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Berlinale: Taviani-Film schockiert Publikum

Der Film "Das Haus der Lerchen" über den Völkermord an Armeniern hinterließ viele Zuschauer wie betäubt.

Berlin - Eine Stecknadel könnte man fallen hören. Viele Zuschauer im Berlinale-Film "Das Haus der Lerchen" schlagen immer wieder die Hände vors Gesicht. Andere starren mit weit aufgerissenen Augen auf die Leinwand - als wollten sie nicht glauben, was sie da sehen. Doch die grauenvollen Bilder des neuen Werks der italienischen Regisseure Paolo und Vittorio Taviani ("Die Nacht von San Lorenzo") über den Massenmord an den Armeniern im Osmanischen Reich spiegeln historische Wahrheit wider. Die Brüder betonen, dass die Darstellung der Gräuel an den Armeniern bis ins Detail historisch belegt sei.

Mehrere hundert Festivabesucher sahen den Streifen am Dienstagabend in einer ersten Vorführung für die Presse. Viele von ihnen verharrten auch nach dem Schluss des Films noch wie betäubt auf ihren Plätzen. Die Weltpremiere ist für den heutigen Abend vorgesehen. Abgesehen von dem Drama "Ararat"(2002) des kanadisch-armenischen Filmemachers Atom Egoyan gibt es bislang kaum größere Spielfilme über den Völkermord während des Ersten Weltkriegs an den Armeniern, der in der Türkei bis heute offiziell bestritten wird und ein Tabuthema ist. Die Vereinten Nationen bewerten die von langer Hand geplanten Massaker als Völkermord.

Film in der Türkischen Gemeinde noch kein Thema

Die Berliner Polizei hatte zuvor Berichte zurückgewiesen, wonach der Film auf dem Festival in Berlin Proteste besonders bei der Türkischen Gemeinde auslösen könnte. Es gebe keine Hinweise, dass es zu Störungen im Zusammenhang mit der Aufführung kommen könne, bekräftigte ein Behördensprecher. Ähnlich hatte sich auch die Berlinale-Leitung geäußert. In der Türkischen Gemeinde in Deutschland ist der Film noch kein Thema, da ihn bisher niemand gesehen habe, sagte der Gemeindevorsitzende Kenan Kolat.

Der Film, in dem Moritz Bleibtreu einen türkischen Soldaten spielt, läuft in der Reihe "Berlinale Special" im offiziellen Programm des Festivals. Er zeigt den von den so genannten Jungtürken im Ersten Weltkrieg an den Armeniern begangenen Massenmord am Beispiel einer wohlhabenden armenischen Familie in einer türkischen Kleinstadt. Trotz oder gerade wegen dieser Reduktion macht der Film ein eigentlich unvorstellbares Martyrium deutlich.

Massaker an Armeniern

Die männlichen Armenier vom Säugling bis zum Greis werden von der Soldateska sofort abgeschlachtet. Die Frauen und Mädchen werden auf den Todesmarsch in die Wüste geschickt und sind dabei Freiwild für die Wachmannschaften. Am Ende werden auch noch die wenigen Überlebenden massakriert. Ziel der Jungtürken ist von vornherein die Vernichtung aller Armenier auf türkischem Boden.

Wegen der Verfolgung von Intellektuellen, die sich öffentlich zu dem Genozid geäußert haben, ist die Regierung in Ankara auch bei der Europäischen Union in die Kritik geraten. Der Schriftsteller Orhan Pamuk war nach kritischen Äußerungen zum türkischen Massenmord an den Armeniern wegen "Beleidigung des Türkentums" angeklagt worden. Der Prozess wurde Anfang vergangenen Jahres eingestellt. Der Literatur-Nobelpreisträger wird - wie der kürzlich in Istanbul auf offener Straße erschossene türkisch-armenische Journalist Hrant Dink - in der türkischen Öffentlichkeit teilweise angefeindet. Nach dem Mord an Dink und massiven Drohungen gegen seine Person sagte Pamuk Ende Januar eine Reise nach Deutschland ab und reiste in die USA. (Von Thomas Kunze, dpa)

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