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Berlinale-Wetttbewerb: In der Kälte der Nacht

Petzold, Schmid, Glasner: Die deutschen Regisseure im Wettbewerb sind gut in Form. Matthias Glasner ist der radikalste des Trios: Sein Beitrag "Gnade" - mit Jürgen Vogel und Birgit Minichmayr - erforscht Fragen von Schuld und Sühne,

Die Deutschen im Wettbewerb dieser Berlinale haben es mit den existenziellen Beziehungsgeschichten. Und sie gehen dabei über die Dörfer. Christian Petzold erforscht in „Barbara“ die fragilen Chancen eines Berufsverhältnisses auf Liebe und lokalisiert seine Arbeit in der sommersonnigen DDR-Provinz. Hans-Christian Schmid dekonstruiert in „Was bleibt“ eine bildungsbürgerliche Mittelstandsfamilie und findet dafür kühlsommerliche Bilder im tiefen deutschen Westen. Matthias Glasner, radikal wie immer, reist in den Winter und ans Ende der Welt.

„Gnade“ spielt im norwegischen Hammerfest. Das auf dem 70. Breitengrad gelegene 10.000-Seelen-Städtchen ist flächenmäßig fast so groß wie Berlin. Einer der wichtigen Arbeitsplätze dort: Europas größte Gasverflüssigungsanlage, gebaut auf einer Meeresinsel vor der Stadt. So was kann man bei Wikipedia nachlesen, aber auch in den faszinierenden Bildern dieses herausragenden Wettbewerbsbeitrags sehen. Was für ein kinotaugliches Ende der Welt, und ein wunderbarer Neuanfang noch dazu.

Der Ingenieur Niels (Jürgen Vogel) hat Arbeit in dieser Gasverflüssigungsanlage gefunden. Und statt für Monate auf Montagejobs zu verschwinden, nimmt er seine Familie mit: Seine Frau Maria (Birgit Minichmayr) findet eine Anstellung im Sterbehospiz, und dann gibt es da noch den halbwüchsigen Sohn Markus (Henry Stange). Man bewohnt ein schönes Holzhaus, dessen viele Lämpchen mit Stoffschirmen die lange Polarnacht erträglich machen sollen. Und neben der Arbeit im Werk, das in der Meeresdunkelheit vor schneebedeckten Bergbuckeln wie ein eigenes Sternensystem leuchtet, versorgt Niels einen Stall mit Schafen und Hühnern. Ein Auswanderertraum – und recht fein Norwegisch gelernt hat die Familie nach neun Monaten auch.

Schon irgendwas aus diesem Film verraten, den jeder für sich entdecken möge? Nichts, jedenfalls nichts Wesentliches. Auch darf, wer das Geheimnis von „Gnade“ weitgehend hüten will, durchaus mitteilen, dass Glasners sechster Kinofilm mit den anderen deutschen Wettbewerbsbeiträgen die Lust auf Geheimnisse teilt. Bei Petzold war es Barbaras Fluchtplan, bei Schmid sind es die Geheimnisse, die die drei Männer der Familie nach und nach preisgeben. Geheimnisse trennen, Geheimnisse verbinden. Das schreckliche Geheimnis, das Niels und Maria in „Gnade“ teilen, schweißt sie zusammen.

Ein ganz heißer Bären-Kandidat

Es ist zuerst Marias Geheimnis, eine nächtliche Autofahrt lang. Übermüdet und überwach starrt sie nach einer Doppelschicht in der Klinik in den grünlich schimmernden Vorhang am Himmel, mit dem das Polarlicht, die Fata Morgana der Eiswüste, die Übernächtigten versöhnt mit der ewigen Nacht des Alls. Ein Unfall geschieht, aus dem eine Schuld erwächst. Schuld fordert wenn nicht Strafe, so doch Sühne. Und schuldig wird hier nicht nur Maria, sondern – in zwei virtuos eingeflochtenen und wieder aufgelösten Nebenhandlungen – auch Niels. Und Sohn Markus. Markus, das nebenbei, hat vom Vater ein iPhone geschenkt bekommen, mit dem er ab und zu seine seltsamen Eltern filmt, wobei er den Szenen am Computer Thriller-Sounds hinzufügt. Manchmal funktioniert Markus sehr treffend so, als Chronist, als Dokumentarist des Unausgesprochenen.

Apropos Thriller: Drei-, viermal legt Glasner listig eine Thrillerfährte aus, und wer’s mag, mag den Film des auch in einschlägigen Fernseharbeiten erfahrenen Regisseurs als entsprechende weitere Übung missverstehen. Auch die Soap (Drehbuch: der Däne Kim Fupz Aakeson) liegt nicht ganz fern. Es gibt Klinikszenen und Männertränen, es gibt Herz und Schmerz und Alltagsmenschen, die von den Stürmen des Schicksals gebeutelt sind. Und zugleich ist der Film nichts von alledem. Sondern steuert, ohne jemals zu übersteuern, in die Tragödie – und löst sie in einer stillen, kathartischen Szene auf, wie man sie so makellos im Kino lange Zeit nicht gesehen hat.

Solche Grenzsituationen mag Matthias Glasner, der den „deutschen Küchenrealismus“, wie er das wohlsortierte, wohlrenommierte heimische Erzählkino mal genannt hat, verabscheut. Manchmal vergaloppiert er sich, wenn er aus lauter Lust aufs Extrem seine Zuschauer wie in seinem unvergessen umstrittenen „Der freie Wille“ (2004) dazu auffordert, einen Vergewaltiger zu lieben und seinen Opfern gegenüber gleichgültig zu sein. Auch hier gilt seine Nähe einer Täterin und ihrem Komplizen, der selbst ein anderweitiger Schmerzverursacher ist. Aber zwecks Erschütterung des Publikums müssen seine Figuren nicht extra aus der Monsterwelt zurückvermenschlicht werden. Sie sind einfach da, erschütternd da.

Noch in keiner Rolle war Jürgen Vogel – und allein bei Glasner hat er schon allerhand gespielt – so gut. Und Birgit Minichmayr ist in nur einer Szene, darf man das so sagen, zu brillant. Der Rest des Ensembles: absolut hervorragend. Und immer noch nicht viel mehr verraten als die Vermutung, dass es sich bei „Gnade“ um einen heißen Bären-Kandidaten handelt? Hoffentlich.

17.2., 12 und 22. 30 Uhr, 18.2., 14. 30 Uhr, 19.2., 15 Uhr (alle Friedrichstadt-Palast)

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