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Kultur: BERLINER BEITRÄGE: ToscaCarmenAida

Ach, über die ewigen Doubletten in Berlins Opernhäusern! Ist es wirklich eine Doublette, wenn Daniel Barenboim und Christian Thielemann den "Parsifal" dirigieren - oder haben nicht jeweils beide Interpretationen ihren künstlerischen Eigenwert und damit ihre Berechtigung?

Ach, über die ewigen Doubletten in Berlins Opernhäusern! Ist es wirklich eine Doublette, wenn Daniel Barenboim und Christian Thielemann den "Parsifal" dirigieren - oder haben nicht jeweils beide Interpretationen ihren künstlerischen Eigenwert und damit ihre Berechtigung? Was ist identisch an den drei Berliner "Zauberflöten" außer dem Stücktitel und der Spielvorlage? Musiktheater ist stets Interpretationskunst - selten gleich, niemals identisch, allenfalls ähnlich, meist aber anders.Dennoch und immer wieder das Lamento darüber, daß die Berliner Opernhäuser allzu häufig dasselbe spielen.Das Thema ist so alt, wie die Mauer Berlin nicht mehr teilt und das Operngeschehen als das Programm einer Stadt und nicht mehr das von zwei getrennten Stadthälften betrachtet wird.

Frederik Hanssen hat in dieser Zeitung unlängst das Thema der Spielplandoubletten erneut problematisiert.Er hat dies vor dem Hintergrund des Juni/Juli-Spielplans der Berliner Opernhäuser getan, dessen Vielfalt er begrüßte.Das hat mich gefreut.

Weniger gefreut haben mich die latente Publikumsbeschimpfung, mit der er seinen Artikel schließt ("Jedes Publikum bekommt die Oper, die es verdient"), und die eingangs gemachte Feststellung: "Das übers Jahr gezeigte Repertoire (bleibt) viel zu schmal für eine Stadt mit drei Musiktheatern."

Ich gestehe, ich tue mich mit Publikumsschelte schwer.Denn Theater spielt für Publikum.Auch wenn bei jedem Bühnenkünstler ein gehöriges Stück Selbstdarstellungsdrang mit im Spiel ist, so ist doch der Hauptadressat stets der Besucher, der eine Aufführung miterlebt und dabei mitspielt und mitfühlt.Insofern ist ein volles Haus nicht in jedem Fall ein Indikator für eine gute Aufführung, aber ebensowenig ist ein leeres Haus Indiz für das richtige Programm.

Erfolg ist nicht zuletzt auch eine Frage der Gewöhnung.Und Genuß hat viel mit Wiedererkennen zu tun.Deshalb braucht alles Neue Zeit und Gewöhnung.Es sei denn, man lebt in einer Gesellschaft der permanenten Veränderung.Unser Gemeinwesen spaltet sich in einen dynamischen Teil, der vor allem in den technologischen und wirtschaftlichen Bereichen ständig Innovationen hervorbringt, und einen eher konservativen Teil, der das Beharren in allen sozialen Bereichen kennzeichnet.Kunst und Theater treiben zwischen diesen beiden Klippen, gehören sie doch sowohl zum Sozialen wie zum Innovativen und Kreativen.Das Soziale aber bleibt sowohl hinsichtlich des Publikums als auch hinsichtlich der Rechtsträger die Basis allen Theaters.Insofern entspricht es dem Wesen des Theaters, wenn ein Spielplan nicht zuletzt die Interessen des Publikums reflektiert.Und die Interessen des normalen Opernbesuchers, der unseren Erhebungen nach im Jahr zwei- bis sechsmal ins Opernhaus geht, sind nun einmal andere als die des professionellen Beobachters.Den Kritiker mag der ewig gleiche Kanon von Stücken anöden, das Publikum nicht: das beweisen die Aufführungsstatistiken weltweit.Ein Intendant darf dies bei der Aufstellung seines Spielplanes nicht außer acht lassen, auch wenn er selbst sich nach dem Neuen und Nochniegeschauten sehnt.

Damit will ich nicht der immer weiteren Verengung des Repertoires das Wort reden.Theater hat den Publikumsgeschmack ebenso zu bedienen wie ihn zu bilden.Und dabei schneiden im Vergleich weder die Berliner Opernhäuser noch ihr Publikum schlecht ab.In der Saison 1997/98 standen auf den Spielplänen der Berliner Opernhäuser 474 Opernvorstellungen, 173 Ballettvorstellungen und 106 Konzerte und sonstige Veranstaltungen.Zwar haben die drei Theater unter anderem dreimal die "Zauberflöte", dreimal den "Falstaff" und zweimal den "Ring" im Spielplan, aber es gibt auch Werke, die nur eines der Opernhäuser spielt.

