleicht nicht im Bild zu sein? Fällt ihm nicht leicht. „Das ist wirklich der eklatanteste Unterschied zwischen Film und Theater“, sagt er. Er überlegt einen Moment. Mit dem Hamlet, ja, da sei er ziemlich weit gegangen. Beim Film freue er sich zwar über den Erfolg. „Aber ich habe immer noch das Gefühl, dass ich nur einen Bruchteil dessen gezeigt habe, was ich kann.“

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