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kabei

© Berlinale

Berlinale-Wettbewerb: Fronten der Liebe

Japan zur Zeit des Faschismus: Ist es schon Landesverrat, wenn man eine Ehe nicht bereut? „Kabei“ singt ein stilles Heldenlied auf eine Frau.

Wir zeichnen auf eine weiße Leinwand. Mit diesen Worten begann Yoji Yamada seine Arbeit an „Kabei“. Dann hat er sich mit seinen Darstellern die Vergangenheit, wie er sagt, „aktiv imaginiert“. Mithilfe von alten Fotografien, Möbeln, Kleidungsstücken und Essstäbchen versuchte man sich gemeinsam vorzustellen, wie es damals war, im Japan des Zweiten Weltkriegs. Es gibt zwar keinen Mangel an Dokumenten aus dieser Zeit. Doch Yoji Yamada ist nicht am Krieg interessiert oder an faschistischer Gewalt. Er richtet den Blick vielmehr auf das, was Krieg und Faschismus bei jenen anrichten, die nicht an der Front stehen. Er wirft ein Licht auf das, was sonst unsichtbar bleibt: das Leben an sich.

In seiner Heimat ist Yoji Yamada eine Legende. Fast alle 48 Folgen der heitersentimentalen „Tora-san“-Reihe hat der 77-Jährige selbst gedreht: Berichte eines Handelsreisenden, der durch die Provinzen reist, sich verliebt, und die Frau dann doch nicht bekommt. Ein immenses, für Japans Verhältnisse allerdings nicht untypisches Arbeitspensum: „Kabei“ ist Yoji Yamadas 80. Film. In diesen Jahren drehte er für das große japanische Shochiku-Studio vor allem erfolgreiches Unterhaltungskino. Gleichzeitig eignete er sich das Handwerk für ein Spätwerk an, das mit seiner berühmten Samurai-Trilogie (2002 – 2006) seinen Anfang nahm.

Man muss wohl so viel Filme hinter sich gebracht haben, um fähig zu sein, ein Drama mit so sicherer Hand auf die Leinwand zu bringen: „Kabei“ ist ein ausgesprochen behutsamer Film von klarer, schlichter Schönheit. Grundlage sind die Kindheitserinnerungen von Teruyo Nogami: Der Germanist und Familienvater Shigeru Norgami (Mitsugoroo Bando) wird in einer Nacht 1941 von der Spezialpolizei abgeholt und verhaftet – wegen Verstoßes gegen das „Friedenserhaltungsgesetz“. Schon das Sympathisieren mit Kriegsgegnern wird zum „Denkverbrechen“ erklärt, für das man lange ins Gefängnis kommen konnte.

Shigerus Frau Kayo (Sayuri Yoshinaga) bleibt mit den Töchtern zurück und muss ums Überleben kämpfen. Ein ehemaliger Student ihres Mannes (Tadanobu Asano) steht ihr bei: er singt Schubert, spielt mit den Kindern, besorgt Essen, und holt, wenn es sein muss, den alten Arzt auf dem Gepäckträger seines Fahrrads ins Haus. Ein anderer früherer Student ist jetzt Staatsanwalt und will Shigeru zum Widerrufen zwingen. Kayos Vater, selbst ein hoher Polizeibeamter, fordert sie zur Scheidung auf. „Ich habe unsere Ehe nie bereut“, sagt sie in einem selten Moment offenen Zorns. „Wenn das Landesverrat ist, dann bin ich schuldig.“

Bereits in seiner Samurai-Trilogie zeigte Yoji Yamada sich als Humanist und Meister eines konzentriert-verhaltenen Erzählstils. Auch in „Kabei“ verzichtet er auf dramatische Zuspitzungen, auf Folterszenen oder Bombenregen. Stattdessen zeichnet er den Alltag der Familie in den zartesten Tönen: eine Mutter, zwei Töchter; dazu die Tante und der besorgte Student. Sie grillen Fisch, singen in der Schule, spielen vor der Haustür und besuchen die Sitzungen des Nachbarschaftsrats.

Es ist nur eine kleine Familie. Doch vor dem Hintergrund des Krieges wird daraus eine große Geschichte: Frauen hatten in der japanischen Gesellschaft eine niedrige Stellung. Zugleich verschwanden immer mehr Männer aus ihrer Mitte. Viele Familien lebten in Armut und ohne Väter – die Mütter besorgten den Haushalt, schafften das Geld herbei und schirmten den Nachwuchs gegen das Unglück ab. „Kabei“ ist ein Heldenlied auf diese Frauen; ein Lied, das lang sein muss und leise, weil erst auf diese Weise die Heldentat zum Vorschein kommt. Im jahrelangen Nichtzugrundegehen gibt es keinen Moment des Triumphs. Nur Augenblicke, in denen das schwach, aber beharrlich glimmende Licht zu flackern beginnt, weil auch seine Kraft zur Neige geht.

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