Das Berliner Publikum ist skeptisch und bucht nicht blind.Bei unbekannten Werken erleben wir oft, daß erst, wenn die Premiere draußen ist und die Telefondrähte in der Stadt heißlaufen, die zur Verfügung stehenden Plätze oft nicht mehr ausreichen.Es ist ein kritisches und waches Publikum, auch wenn es sich im ersten Moment abwartend verhält.Es gibt Städte, in denen es dazugehört, bei allem dabei zu sein - oft mehr, um gesehen zu werden als selbst zu sehen.Ich gestehe, mir ist der wahre Zuschauer lieber.Und Berlin hat viele davon, die auch die zahlreichen Repertoire-Experimente mitgetragen haben, die wir an der Staatsoper realisiert haben.So würde ich unter den 37 Opernpremieren, die die Staatsoper in den zurückliegenden sechs Spielzeiten realisiert hat, 17 Werke sehen, die außerhalb des normalen Repertoires liegen.Vier Stücke des Repertoires finden sich lediglich im Spielplan der Staatsoper, und 16 Produktionen waren Werken vorbehalten, die sich auch in den Spielplänen der anderen Häuser finden.Eine ausgewogene Bilanz, wie ich meine.Ist derartige Ausgewogenheit mit mangelnder Vielfalt gleichzusetzen? Ist das gezeigte Repertoire tatsächlich "viel zu schmal für eine Stadt mit drei Musiktheatern"?

Wer definiert das Zuwenig oder Zuviel? Vergleichen wir uns mit anderen Städten: In der Spielzeit 1997/98 wurden in Berlin 66 verschiedene Opern gezeigt.Lediglich Wien bringt es mit Staatsoper, Volksoper und Kammeroper auf 70 verschiedene Opern.München bringt es mit Staatsoper und Theater am Gärtnerplatz auf 50 Titel, London bietet mit dem Royal Opera House und der Englisch National Opera lediglich 32 verschiedene Titel an, New York mit der Met und der New York City Opera hat 30 verschiedene Opern im Angebot.Paris mit immerhin vier Musiktheatern, der Operá Bastille, dem Palais Garnier, der Opéra Comique und dem Théâtre du Châtelet, erreicht gerade mal 26 verschiedene Titel.Noch eklatanter wird der Unterschied in der Angebotsvielfalt, setzt man die Vorstellungszahlen in Vergleich: bietet Berlin 474 Opernvorstellungen, so sind es in Wien 460, in München 351, in New York 341, in Paris 320 und in London 262.

Berlin hat im Haushaltsjahr 1997 rund 240 Millionen Mark in seine drei Opernhäuser investiert.In Paris wurden für die vier Opernhäuser im gleichen Zeitraum demgegenüber nur rund 208 Millionen an öffentlichen Mitteln zur Verfügung gestellt.Legt man dies um auf den öffentlichen Zuschuß pro Vorstellung, so wurde in Berlin die einzelne Vorstellung mit rund 318 000 Mark, in Paris aber mit rund 384 000 Mark subventioniert.Insofern ist es richtig zu behaupten: es gibt keine Stadt in der Welt, die soviel für ihre Opernhäuser ausgibt wie Berlin, aber ebenso richtig ist es festzuhalten, daß es sehr wohl Städte gibt, in denen für die einzelne Opernvorstellung wesentlich mehr ausgegeben wird.Dies sind die Relationen, die man sich vergegenwärtigen muß, wenn die Berliner Intendanten warnen, bei weiteren Zuschußkürzungen wie in diesem Jahr in Zukunft nicht mehr konkurrenzfähig zu sein.Noch aber sind sie es.Und noch brauchen sie sich weder zu verstecken noch schmähen zu lassen.Bei gerechter Betrachtung wird man feststellen müssen, daß die Berliner Opernhäuser für eine keineswegs unübliche Finanzausstattung ein vielfältiges und in seinem Volumen nach wie vor weltweit einmaliges Opernangebot vorhalten.

Der Autor ist Intendant der Deutschen Staatsoper Unter den Linden.

GEORG QUANDER

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