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Kultur: BERLINER BEITRÄGE: Ungeliebtes Aschenputtel

Das Ende war abzusehen.Aber daß es so kommen würde, erweckt Trauer und Zorn.

Das Ende war abzusehen.Aber daß es so kommen würde, erweckt Trauer und Zorn."Einzelne, die keine Ruhe finden, die begleiten mich.Sie spüren, was sie bewegt, suchen ein Ziel.Ist es kein Ziel, so doch eine Richtung.Ist es kein Gedanke, so doch ein Gefühl.Ist es kein Gefühl, so doch eine Unruhe.Und deswegen sitzen sie da, damit ihre Unruhe ein Gefühl, ein Gedanke, ein Schritt, eine Richtung, ein Ziel und ein Danke werde." Bei diesen Sätzen aus Achternbuschs "Auf verlorenem Posten" - der vorletzten Schauspielpremiere des Hauses an der Schaperstraße - saßen freilich schon zu wenige, die das noch hören wollten.

Und "Danke" sagen? Wofür? Für des Senators Roloff-Momin Handstreich, dem Haus die Subventionen zu streichen? Eine Entscheidung, die sich rückwirkend ausnimmt wie ein Anlauf zur Liquidierung des Schiller-Theaters - schon wenig später: am 3.Oktober 1993 - bis heute nicht verwunden.Aber man schließt nicht Piscators Volksbühne und das Schiller-Theater, man setzt - fatale Symbolik - nicht Kant und Marx auf die Straße, ohne anschließend orientierungslos durch die Gegend zu stolpern.Denn für unsere Gesellschaft hat Kant die wesentliche Frage des 19.Jahrhunderts, die nach dem Individuum, formuliert.Marx stellt die entscheidende Frage des 20.Jahrhunderts: die nach dem Überleben großer Massen.

Unabhängig von der Problematik ihrer Antworten bilden diese Fragen das Koordinatensystem unserer Gesellschaft; gleichgültig, welches menschliche oder unmenschliche Gesicht wir dieser Gesellschaft geben.Verzichten wir auf dieses Koordinatensystem, verzichten wir auf die Möglichkeit der Orientierung.Und so erscheint es denn nicht als bloßer Zufall, sondern als Konsequenz und - späte - Genugtuung, daß die geistlose Spekulation auf Musical-Remakes in beiden Häusern so kläglich scheiterte.

Damals aber mochte sich niemand mehr schützend vor das ungeliebte Aschenputtel an der Schaperstraße stellen.Zu lange schon war es der Zankapfel der West-Berliner Kultur-, Theater- und Vereins-Politik gewesen.Einer Politik, die sich nie entscheiden konnte, ob sie den 1963 eröffneten schönen Neubau als Demonstration West-Berliner Selbstbehauptung angemessen fördern oder nicht doch besser kurz halten sollte.(Schließlich brachte der "Stellvertreter" dem Haus nicht nur Weltruhm, sondern dem Intendanten Erwin Piscator auch Morddrohungen ins Haus.)

Die Senatspolitik jedenfalls entschied sich wieder und wieder für das Kurzhalten.Schon Piscators Erfolge des Anfangs: die Uraufführungen des "Stellvertreter", des Auschwitz-Oratoriums "Die Ermittlung" und der "Sache J.Robert Oppenheimer" waren dem Haus abgetrotzt.Der Anspruch der großen gesellschaftlichen Auseinandersetzung, die sich nun einmal nicht im bürgerlichen Wohnzimmer abhandeln ließ, kollidierte unbarmherzig mit der ökonomischen Ausstattung des Hauses, das zugleich überfordert und unterfinanziert war.Der mit der Berufung Utzeraths zum Nachfolger Piscators angestrebte Kompromiß bedeutete den Verzicht auf die große gesellschaftliche Auseinandersetzung und machte das Haus zum Berliner Thalia-Theater.Als der Senat dann den Hamburger Thalia-Theater-Intendanten Gobert an das weit höher subventionierte Schiller-Theater holte und Peter Stein die Schaubühne am Halleschen Ufer zum programmatisch und ästhetisch führenden Theater deutscher Sprache machte, blieb kein Raum mehr, den sie für sich hätte reklamieren, behaupten und dem Publikum als attraktiven Eigenwert hätte vermitteln können.Die `UnterhaltungÔ der Volksbühnenmitglieder - soweit sie nicht zum `unpolitischenÔ Theater-Club abwanderten, übernahmen die `Neuen MedienÔ.

Die Sehnsucht nach dem proletarischen Homer, die zu Beginn dieses Jahrhunderts zum Bau der Volksbühne am jetzigen Rosa-Luxemburg-Platz geführt hatte, verkümmerte in den Schrebergärten der `LindenstraßeÔ.Der vernünftig erscheinende lebensrettende Kompromiß Utzerath erwies sich als lebensgefährlicher Sündenfall.Und niemand meinte, es könne auch etwas mit der Volksbühne an der Schaperstraße zu tun haben, wenn Wolf Biermann sang: "Ach, Lieber, Du, das ist dumm: Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um."

Als Kurt Hübner dann das Haus in den Kunstanspruch zurückzwang, sich aufbäumte und mit Grüber/Minettis "Faust", mit "Sechs Personen suchen einen Autor" und Sobol/Zadeks "Getto" dem Haus den künstlerischen Rang zurückgewann, Neuenfels diesen zu behaupten suchte, war es zu spät.Aufführungen, die in der Schaubühne lange hätten gezeigt werden können, fanden in der Volksbühne kein Publikum mehr.Ein später in Auftrag gegebenes Gutachten benannte denn auch als Hauptproblem des Theaters den Verlust des Eigenwertes in der Berliner Theaterlandschaft.

Das wird sich nun ändern.Ein "Knaller" - so der Käufer, die Hamburger "Neubau" -steht uns ins Haus.Ein Projekt mit "internationalem Antritt", über das wegen des schwebenden Patentverfahrens noch nichts verlauten dürfe, soll die Rettung bringen - so es denn dazu kommt."Sonst" soll eine multifunktionale Nutzung mit gehobener Gastronomie das künftige "Art-House" zu einem `Muß für jeden Berlin-BesucherÔ machen."Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral", beschwor der arme b.b.sein Publikum.Die "gehobene Gastronomie" soll das nun richten.Na also.

Der Verfasser war der letzte Chefdramaturg Erwin Piscators und von 1966 bis 1968 Regisseur und kommissarischer Intendant der Freien Volksbühne.

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